Karriereverweigerungszentrum Haus Bartleby

Von links-Klaus, Jörg, Alix, Anselm und der Hund Anwalt vor dem Haus Bartleby Foto: Dana Berg

Karriere macht dumm


Im Berliner Bezirk Neukölln haben die drei Freunde Alix Faßmann, Jörg Petzold und Anselm Lenz das Zentrum für Karriereverweigerung gegründet. Sie nennen es Haus Bartleby, nach dem Helden des Romans »Bartleby der Schreiber« von Herman Melville. Bartleby schuftet am Schreibtisch in einer Kanzlei, bis er eines Tages nicht mehr kann. Er geht in die innere Immigration und sagt fortan nur noch diesen einen Satz: »I would prefer not to« - »Ich möchte lieber nicht«. Diese Geschichte aus dem 19. Jahrhundert dient dem Zentrum für Karriereverweigerung als Vorlage für politische, künstlerische und private »Projekte des Gelingens«. Das Haus Bartleby hat Großes vor: Es möchte das Kapitalistische System aus den Angeln heben. Wie das ganz konkret funktionieren könnte, erzählen sie CONTRASTE in einem Interview.



Dana Berg, Berlin Wer kennt die Situation nicht: Man steht, mehr oder weniger gelangweilt, auf einer Party, einer Vernissage oder einer Gesellschaft herum, pult am Etikett einer Bierflasche und plötzlich entsteht eine Kommunikationssituation mit einem fremden Menschen. Ob man darum bittet oder nicht, sie wird gestellt, die häufigste Frage der Welt:»Und was machst Du so?« Was will der/die Fragende da eigentlich wirklich von einem wissen? Und überhaupt: Ist diese Frage so harmlos, wie sie scheint? Muss man sie pflichtbewusst beantworten? Alix Faßmann (31), Jörg Petzold (38) und Anselm Lenz (32), die drei Gründer des Hauses Bartleby, des nagelneuen Zentrums für Karriereverweigerung, mitten im Berliner Bezirk Neukölln, möchten lieber nicht. Ihrer Ansicht nach verbirgt sich hinter solchen Fragen viel mehr: Da möchte jemand wissen, auf welcher Stufe der Karriereleiter man sich schon hochgearbeitet hat. Der Fragende hat, bewusst oder unbewusst, die Denkstrukturen des Kapitalistischen Systems längst verinnerlicht.


»I would prefer not to«


An einem sonnigen Oktobernachmittag treffe ich im tiefsten Neukölln die drei Gründer des Hauses Bartleby, dem Zentrum für Karriereverweigerung, in einem charmanten Neuköllner Späti-Bäcker-Café-Dingens. Sie sind alle drei Ü 30, in relativ bescheidenen Siedlungen und Verhältnissen in Ost- und Westdeutschland aufgewachsen, haben ihr Studium mit schlecht bezahlten Jobs in Metallfabriken, mit Kellnern und Gartenarbeit finanziert und in ihren aktuellen kreativen Berufen im Journalismus, Dramaturgie und Schauspiel relativ steile Karrieren hingelegt.

Bis sie eines Tages trotz guter Bezahlung und gesellschaftlichem Ansehen, genau wie ihr Held Bartleby, dieses wachsende Unbehagen, wie sie es beschreiben, in ihren Berufen nicht mehr ausgehalten haben. Alle drei haben gekündigt, ohne zu wissen, wie es weiter gehen soll, finanziell und generell:»Meine Freunde haben mich gewarnt: Du kannst doch nicht, wenn du ein Kind kriegst, Deine Festanstellung aufgeben!«, beschreibt der Schauspieler Jörg die Reaktionen in seinem Umfeld nach der Kündigung. Aber so weiter machen wie bisher, das sprach komplett gegen sein Verständnis von Menschlichkeit und Freiheit.


Das Private (Wohnmobil) ist politisch


Alix Faßmann, die als Parteiberaterin und Journalistin gearbeitet hat, ist nach ihrer Kündigung erst mal ins Private geflüchtet. Sie hat sich ein Wohnmobil gekauft und ist nach Italien gereist. Allerdings ist das Private auch politisch und so hat sie aus der Distanz heraus versucht zu verstehen, was sie konkret anprangert und verändern möchte. Das erste Ergebnis dieses Denkprozesses ist ihr neu erschienenes Buch »Arbeit ist NICHT unser Leben – Anleitung zur Karriereverweigerung« erschienen im Verlag Bastei Lübbe, 2014. In Italien ist aber auch die Idee des Hauses Bartleby entstanden. Wenn Arbeit, Geld, Karriere und Konsum NICHT unser Leben ist, was dann? Für Alix Faßmann ist die Antwort ganz klar: »Das Haus Bartleby ist das Lukrativste, was ich je gemacht habe!« Aber nicht im monetären Sinne, wie sie mit einem Schmunzeln betont. Es geht ihr nicht um Karriere, Geld und Konsum, sondern um Freundschaften, Muße und Glück. Denn »Karriere macht dumm und Ehrgeiz macht krank«, wie sie in ihrem Buch schreibt.


Wollen Karriereverweigerer Karriere machen?


In Interviews sehen sich die drei Freunde stets derselben Kritik ausgesetzt: Ihnen wird vorgeworfen, dass sie, wenn sie »schicke Webseiten« machen und Bücher schreiben, doch auch Karrieristen seien und sowieso immer auch Teil des »Systems«. Außerdem gehörten sie zu einer privilegierten weißen Mittelschicht und könnten sich daher den Luxus einer »Auszeit« im Gegensatz zu einem Kassierer im Supermarkt leisten. Mit Karriereverweigerung könne der Otto-Normalverbraucher gar nichts anfangen, weil er die aufgrund seiner gesellschaftlichen und familiären Herkunft ohnehin nicht machen kann. Sie seien doch bloß ein weiteres kommerzielles Projekt der Generation IMM (Irgendwas mit Medien). Mit ihrem Ladenbüro würden sie, wie andere junge Kreative doch auch, nur den Gentrifizierungsprozess im Bezirk vorantreiben.


Alix, Anselm und Jörg kennen diese Argumentationen ihrer Kritiker. Karriere machen wollen sie jedoch ganz bestimmt nicht. Ihrer Ansicht nach sind das häufig Argumente etablierter und konservativer Medienmacher, die ihnen Naivität und Statusneid unterstellen wollen: »Ein alter Trick des Kapitalismus«, sagt Anselm. Der New York Times Kolumnist David Brooks beispielsweise bezeichnet postmoderne Kapitalismuskritiker als »Bobos«: Eine Wortkombination aus Bourgeois und Bohémien. Demnach wollen Kritiker des Kapitalistischen Systems auch nur die Kohle und die Macht und weil sie die nicht bekommen könnten, verstecken sie den Status-Neid hinter romantisierender und rückwärtsgewandter Kapitalismuskritik. Der konservative Medienforscher Norbert Bolz ist ebenfalls ein Anhänger dieser Bobo-These.

Die Karriereverweigerer verstehen sich keinesfalls als Status-Neider, sondern als eine gemeinnützige Kooperative. Sie befinden sich in einem permanenten Austausch mit Anwohnern im Kiez deren Probleme sie gut kennen und sehr ernst nehmen. Wofür arbeitet das Haus Bartleby? »Wir arbeiten für eine andere Verteilung des Eigentums an Wohnraum, Betrieben und Anerkennung.«


Wie reagiert man auf diese abwertende Kritik? »Mit Wissen und mit Humor«, sagt Anselm,

»das ist nämlich genau der Trick des Kapitalismus, uns das als Versagen auszulegen. Das sagen alle, dass da nur Eitelkeit ein Rolle spielen würde. Es ist nicht so, dass ich nicht wüsste wie das geht eine Karriere fortzusetzen, Geld zu verdienen oder einen auf IT-Heini zu machen. Man muss darauf bestehen, dass man weder zu eitel, zu blöde oder zu faul ist sich anzustrengen, sondern dass das Versagen nicht auf unserer Seite liegt. Da wird behauptet das ist Neid, oder Du hast eine Krise oder Burnout, oder es ist nicht so gelaufen, wie Du es Dir vorgestellt hast.«


Die Thesen neoliberaler Medienexperten, dass das Kapitalistische System Gott gegeben ist oder wie ein Naturgesetz unaufhaltsam wirkt, halten die drei hingegen für falsch. Das System, so wie es ist, ist menschengemacht und man kann durchaus ein Gegengewicht herstellen. Auf ihrer neuen Webseite versammeln sie bereits viele theoretische und praktische »Geschichten des Gelingens«. Man findet dort Projekte alternativen Wirtschaftens und Handelns jenseits des antrainierten Verständnisses von Arbeit.

Sie haben beispielsweise eine Schweizer Initiative zur Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens besucht und interviewt und Muße-Experten der Uni Freiburg im Sonderforschungsbereich Muße-Forschung. Aktuell ist ein Interview mit einem wohnungslosen Neuköllner geplant, der drei Jahre lang Mitarbeiter des Jobcenters war. Sein Vertrag würde nicht verlängert und nun ist er mit dem Containerschiff nach Südamerika aufgebrochen. Das Interview mit ihm findet man ebenfalls auf der Webseite.


Das weiße Hermelin im Auto-Ersatzteillager


Das virtuelle Haus Bartleby ist online, aber das physische Haus Bartleby noch eine Bausstelle. Glücklicherweise mussten sich die drei keine teure Ladenwohnung mieten. Klaus, ein alteingesessener Kiezbewohner und Ladenbetreiber für Auto-Ersatzteile, hat das Zentrum für Karriereverweigerung ohne Mietvertrag und mit offenen Armen in seinem Automobilfachgeschäft aufgenommen, weil da noch ein Räumchen frei war. Zehn Quadratmeter groß. Klaus ist von der Idee des Zentrums für Karriereverweigerung begeistert. Er ist neugierig was daraus entstehen wird. Solidarische Nachbarschaftshilfe nennen die drei Karriereverweigerer das.

Auf der blau angemalten Eingangstür des Hauses Bartleby klebt das Logo des Zentrums: Ein wappenähnliches Bild mit zwei weißen Hermelinen mit schwarzer Schwanzspitze. Warum sie sich ausgerechnet dieses geschichtsträchtige Raubtier als Logo ausgesucht haben? Es ist eine Anspielung auf die Macht-Symbole von Königen und Fürsten. Ein Hermelinmantel galt seinerzeit als besonders kostbar. Damals wie heute spielt Kleidung als Symbol der Macht in der Karriere eine große Rolle, »und auch Kleider entscheiden darüber, ob du dazu gehörst oder nicht«, sagt Anselm. Darüber hinaus seien Hermeline unbestechlich und gingen lieber durchs Feuer, als sich vom Kapitalismus korrumpieren zu lassen.


Das Haus ist offen für alle, die es ernst meinen


Das Haus ist offen für alle, die es ernst meinen mit der Karriereverweigerung und humorvolle Geschichten des Gelingens erzählen möchten: »Das Haus Bartleby ist eine durch und durch vernünftige Entscheidung, die jeden abholen möchte, der ein Unbehagen in sich trägt und dem mittels eigenen Denkens auf die Spur kommen will. Und das reicht von der Supermarkt-Verkäuferin bis zum Maschinenbauingenieur«, sagt Alix. Und Jörg fügt hinzu: »Es ist ein Raum für die Auseinandersetzung, der Verweigerung gegenüber dem Kapitalismus. Ein Raum in dem praktische Alternativen aufgezeigt werden, damit man nicht nur in Verweigerung verharrt, sondern damit etwas Neues entsteht: Ein in Raum der konstruktiven Möglichkeiten.«


Die Geschichte des Hauses Bartleby begann für alle drei mit ihrer Kündigung. Was müsste in Zukunft passieren, dass sie dem Haus Bartleby das Kündigungsschreiben einreichen?

»Wenn es so etwas wie einen Guru gäbe. Einen schillernden Intendanten. Diese Beweihräucherung alter Säcke in den Institutionen. Das wäre für mich definitiv ein Kündigungsgrund«, sagt Anselm zum Schluss des Interviews. Der vorbildlichste und konsequenteste Karriereverweigerer ist der Haushund, der auf den Namen Anwalt hört: während des gesamten Interviews hat er in aller Seelenruhe zu unseren Füßen geschlafen.


weitere Informationen unter: http://www.hausbartleby.org/

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