Selbstorganisierte Alternativen

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Gestaltung (cc)-by-sa: Christoph Chrom

Jenseits der Wachstums-Ökonomie

Für immer mehr Menschen und Initiativen sind Prinzipien wie Selbstorganisation und Basisdemokratie wichtiger als wirtschaftliches Wachstum und Profit. In diesem Artikel werden einige Umsetzungsformen vorgestellt.

Von Johannes Dietrich, Redaktion Berlin Wachstumskritik lässt sich bei der Produktion von Lebensmitteln praktizieren, beispielsweise in Landwirtschafts-Kooperativen oder im Rahmen von "Community Supported Agriculture (CSA)". Diese Praktiken basieren stärker als übliche Handelsketten aus Produzentin - Händler - Endverbraucherin auf Vertrauen, Selbermachen und fairem Miteinander. Für Frank Wesemann, der seit 3 Jahren Bauer der CSA "Waldgarten" ist, ist das CSA-Konzept aus idealistischer und politischer Sicht interessant: "Für meinen Hof bedeutet das mehr Sicherheit und Unabhängigkeit von Marktschwankungen, weniger Zertifizierungs- und EU-Bürokratie. Wachstum ist hier kein Problem, denn wir wachsen nur in dem Maß, wie auch die Zahl der AbnehmerInnen wächst. Außerdem kennen sich hier alle Beteiligten untereinander und können neue Netzwerke knüpfen. Alles in allem eine sehr gute Grundlage für mich als Kleinbauern." Die Konsumentinnen sind gleichzeitig Produzenten und erfahren selbst was es heißt, Obst, Gemüse und Salate zu ziehen, bis sie reif für die Verköstigung sind. Dadurch wird ein neuer Blick auf Lebenswichtiges möglich.

In Umsonst- und Leihläden werden gebrauchte Dinge kostenlos weitergegeben bzw. nachbarschaftlich verliehen. Der erste Umsonstladen in Deutschland öffnete 1999 in Hamburg, heute gibt es von Rostock bis Würzburg etwa 50 davon. Die Läden werden auf der Grundlage von basisdemokratischen Initiativen oder Vereinen organisiert und von Ehrenamtlichen betrieben. Leihläden sind eine jüngere Erscheinung. Seit 2012 betreibt eine Gruppe von ca. 6 Leuten den ersten Berliner Leihladen "Leila", kurz danach startete der Leihladen in Wien. Leila-Mitbegründer Nikolai Wolfert findet: "So viele Dinge, die sonst weggeworfen werden, können durch unser Engagement noch glücklich machen - nicht nur diejenigen, die etwas brauchen und hier finden, sondern auch das Ladenteam, denn Teilen und Schenken macht glücklich!"

Ebenso wirken Upcycling- und Re-use-Initiativen wie z.B. der Verein ReUse e.V., offene Werkstätten oder das Sozialunternehmen "Material Mafia" dem ökonomischen Wachstumsparadigma entgegen. Statt neue Produkte herzustellen, werden Reststoffe oder gebrauchte Dinge repariert oder direkt weiterverwendet. Das schont die Umwelt, vermindert Ressourcenverbrauch und schädliche Emissionen. Außerdem ermöglichen diese Initiativen gesellschaftliche Produktion "von unten", denn das Ausgangsmaterial wie gebrauchte Computer und industrielle Reststoffe sind meist kostenlos und lokal verfügbar.

Hinzu kommen die vielfältigen Formen der kollegialen Selbsthilfe. Dabei kommen Menschen mit einem gemeinsamen Anliegen zusammen, um im Austausch auf Augenhöhe eine oft über das persönliche Anliegen hinausweisende gesellschaftliche Zustandsverbesserung zu erzielen. Das kann beispielsweise eine Gruppe kritischer LehrerInnen sein, die um eine demokratische Schulentwicklung kämpft, ein marktfernes Wohnprojekt zur altersübergreifenden Verbindung von Wohnen und Arbeiten oder eine Counselgruppe zur Beendigung von Rassismus. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen und die gemeinsame Suche nach sinnvollen Lösungen trägt so zu emanzipativen Bewegungen bei, die dem quasi-religiös geprägten Markt- und Wachstumsglauben Risse versetzen. In Transition Town-Initiativen verbinden sich Menschen miteinander, die mit verschiedenen Ansätzen auf eine Überwindung der Abhängigkeit von erschöpflichen Energiequellen zielen. Dazu gehören in der neu gegründeten Gruppe "Transition Town Potsdam" beispielsweise ein Gemeinschaftsgarten und "StadtTeilAuto", eine Nachbarschaftsinitiative aus ca. 150 Menschen, die nach Bedarf Autos, Fahrräder und Lastenräder untereinander verleihen. Joos van den Dool (37), Gründer von StadtTeilAuto, fasst zusammen: "Es geht uns nicht um Gewinnorientierung, sondern um ressourcenschonendes, nachbarschaftliches Miteinander, das Spaß macht. Auch wenn wir lokal aktiv sind, hat das letztlich auch globale Auswirkungen". Nicht zuletzt sind Kollektiv-Betriebe wie zum Beispiel Oktoberdruck in Berlin (CONTRASTE Nr. 301, S. 5) oder becollective auf Kreta (CONTRASTE Nr. 350, S. 4) eine wichtige Umsetzungsform des "Entwachstum". Denn Entscheidungen in gemeinsam geführten Organisationen orientieren sich weniger an steigenden Gewinnen, sondern eher an den Bedürfnissen der Involvierten, an gerechter Einkommensverteilung und persönlichem Wachstum. Schaut mensch sich die genannten Organisationsstrukturen an, fallen Gemeinsamkeiten ins Auge: Es geht hier um Beziehungen, um die Fähigkeit, sich in Gruppen selbst zu organisieren und lebenswichtige Veränderungen für die Gesellschaft und Umwelt in gemeinsamer Kooperation und Bestärkung anzupacken. Joos van den Dool sagt es so: "Ob Gärtnern oder Carsharing - man kommt mit diesen Ansätzen zu einem anderen Bewusstsein und fragt sich: 'Was haben wir eigentlich? Worauf können wir vor Ort aufbauen?'". Möglicherweise fragen sich das bereits immer mehr Menschen, die bisher gar nicht sozial-ökologisch engagiert waren und die Veränderung ist bereits im vollen Gang? Nikolai Wolfert: "Ich denke, wir sollten wieder lernen, mehr Rücksicht auf die Natur, untereinander und auf uns selbst zu nehmen und versuchen wahrzunehmen, was uns wirklich glücklich macht."

Sicher ist, dass für diese kollektiven Ansätze Vertrauen, Konfliktfähigkeit und solidarisches Verhalten wesentlicher sind als die Wiederholung eines überkommenen Wachstumsmantras.

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