Zahl was du möchtest

Wer bei The Good Food in Köln Ehrenfeld einkauft, rettet Lebensmittel vor der Tonne: für den Supermarkt zu kleine oder zu große Kartoffeln, zu krumm gewachsene Gurken, zweibeinige Möhren, verschiedenste Produkte, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist oder von denen zu viel hergestellt wurde. Contraste sprach mit der Gründerin von The Good Food Nicole Klaski.

Ariane Dettloff, Redaktion Köln

Hallo Nicole, was hat dich motiviert, Lebensmittelretterin zu werden?

Mein Aufenthalt in Nepal, Bangladesch und Indien hat mir deutlich gemacht, dass Ressourcen, die wir hier im Überfluss genießen, den Menschen dort gar nicht zur Verfügung stehen -  seien es Lebensmittel oder Energie und Wasser. Seitdem ernähre ich mich völlig anders.

Nämlich wie?

Ich kaufe seit vier Jahren keine Lebensmittel mehr ein, sondern esse nur das, was anderswo aussortiert wird.

Isst du vegetarisch oder vegan?

Nein, ich esse alles. Fleisch würde ich selbst nie kaufen, aber wenn es irgendwo übrig bleibt, dann esse ich es. Und das gibt es dann auch schon mal in unserem Laden.

Jetzt sehe ich gerade hier keine Fleischprodukte, dafür Kürbis in rauen Mengen…

Ja, den durften wir beim Biobauern hier im Umland nachernten. Das tun wir regelmäßig mit vielen ehrenamtlichen Helfer*innen. Wir haben Kooperationen mit vielen Landwirten. Die freuen sich, wenn sie ihr Obst und Gemüse nicht wegwerfen müssen, nur weil es der Supermarkt nicht will.

Rund dreißig seid ihr hier im Team – alle ehrenamtlich? Du auch?

Ja, ich auch.

Und wovon zahlst du deine Miete, Klamotten und so weiter?

Ich habe noch einen kleinen Job in der Klimaschutz-Community.

Der Laden hier auf der Hauptstraße eines angesagten Kölner Viertels wird doch wahrscheinlich reichlich Miete kosten?

Nein, wir können uns glücklich schätzen, denn wir haben großartige Vermieter. Sie finden das Konzept von The Good Food toll. Sie sind selbst auf uns zugekommen und haben gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, hier einzuziehen. Keine Frage - es ist die absolut perfekte Lage!

Wer kommt denn bei euch kaufen? Ich sehe hier auf einer Tafel angeschrieben: »Zahl was du möchtest«.

Manche könnten vom Einkommen her gesehen auch in den umliegenden Bioläden und Reformhäusern einkaufen. Sie sagen aber, dass sie etwas gegen die Lebensmittelverschwendung tun möchten – »deswegen kaufen wir lieber hier!« Es kommen aber auch Menschen, die es sich niemals leisten könnten, solche Produkte anderswo zu kaufen. Es ist uns sehr wichtig, jedem zu ermöglichen, das zu zahlen, was das Portemonnaie gerade hergibt. Es gibt etliche, die sagen am Ende des Monats, dass sie leider gar kein Geld mehr haben - sie kommen aber später und zahlen dann etwas mehr.

Können sie auch mitarbeiten statt zu zahlen?

Wir sind auf jeden Fall offen für Anfragen in dieser Richtung. Wir können nicht allzu viele zur Nachernte schicken, wo sie sich auch selbst bedienen können – aber wir haben auch noch andere Aufgaben wie etwa eine Tour mit dem Lastenfahrrad übernehmen, Ladendienst …

Gibt es eine bestimmte Altersgruppe, die zu euch kommt?

Es sind viele junge Eltern, die ihren Kindern zeigen, wie Gemüse normalerweise wächst. Das sieht man ja im Supermarkt nicht – alles passgenau, gerade Formen, wie sie die ungezähmte Natur gar nicht hervorbringt. Es sind auch viele ältere Leute, die sich noch erinnern an die kleinen Tante-Emma-Läden damals, als sie jung waren, die auch noch auf die Felder gegangen sind, um sich Kartoffeln oder Zwiebeln zu holen, weil es nach dem Krieg nicht viel zu essen gab. Die verstehen, dass unsere Arbeit Sinn macht.

Sie wundern sich vielleicht auch, was ihr hier für exotische Lebensmittel anbietet wie Kokosöl, Essig der Edel-Firma Govinda  oder Dattelkonfekt? Und da sehe ich auch Craftbeer.

Ja, so können die Hersteller vielleicht sogar neue Kundenschichten gewinnen. Denn bei uns gibt es das nur so lange, bis die Palette leer ist. Wer dann auf den Geschmack gekommen ist, kauft diese Sachen dann vielleicht auch anderswo ein.

Den trendigen Chiasamen gibt es auch, und das Kindergetränk »Fruchttiger«…

Okay, wir retten halt alles. Wir haben aber auch die deutsche Variante von Chia, die Leinsamen, die sind wenigstens nicht um die halbe Welt geflogen worden. Und der »Fruchttiger« in Plastikflaschen – ein totaler Verpackungswahnsinn. Aber es wäre noch bekloppter, sie in den Müll zu werfen. Denn da schmeißen wir dann nicht nur die Ressourcen weg, die in die Lebensmittel geflossen sind, sondern auch alles, was die Herstellung der Verpackung verbraucht hat.

Werdet ihr denn alles los? Auch diesen Bananenberg zum Beispiel?

Reste, die wir wegschmeißen, haben wir nie, weil wir sie immer verarbeiten: Aufstriche, Marmeladen, Zucchini-Chutney, scharfes koreanisches Kimchi aus fermentiertem Weißkohl stellen wir zum Beispiel her. Wir kochen auch ein, wir dörren, wir fermentieren -  was zudem noch sehr gesund ist. Wir geben auch Workshops zu Methoden, wie man Obst und Gemüse haltbar machen kann.

Ihr gehört auch zu den Lieferanten der Fair Trade Night im Museum der Kulturen der Welt, habe ich gelesen …

Ja, dafür ist das Zucchini-Chutney aus den Riesen-Früchten vorbereitet. Und bald gibt es wieder eine Schnippel-Disco mit vielen Menschen, die Lust haben, Lebensmittel zu retten und dann gemeinsam lecker zu essen. So zeigen wir, wie viel gutes Essen weggeschmissen wird und wie lecker es dennoch sein kann.

Du hast Jura studiert, bist 34 Jahre alt, arbeitest seit zwei Jahren als Überzeugungstäterin ziemlich viel für The Good Food – macht es dir denn auch noch Spaß?

Es ist genau das, was ich tun möchte und sehr erfüllend. Vor allem kann ich in so vielen Arbeitsbereichen wirken. Ich sitze nicht nur ewig am Computer, sondern kann auch Ladendienst machen oder mit zur Ernte fahren oder einfach Lebensmittel mit dem Lastenfahrrad aus der Lagerhalle in den Laden bringen.

Was habt ihr für Zukunftspläne?

Gern würden wir Gemüsekisten mit gerettetem Obst und Gemüse anbieten, darüber diskutieren wir gerade

 

Infos unter: www.the-good-food.de

 

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