Utopie und Revolte: 80 Jahre soziale Revolution in Spanien

 

Vor 80 Jahren erhoben sich in Spanien Millionen Menschen gegen den faschistischen Putsch des General Franco. Der Aufstand rechter Militärs vom 17./18. Juli 1936 markiert den Beginn des Spanischen Bürgerkriegs und entfachte zugleich eine soziale Revolution, für die es in der Geschichte nur wenige Beispiele gibt. Es war, mit den Worten des Historikers Walther L. Berneckers gesprochen, der »in seinem quantitativen Ausmaß historisch singuläre Versuch der Realisierung einer freiheitlich-kommunistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung«. An diese Revolution wollen im vorliegenden Beitrag erinnern.

Vom Autor*innenkollektiv der August Spies Foundation, Kassel

Der Putschversuch vom 17./18. Juli 1936 richtete sich gegen die so genannte Regierung der »Volksfront«. Mit dem Frente Popular hatte sich wenige Monate zuvor ein Wahlbündnis aus linken und liberalen Kräften durchgesetzt, das einen erneuten Wahlsieg der reaktionären rechten Koalition aus Großgrundbesitzern, Monarchisten und Klerikalen erfolgreich verhinderte. Der Wahlerfolg der »Volksfrontregierung« gelang nicht zuletzt, weil die libertären Organisationen um die anarchistische Gewerkschaftsbewegung CNT (Confederación Nacional de Trabajo) und ihren militanten revolutionären Arm, die FAI (Federación Anarquista Ibérica) erstmals auf einen Wahlboykott verzichteten. Mit dem Putsch von Franco sollte das alte, vorrepublikanische Spanien wieder hergestellt werden. Doch der Staatstreich scheiterte zunächst. Vielerorts widersetzten sich republikanische Kräfte den aufständischen Militärs und konnten nach kurzer Zeit die Kontrolle über weite Gebiete Spaniens zurückerobern. In Katalonien waren es vor allem die Anarchosyndikalist*innen, die den Aufstand in den Kasernen im Keim erstickten. Hier wie in anderen Teilen Spaniens hatte die Stunde der CNT-FAI geschlagen.

Auf dem Weg in eine neue Gesellschaft

Als Franz Borkenau, Historiker und Marxist, am 5. August 1936 in Barcelona ankam, war er überwältigt. »Es war«, notierte er später in seinem Tagebuch, »als wären wir auf einem neuen Kontinent gelandet. Nie zuvor hatte ich etwas Derartiges gesehen.« Arbeiter flanierten mit geschulterten Gewähren über die Rambla, die zentrale Promenade Barcelonas, der Hauptstadt Kataloniens. Auf den Ladeflächen der LKW’s drängten sich bewaffnete Einheiten der Frauenorganisation Mujeres Libres und auf den vorbeifahrenden Straßenbahnen und Autobussen waren die schwarz-roten Initialen der anarchistischen Gewerkschaftsorganisation CNT zu lesen. Die soziale Revolution in Spanien zeigte sich als ein beispielloses Moment historischer Öffnung, in der diejenigen, die dem Gleichstrom der sozialen Kräfte bis dahin stets unterworfen waren, ihre Geschichte für einen Augenblick selbst in die Hand nehmen sollten. Unter den vielen, teils stark konkurrierenden Organisationen, die während des spanischen Bürgerkriegs auf Seiten der Republik um die gesellschaftliche und politische Vormachtstellung rangen, war die anarcho-syndikalistische Gewerkschaft CNT in Katalonien zur einflussreichsten gesellschaftlichen Kraft geworden. Sie zählte zum Zeitpunkt des Militärputsches bereits an die 1,5 Millionen Mitglieder (bei gleichsam nur einem Hauptamtlichen). In Barcelona, dem industriellen Zentrum des republikanischen Spaniens, lag die reale Macht nach dem 19. Juli in ihren Händen. Im Kurzen Sommer der Anarchie waren es die proletarisierten Massen, organisiert in CNT und FAI, die den Ereignissen ihren Stempel aufdrückten. Was sie wollten, war nicht weniger, als die Umwälzung der alten überkommenen Ordnung samt ihrer Produktionsverhältnisse.

Obwohl der Comunismo Libertario, der freiheitliche Kommunismus, bereits seit langem zum Arsenal klassenkämpferischer Agitation gehörte, hatte sich die CNT das gleichnamige Programm erst kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs gegeben. Das Programm war bemüht um eine Versöhnung der individualistischen und syndikalistischen Strömungen innerhalb des Anarchismus. Grundeinheiten der gesellschaftlichen Organisation sollten der einzelne Mensch und davon abgeleitet, die freiheitliche Kommune bilden. Auf der Basis von Kollektiveigentum sollten sich die Produzent*innen in branchenweiten Gewerkschaften und am Arbeitsplatz in Fabrikräten zusammenschließen. Die verschiedenen rätedemokratischen Organisationseinheiten, die das Leben auf betrieblicher und kommunaler Ebene bestimmen würden, sollten untereinander auf regionaler und nationaler Ebene Föderationen bilden, bis ein »dauerhaftes Verbindungsnetz zwischen allen Produzenten der Iberischen Konföderation hergestellt ist«.

Bildung, Wissenschaft und Kunst sollten zu den vordersten Aufgaben der Kommune zählen. Da der geistigen Betätigung eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung und Gesundheit des Menschen beigemessen wurde, würden auch die Produzent*innen im libertären Kommunismus nicht mehr in Hand- und Kopfarbeiter aufgeteilt, sondern beides zugleich sein. Dieses Programm stellte keinen strengen Bauplan dar. Vielmehr diente es als Sammlung grundsätzlicher Ideen für eine neue Gesellschaft, in der das Joch der Abhängigkeit und Unterdrückung beseitigt und die gesamte Gesellschaft als freie neu konstituiert würde.

Kollektivierungen

In der revolutionären Umbruchsphase nach dem 19. Juli machten sich tausende Industrie- und Landarbeiter*innen an die Umsetzung der von CNT und FAI, aber auch von der POUM (Partido Obrero de Unificación Marxista, eine Gruppe antistalinistischer Kommunisten) vertretenen Kollektivierung der Wirtschaft. Dabei zeigte sich die Entstehung von Agrarkollektiven und Revolutionskomitees als unkoordiniertes Massenphänomen. Überall in den republikanisch kontrollierten ländlichen Regionen wurden Grundbesitzer spontan enteignet und landwirtschaftliche Kollektive gebildet. Zum Teil flohen die alten Grundherrn, zum Teil fügten sie sich der Kollektivierung, zum Teil kam es aber auch zu gewalttätigen Enteignungen. Bereits im Winter 1936/37 gab es 1.500 landwirtschaftliche Kollektive. In Aragonien umfassten diese mit 300.000 Personen 70 Prozent der Bevölkerung und des bewirtschafteten Bodens. Insgesamt waren im republikanischen Spanien drei Millionen Menschen an den kollektiv-wirtschaftlichen Experimenten auf dem Land beteiligt und damit 47 Prozent der gesamten Landbevölkerung. Die Kollektivierungen in der Industrie beschränkten sich im Wesentlichen auf Katalonien, das industrielle Zentrum des republikanischen Spaniens. Auch hier kam es zu wilden Aneignungen der Produktionsmittel durch die Belegschaften. Als Joan Fábregas von der CNT im September 1936 das katalanische Wirtschaftsministerium der neuen Volksfrontregierung übernahm, blieb ihm aufgrund der sozialrevolutionären Eigendynamiken nicht viel anderes übrig, als die Enteignungen durch ein Kollektivierungsdekret legalisieren zu lassen. Hierdurch wurden einerseits vollständig kollektivierte Betriebe unter Kontrolle der Arbeiter*innen und ihrer Betriebskomitees formell anerkannt. Andererseits wurden Privatbetriebe aufrechterhalten, die den alten Besitzern und Direktorien unterstellt blieben, aber in Zusammenarbeit mit den Komitees der Arbeiter*innen geleitet wurden. Angesichts der angespannten Kriegslage wollte man in der Regierung insbesondere die Enteignung ausländischer Kapitalien vermeiden, um die Beziehungen zu anderen Ländern nicht zu belasten.

Die Kommune

Eng mit den Kollektivierungen auf dem Land verknüpft war die Entstehung der libertären Kommune. Sie wurde bald nach der sozialen Erhebung allerorts proklamiert. Eine der zentralen Herausforderungen hierbei war die Organisierung gangbarer Verteilungssysteme. Die Organisationsformen, die sich hierbei herausbildeten, waren so vielfältig wie die Problemlagen. Dabei gelang es einigen von ihnen, mit der Zeit erhebliche organisatorische und produktive Fortschritte zu machen. Schwer zu sagen, welche Möglichkeiten sich daraus noch ergeben hätten, wenn nicht der Bürgerkrieg und die feindliche Übermacht des europäischen Faschismus alles in ihren Bann gezogen hätten.

Mit Blick auf den programmatischen Anspruch einer geldfreien Organisation von Produktion und Konsumption legten die Anarchist*innen in der Regierung und in den Kommunen letztlich eine starke Flexibilität an den Tag. Viele ihrer Führer verwarfen sehr bald nach Beginn der Revolution die Idee von der Abschaffung des Geldes als »revolutionären Infantilismus« (Fedirica Montseny). Sie galt nurmehr als Fernziel, während dem als ungerecht verstandenen Entlohnungssystem in den meisten Fällen der Einheits- oder Familienlohn entgegengesetzt wurde. In vielen Orten war diese Praxis nur schwer mit der libertären Gleichheits- und Bedürfnisorientierung zu vereinbaren. Mancherorts wurde die Naturaltauschwirtschaft parallel zur Geldwirtschaft eingeführt. Wurde das Geld innerhalb der Kollektive abgeschafft, wurde es oftmals für den »außenwirtschaftlichen« Güterverkehr zwischen den Kommunen beibehalten. Wieder andere Kollektive druckten lokales Papiergeld. Zu einer vollständigen Abschaffung des Geldsystems kam es vor allem in aragonischen Ortschaften und Kollektiven. Insbesondere in den ersten Wochen der Revolution entstanden Güterverteilungssysteme, die sich stark an den Idealen des »integralen freiheitlichen Kommunismus« orientierten, dass jeder nach seinen Fähigkeiten zur Gemeinschaft beitrage und nach seinen Bedürfnissen konsumiere. Vielerorts wurde mit dem ›Haufen-Modell‹ (toma del montón) experimentiert, d.h. jeder und jede sollte sich nach ihren Bedürfnissen einfach von der Menge der produzierten Güter bedienen.

Schon bald führten Missbrauch und Mangel auch in Aragonien dazu, dass die libertären Güterverteilungssysteme durch Rationierungsmaßnahmen und Lokalgeld ergänzt bzw. verdrängt wurden. In Alcoriza, wo 90 Prozent der Bevölkerung dem Kollektiv beitraten, war ein Punktesystem eingeführt worden, das die Versorgung sicherstellen sollte. Wöchentlich durften Lebensmittel für 450 Punkte erworben werden. Die Kinder gingen unentgeltlich zur Schule. Wein und Gemüse wurden unbeschränkt verteilt, das Geld war abgeschafft worden. In Alcañiz traten 75 Prozent der Bevölkerung dem Kollektiv bei. Dieses verfügte über ein Kaffeehaus, jedes Kollektivmitglied erhielt Lebensmittel und Kleidung, außerdem wöchentlich fünf Peseten für Kino, Zigaretten und »besondere Wünsche«. Zweimal wöchentlich konnte sich jedes Mitglied unentgeltlich im kollektivierten Friseursalon rasieren lassen und pro Person wurden wöchentlich fünf Liter Wein verteilt; Mietpreise wurden abgeschafft und Reparaturen vom Kollektiv übernommen. Wenngleich diese neuen Organsationsformen nicht immer reibungslos funktionierten und der wachsende Kriegsdruck seinen Tribut forderte, waren diese Experimentierfelder selbstbestimmten Lebens doch häufig von einem großen Enthusiasmus getragen. Sie waren die Antwort der Arbeiter*innen und Bauern auf den erpresserischen Schwindel aller vorherigen Systeme ihrer Unterdrückung.

Was bleibt

Zu fast allem, was hier gesagt wurde, ließen sich Gegenpositionen und Kritiken anführen. Für eine positive Aneignung der Geschichte wäre dies unabdingbar, wenn sie nicht zur Traditionspflege und Folklore einer anachronistischen Vergangenheit verkommen soll. Die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung, und so auch die der Revolution in Spanien, liefert uns einen gigantischen Pool an Erfahrungen, Konzepten und wichtigen theoretischen Einsichten. Diese sind immer wieder aufs Neue für die Gegenwart zu bewahren und in neuem Licht zu befragen. Geschichte wird sodann, in den Worten von Hans-Thies Lehmann, auf ihre verlorene und versäumte Zukunft hin befragt, um sich der homogenen Geschichtszeit der Sieger aller Zeiten zu widersetzen und die »Vorgeschichte« der Menschheit zu beenden.

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