Auf dem Weg zu mehr Selbstverwaltung

ULRIKE KUMPE, THESSALONIKI

»Wir sind auf dem Weg zu einerneuen Internationale« beschließt eine Arbeiterin aus einem der Betriebe aus dem ehemaligen Jugoslawienden Kongress. Euphorie und Enthusiasmus waren trotz der kalten Fabrikhallen zu spüren. Der Weg dahin wird schwierig sein. Sprache ist nur eine Barriere, die der engen europäischen Vernetzung entgegensteht. Ebenso viele verbindende Elemente sind vorhanden, die unmissverständliche Befürwortung von demokratischen Strukturen, nur eines davon. Eine Vielzahl von Leuten aus Projekten und Betrieben sind deshalb gekommen. Viele andere fühlten sich nicht angesprochen.

Auf Nachfrage, warum es keine deutsche Übersetzung gäbe und keines der Projekte aus Deutschland auf dem Podium säße, antwortet Makis von vio.me: »Wir haben sie eingeladen, aber es hat sich kein einziges zurück gemeldet. Es sind viele solidarische Menschen aus Deutschland gekommen, aber als Einzelpersonen, nicht als Delegierte ihrer Projekte oder Betriebe«.

Ein Kernanliegen von vio.me im Rahmen des Kongresses und anderer angereister Betriebe war der Austausch von Know-How, von Produkten, von Erfahrungen - Austausch auf Augenhöhe. Solidarität ist wichtig, niemand weiß das so sehr, wie die Arbeiter von vio.me. Sie begannen ihr Projekt 2011/2012 mi teiner Solidaritätsreise durch Griechenland und erfuhren dabei so viel Unterstützung, dass sie den Mut fanden, um sich und ihren Betrieb zu kämpfen.

Ihr Anliegen ist mit Solidaritätsstrukturen alleine nicht zu verwirklichen. Sie wollen eine gegenüber Menschen und Umwelt verantwortungsvolle Wirtschaftsweise. Deshalb ist ihr Mantra: »Gründet 1 – 2 – 3 viele vio.mes«. Dazu gehört für sie die innereuropäische verbindliche Vernetzung der bereits existierenden selbstverwalteten Betriebe und Projekte.

Vorweg die Kritik

Die Hürden, die es im Laufe der Vernetzungsprozesse noch zu nehmen gibt, wurden zum Teil in den kritischen Beiträgen am Ende der Konferenz deutlich. Eine Teilnehmerin bemerkte, dass deutlich weniger Frauen gesprochen haben, als Männer. Es sei notwendig diese Struktur aufzubrechen. Ein anderer Teilnehmer sprach an, das »Degrowth« faktisch kein Thema war. Die Verringerung von Produktion insgesamt sei wichtig. Ein weiterer Teilnehmer sagte, dass der Kongress zu frontal ausgerichtet gewesen sei und nur wenig Raum zur thematischen Diskussion und Vernetzung untereinander gegeben war.

Die Kollektivität der Generalversammlungen in den Projekten spiegelte sich in der Konferenzgestaltung wenig wieder. Es gab für jede Veranstaltung ein Podium, das sprach und ein Publikum, das vor allem hörte. Fragen oder Statements richteten sich wieder ans Podium. Dennoch gab es vor allem Zustimmung zum Kongress. Es war auch jenseits der Podien ein Ort des Austausches und der Möglichkeit, bestehende Kämpfe und Projekte der Selbstverwaltung in Europa kennen zu lernen. Was völlig fehlte, war der Bereich der landwirtschaftlichen Kooperativen, der CSAs und der Kommunen, auch dies wurde im Abschlusspanel angesprochen. Ein Grund dafür ist sicherlich die Ausrichtung auf die Arbeiterselbstverwaltung, mit der in der Regel Industriearbeiter angesprochen werden. Doch gerade das Zusammenkommen von industriell und landwirtschaftlich geprägten selbstverwalteten Projekten wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einer veränderten Wirtschaftsweise und Gesellschaft.

Mehr als nur Arbeiterselbstverwaltung

Dennoch wies in anderen Bereichen der Kongress deutlich über den Titel »Treffen der Arbeiterselbstver-
waltung« hinaus und es nahmen sehr unterschiedliche Projekte teil, die zwar selbstverwaltet, aber sicher nicht arbeiterselbstverwaltet sind. Dazu gehörten unter anderem das aus Thessaloniki stammende Projekt »Mikropolis« oder das Grafik – Designer – Kollektiv »Campichuelo« aus Argentinien oder die Künstler*innen
des »yar aman music collective«. Neben diesen konkreten Gruppennahmen Vertreter*innen von Unterstützungsstrukturen und -organisationen teil und trugen auf diese Weise zu einer großen thematischen Bandbreite rund um das Thema Selbstverwaltung auf dem Kongress bei.

Sozialwissenschaftler*innen stellten im Dialog zusammen mit den Arbeitern von vio.me ihre Studie »DasExperiment vio.me« vor. Ebenso gab es ein Panel zur Geschichte der Selbstverwaltung und zum Thema Gemeinwohl und Selbstverwaltung. Zur Vernetzung und politischen Unterstützung sprachen unter anderem gewerkschaftliche Vertreter*innen der »Union Syndicale Solidaire« aus Frankreich und der baskischen ELA (Eusko Langileen Alkartasuna). Von RIPESS Europe wurde die lokale Entwicklung und Verankerung selbst-verwalteter Strukturen thematisiert.

Nach dem Kongress ist vor dem Kongress

Ob wir auf dem Weg hin zu einer neuen Internationale sind, wie es die Arbeiterin aus dem ehemaligen Jugoslawien ausdrückte, ob die Zahl der Kollektiven Betriebe weiter steigtund damit hoffentlich auch ihr gesellschaftlicher Einfluss, muss sich zeigen. Einer der Arbeiter von vio.me sagte zu Beginn der Konferenz, der Wille zukämpfen ist da. Unser Traum ist der einer anderen Gesellschaft. Das ist der Gedanke, der uns eint. Die Folgekonferenz, die in zwei Jahren in Mailandstattfinden wird, bietet eine weitere Chance, neue Schritte auf dem Weg dahin zu bewältigen und immer mehr Stolpersteine der Verständigung aus dem Weg zu räumen.

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Was bedeutet eigentlich Selbstverwaltung?
Hier könnt ihr es nachlesen.