Rechtsformen für Kollektive : Probleme und Lösungsvorschläge

Genossenschaften kreativ nachbauen?

Vor einem Jahr hatte ich an dieser Stelle die Vorzüge der Rechtsform Genossenschaft für solidarisches Wirtschaften beschrieben (Contraste 372, September 2015). Jetzt stelle ich alternative rechtliche Konstruktionen zur Diskussion, denn manchen Projekten ist die Genossenschaft zu umständlich und zu teuer.


Von Elisabeth Voß, Berlin

Mehr als jede andere Rechtsform eignet sich die Genossenschaft für kollektive Selbstorganisation und wirtschaftliche Selbsthilfe, die nicht der Gewinnmaximierung dient. Ihre Haftung lässt sich auf die Einlage begrenzen, die – wenn alles gut geht – beim Ausscheiden eines Mitglieds diesem wieder ausgezahlt wird. Jedoch haben die Mitglieder weder einen Anspruch auf Auszahlungen aus den Rücklagen, noch auf einen Anteil am Wertzuwachs der Genossenschaft. Genossenschaften gelten als demokratisch, weil jedes Mitglied eine Stimme hat, unabhängig von der Höhe seiner oder ihrer Einlage. Ein Wechsel der Mitglieder ist unproblematisch und ohne notarielle Beurkundung möglich, denn der Vorstand führt die Mitgliederliste.


Warum passt die Rechtsform Genossenschaft nicht immer?


Genossenschaften unterliegen der Prüfungspflicht, das heißt sie müssen Mitglied eines Prüfungsverbandes werden, der zur Gründung und – je nach Größe alle zwei Jahre oder sogar jährlich – die Geschäftsführung der Genossenschaft prüft und darüber einen Bericht anfertigt. Vor allem kleine Genossenschaften leiden unter dem bürokratischen Aufwand und an oft erheblichen Kosten. Hinzu kommt, dass der Vorstand einer Genossenschaft eine starke rechtliche Stellung hat, denn § 27 Genossenschaftsgesetz schreibt vor: „Der Vorstand hat die Genossenschaft unter eigener Verantwortung zu leiten.“ Er ist also grundsätzlich nicht an die Weisungen der Mitglieder gebunden – wobei die Satzung die Macht des Vorstands einschränken kann.

Von selbstverwalteten Betrieben und Projekten wird die Rechtsform der Genossenschaft selten gewählt. Bis 1989 war es ohnehin kaum möglich, als alternativer Zusammenschluss in den doch recht verknöcherten Prüfungsverbänden Aufnahme zu finden. In dieser Hinsicht hat sich einiges getan, es sind neue Verbände entstanden, die kulturell besser zu alternativ wirtschaftenden Organisationen passen, und auch die alten Verbände haben sich geöffnet. Jedoch sind die Prüfungskosten nach wie vor ein Hindernis. Kollektivbetriebe versuchen daher oftmals, andere Rechtsformen ihren Bedürfnissen anzupassen, indem sie diese weniger hierarchisch ausgestalten, und versuchen, den Vorrang für den Schutz und die Vermehrung des Privateigentums auszuhebeln. Dafür werden zum Beispiel basisdemokratische Regelungen innerhalb des Gesellschaftsvertrags gewählt, oder ergänzende Binnenverträge abgeschlossen, die jedoch im Streitfall vor Gericht nicht immer Bestand haben.


Rechtliche Rahmenbedingungen für selbstverwaltetes Wirtschaften


Seit einigen Jahren gibt es politische Bestrebungen, zumindest kleine Genossenschaften von der Prüfungspflicht zu befreien. Dazu gab es 2013 einen Gesetzesvorschlag des Bundesjustizministeriums, der jedoch aufgrund der Lobbyarbeit der Prüfungsverbände gar nicht erst zur Abstimmung in den Bundestag kam. In der aktuellen Legislaturperiode soll laut Koalitionsvereinbarung „eine geeignete Unternehmensform im Genossenschafts- oder Vereinsrecht“ geschaffen werden, um die „Gründung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichem Engagement“ zu erleichtern. Nachdem sich die Bundestagsfraktion der CDU/CSU im Mai 2016 gegen eine Änderung des Genossenschaftsgesetzes entschieden hat, bleibt nach Einschätzung des ZdK (Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften) nur die Zulassung von Wirtschaftsvereinen, so wie es in einigen Bundesländern zum Beispiel für Dorfläden bereits umgesetzt wurde. Im „Bündnis für geeignete Rechtsformen für das Bürgerschaftliche Engagement“ setzen sich Verbände betroffener Betriebe und Projekte dafür ein, dass eine solche rechtliche Möglichkeit geschaffen wird.

Wer jedoch gemeinsam wirtschaften möchte, wird nicht damit warten, bis die Politik die Hürden für eine unbürokratische und nicht allzu kostenaufwändige Rechtsform aus dem Weg geschafft hat. Darum der folgende Vorschlag, wie schon heute versucht werden könnte, eine möglichst rechtssichere Rechtsformenkonstruktion zu finden, mit der die Vorzüge der Genossenschaft nachgebaut werden, ohne deren Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. In der rechtlichen Welt gibt es keine hundertprozentige Sicherheit – so lautet ein Jurist*innenspruch: „Vor Gericht und auf hoher See bist du in Gottes Hand“. Das bedeutet, Recht wird nicht nur in Gesetzen festgeschrieben, sondern auch laufend vor Gericht „gemacht“ und durch Rechtsprechung ausgelegt und verändert. Leider hat sich da in den letzten Jahren einiges zuungunsten selbstverwalteter Betriebe und Projekt verändert. Darum nun ein Vorschlag, wie bestehende Rechtsformen im Sinne einer Demokratisierung und Orientierung an den Bedürfnissen der Beteiligten umdefiniert werden könnten.

 

Vorschlag: Eine Marktgesellschaft gründen …

 

Statt nach der einen, passenden Rechtsform zu suchen, könnte eine Gruppe von vornherein zwei Gesellschaften gründen. Die eine ist am Markt wirtschaftlich tätig, trägt also das Haftungsrisiko und wird mit notarieller Beurkundung im Handelsregister eingetragen. Wenn dafür zum Beispiel eine GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) gewählt wird, dann benötigt diese Eigenkapital von 25.000 Euro, wovon die Hälfte zur Gründung eingezahlt sein muss. Projekte, die eher die Perspektive haben, klein zu bleiben und vor allem wenig zu investieren, könnten sich auch für die haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft (UG oder kleine GmbH) entscheiden.

Diese haftungsbeschränkte Gesellschaft nenne ich im Folgenden Marktgesellschaft. Sie sollte einen möglichst einfachen Gesellschaftsvertrag haben, denn jede Änderung müsste ins Handelsregister eingetragen werden, was Aufwand und Kosten mit sich bringt. Sie könnte deutlich machen, dass sie selbstverwaltet ist, indem sie in ihren Namen zum Beispiel Begriffe wie Kollektiv oder Kooperative einbaut, oder sogar Genossenschaft – auch dieser Begriff ist frei nutzbar, geschützt ist nur der Namenszusatz eG für im Genossenschaftsregister eingetragene Genossenschaften.

 

und zusätzlich eine Kollektivgesellschaft

 

In einer zweiten Gesellschaft würden die kollektiven Belange geregelt, daher nenne ich sie hier Kollektivgesellschaft. Ihre einzige wirtschaftliche Betätigung wäre es, die Marktgesellschaft mit Eigenkapital auszustatten und deren Geschäftsführung zu benennen und zu kontrollieren. Diese Kollektivgesellschaft wäre die einzige Eigentümerin und Gesellschafterin der Marktgesellschaft. Ihr gehören die Kollektivmitglieder an. Als Rechtsform könnte sie zum Beispiel die GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) wählen, oder einen nicht eingetragenen Verein, der einer GbR ähnlich ist. Bei beiden haften grundsätzlich alle Gesellschafter*innen bzw. alle Mitglieder, auch wenn sich die Rechtsauffassung zu diesen Formen in den letzten Jahren verändert hat, und möglicherweise nur die Handelnden zur Haftung herangezogen werden können. Das ist jedoch rechtlich dünnes Eis, und in diesem Fall auch nicht so wichtig, denn die Kollektivgesellschaft trägt ja gar kein wirtschaftliches Risiko, weil sie nicht am Markt tätig ist.

Es könnte dafür auch eine Genossenschaft gegründet werden, die jedoch nicht ins Genossenschaftsregister eingetragen wird und daher auch keinem Prüfungsverband beizutreten braucht. Dies ist bislang nicht üblich, es wäre also spannendes juristisches Neuland. Haftungsrechtlich wäre sie der GbR ebenso ähnlich wie der nicht eingetragene Verein. Dieser wird jedoch zunehmend rechtlich nicht als GbR behandelt, sondern nach dem Vereinsrecht beurteilt – ob auf eine nicht eingetragene Genossenschaft auch das Genossenschaftsgesetz angewendet würde?

 

Klarheit und Verantwortlichkeiten

 

In ihrem Gesellschaftsvertrag würde die Kollektivgesellschaft alles regeln, so wie es das Kollektiv handhaben möchte: Ein- und Ausstieg, finanzielle Beteiligung, evtl. Abfindung beim Ausscheiden, Entscheidungsfindung, Umgang mit Konflikten, Solidarität und Unterstützung von anderen Projekten, Verbleib des Vermögens bei einer Auflösung der Kollektivgesellschaft usw. In die Haftung, also ins wirtschaftliche Risiko, ginge nur das Geld, das von der Kollektivgesellschaft der Marktgesellschaft als Eigenkapital zur Verfügung gestellt wird. Die Satzung der Kollektivgesellschaft müsste vermutlich nicht einmal notariell beurkundet, und sicher nicht in irgendein Register beim Amtsgericht eingetragen werden. Nur wenn die Gruppe dies möchte, könnte die Kollektivgesellschaft versuchen, als Verein ins Vereinsregister eingetragen zu werden. Dafür müsste sie jedoch eine überwiegend ideelle Ausrichtung hinreichend deutlich machen, um den Generalverdacht der unerlaubten wirtschaftlichen Betätigung auszuräumen. Dies ist sogar eine geläufige rechtliche Konstruktion: Der ideelle Verein (oft sogar gemeinnützig) der zwecks wirtschaftlicher Betätigung eine (dann oft ebenfalls gemeinnützige) GmbH gründet (die dann als gGmbh firmiert).

Ganz ohne die Nennung von Personen geht all dies jedoch nicht, denn die Eintragung der Marktgesellschaft ins Handelsregister erfordert, dass sich zum einen ein oder mehrere Vertreter*innen der Gesellschafterin, also der Kollektivgesellschaft, bei der notariellen Beurkundung ausweisen. Zum anderen müssen ein oder mehrere Geschäftsführer*innen der Marktgesellschaft benannt werden. Vertreter*innen der Kollektivgesellschaft müssen nicht zwingend deren Mitglieder sein, sondern es können auch Treuhänder*innen benannt werden, die jedoch wiederum ihre Benennung nachweisen müssen. Jede Gruppe sollte sehr genau abwägen, wer für die Geschäftsführung der Marktgesellschaft benannt wird, und wie die Rechte und Pflichten der Geschäftsführung definiert werden. Dies kann in einem gesonderten Geschäftsführungsvertrag frei vereinbart (und nach Bedarf auch wieder verändert) werden. Wichtig wird es vor allem sein, die Geschäftsführung an die Beschlüsse der Kollektivgesellschaft, also des ganzen Kollektivs, zu binden. Da Geschäftsführer*innen unter bestimmten Umständen auch bei einer haftungsbeschränkten Gesellschaft zur persönlichen Haftung herangezogen werden können, sollte ein kollektiver Binnenvertrag diese Haftung auf alle Kollektivist*innen verteilen.

 

Die soziale Architektur nicht vergessen

 

Die hier skizzierten Überlegungen werfen viele Fragen auf, deren Klärung eine Gruppe unbedingt gemeinsam mit Jurist*innen vornehmen sollte, ebenso wie die Ausformulierung von Satzungen und Verträgen. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Rechtsformkonstruktionen nur ein Mittel zum Zweck sind. Sie sollen es ermöglichen, dass eine Gruppe genau so miteinander wirtschaften kann, wie sie es möchte, und dass einmal getroffene Vereinbarungen Bestand haben, auch wenn es zum Streit oder schlimmstenfalls zu juristischen Auseinandersetzungen kommt.

Zuerst sollte daher jede Gruppe unabhängig von rechtlichen Fragen festlegen, welche Prinzipien ihrer Zusammenarbeit zugrunde liegen, wer ganz konkret welche Rechte und Pflichten haben soll und wie sie damit umgehen möchte, wenn sich eine*r nicht an die gemeinsam getroffenen Verabredungen hält. Diese Basis des Miteinander ist die Voraussetzung dafür, überhaupt rechtliche Festlegungen treffen zu können. Daher sei dringend davor gewarnt, beides miteinander zu vermischen, oder gar zu versuchen, den Konflikt über möglicherweise unterschiedliche Auffassungen mit schwammigen Satzungsformulierungen zu umgehen. Es empfiehlt sich, diese Reihenfolge einzuhalten: Erst die soziale Architektur so detailliert wie möglich festlegen (immer wissend, dass es im Leben auch anders kommen kann), und erst dann eine Rechtsformenkonstruktion wählen, die dem Gewollten am nächsten kommt, und entsprechende Satzungen und Verträge verfassen.


Mehr Infos:

Bündnis für geeignete Rechtsformen für das Bürgerschaftliche Engagement: www.rechtsformen-fuer-engagement.de

Weitere Veröffentlichungen der Autorin hier: www.elisabeth-voss.de

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