ÖKONAUTEN EG, BIESENTHAL

 

»Damit der Boden nicht unter den Füßen verloren geht« - genossenschaftlich für eine Agrarwende

Land ist nicht nur die Grundlage für Lebensmittel, sondern hat sich immer mehr zu einem interessanten Investment entwickelt, ist sogar Spekulationsobjekt geworden. Regierungen verkaufen ihr Land an Konzerne, Investoren und Staaten, um leere Kassen aufzufüllen. Auch in Deutschland wird staatliches Land privatisiert und Landbesitzkonzentrationen nehmen zu. Lokal regt sich Widerstand. In der Region Berlin-Brandenburg will die Ökonauten eG Rahmenbedingungen für eine ökologische Landwirtschaft bieten und junge Existenzgründer damit fördern.

Von Willi Lehnert, Redaktion Genossenschaften Vivian Böllersen steht auf einer Wiese im Brandenburgischen Velten und begutachtet die frisch gepflanzten Walnussbäume. »Die Anwuchsphase der Bäume ist sehr wichtig für das spätere Gedeihen. Da muss ich aufpassen, dass es allen gut geht«, sagt die Junglandwirtin und geht zum nächsten Baum. 20 davon stehen bereits auf der Wiese, 170 sollen es bis Ende 2015 werden. Vivian Böllersen hat Ökolandbau und Vermarktung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde studiert und sich in ihrer Masterarbeit intensiv mit den Potentialen des kommerziellen Walnussanbaus in Nordost-Deutschland auseinandergesetzt.

»Die Walnuss ist eine sehr alte Kultur und war in der Vergangenheit weit in der Region verbreitet. Heute ist sie - da es kaum Nachpflanzungen gibt - fast vom Aussterben bedroht. Stattdessen sind wir von Importen unter anderem aus den USA und Chile abhängig. Das möchte ich ändern und den Menschen die Walnuss wieder näher bringen«, so die Junglandwirtin. Mit einer guten Idee und einem durchdachten Konzept ging Vivian ihre Existenzgründung in der Landwirtschaft an. Stieß jedoch sehr schnell auf hohe Hürden.

Spekulationsobjekt Boden

Der Aufbau eines Landwirtschaftsbetriebs war nie leicht, viel Arbeit, Kapital, Motivation und Engagement waren schon immer erforderlich, ehe ein Betrieb Ertrag abwirft und die Bewirtschafter davon leben können. Heute kommen neue Faktoren hinzu. Mittlerweile ist der Zugang zur Grundlage der Landwirtschaft – das Land – sehr schwer geworden; Bäuerinnen und Bauern bekommen kaum noch Boden unter die Füße. Das Interesse am fruchtbaren Grund haben nun auch Investmentgesellschaften und Agrarfonds entdeckt. Mit steigender Weltbevölkerung, hoher Nachfrage nach Agrarrohstoffen und der Suche nach einer krisensicheren Kapitalanlage rückt das Gut Boden in den Fokus von landwirtschaftsfremden Institutionen. Bestehende Betriebe und Existenzgründer haben beim Poker um Land häufig das Nachsehen und gehen leer aus.

Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern begünstigen die Agrarstrukturen den Einstieg von Kapitalgesellschaften. Laut Bauernbund Brandenburg werden schon rund zehn Prozent Agrarfläche von Investoren bewirtschaftet. Ein Hotspot ist der Landkreis Märkisch Oderland, dort verfügen drei Unternehmen über 20 Prozent der Ackerfläche und haben erheblichen Einfluss auf Bodennutzung, Landschaftsbild und das sozial-kulturelle Leben in den Dörfern. Häufig sind die Folgen Monokulturen, sinkende Biodiversität, Verlust von Arbeitsplätzen und eine weitere Ausbreitung agrarindustrieller Landwirtschaft.

Existenzgründer sind benachteiligt

Die Erhöhung der Nachfrage hat bei einem begrenzten Gut einen steigenden Preis zur Folge, so auch beim Ackerland. Seit der letzten Finanzkrise sind die Bodenpreise massiv gestiegen. Verbunden mit einer konsequenten Privatisierungspolitik von Ackerflächen ist insbesondere ein starkes Interesse in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt zu verzeichnen. Existenzgründer sind hier klar im Nachteil, ihnen fehlt häufig das Eigenkapital ,um den Einstieg in den eigenen Betrieb realisieren zu können.

Für Junglandwirte ist es somit fast unmöglich an Land zu kommen. »Auch Kredite bei Banken habe ich angefragt. Diese hielten sich aber bei dem langfristig angelegten Projekt zurück und gaben mir keine Zusage«, betont Vivian Böllersen. Doch ohne Land keine Landwirtschaft.


Ökonauten kontra Agrarpoly


Vor dieser Situation stehen viele Junglandwirte. Sie sind gut ausgebildet, motiviert und haben gute Ideen. Dies gilt besonders in der Region Berlin-Brandenburg mit einem großen Nachfragemarkt nach ökologischen Produkten. Laut der Fördergemeinschaft ökologischer Landbau (FÖL) beträgt das jährliche Wachstum rund 8 Prozent. Was liegt da näher, als diese Nachfrage zu erfüllen, eine Bodenvergabe zugunsten innovativer, ökologischer Betriebe zu gestalten und damit Perspektiven für junge Menschen und ein Leben im ländlichen, strukturschwachen Raum zu bieten?

Gemeinsam mit dem Regionalentwickler Frank Viohl sowie dem Regional- und Betriebswirtschaftler René Tettenborn entwickelten die Gründer der Ökonauten eG das Modell einer genossenschaftlich getragenen Erzeuger-Verbrauchergemeinschaft. »Wir setzen den agrarindustriellen Entwicklungen etwas entgegen und stützen damit bäuerliche Strukturen und Existenzgründungen. Und wir bieten - nicht nur Berlinern und Brandenburgern - eine Möglichkeit, sich in die Ökonauten eG einzubringen, um eine Agrarwende aus der Zivilgesellschaft heraus voranzubringen« so das Selbstverständnis der neuen Genossenschaft.

Erzeuger und Verbraucher

Das Genossenschaftsprinzip in der Landwirtschaft ist nicht neu, Agrargenossenschaften gibt es schon einige. »Diese haben aber wenig mit dem Konzept der Ökonauten eG gemein. Wir wollen den Kontakt zwischen Erzeugern und Verbrauchern und somit auch zwischenmenschliche Beziehungen stärken. Damit vermitteln wir Wissen und Wertschätzung für Lebensmittel und die Arbeit, die in ihnen stecken«, erläutert Frank Viohl.

Die Ziele waren den Gründern durch Erfahrungen und Beobachtung der Branche klar: Langfristig soll die Grundlage für eine regionale und ökologische Landwirtschaft gewährleistet werden. Fruchtbares Land wird gesichert und dabei eine breite Eigentumsstreuung gewährleistet. Einzelinteressen sollen denen der Gemeinschaft untergeordnet sein, auch beim Landbesitz. Dies sichert die demokratische Bestimmung über eines der sensibelsten Naturgüter, die uns umgeben.

Junglandwirte stützen

Mit dem Erwerb von Land bietet die Ökonauten eG bessere Rahmenbedingungen für Junglandwirte. Sie werden in der Umsetzung der eigenen Existenzgründung bestärkt. Somit werden ihnen Möglichkeiten und Wege geboten, unter einem von der Gemeinschaft getragenen Dach zu wirtschaften. Unabhängig von großen Schwankungen bei Marktpreisen für Pachten oder Lebensmittel. Als drittes wesentliches Ziel wollen die Ökonauten die Erzeugung von Biolebensmitteln aus der Region erhöhen, um so der hohen Nachfrage nachzukommen. Von der Primärerzeugung über Verarbeitung bis hin zu Vermarktung und Logistik sollen in kurzen Wertschöpfungsketten und Transportwegen geschlossene regionale Wirtschaftskreisläufe realisiert werden.

Das Geschäftsmodell ist in einem Prozess und mit der Beteiligung verschiedener Akteure aus der Branche entwickelt worden. Interessierte Verbraucher werden mit einer Einlage von mindestens 500 Euro Mitglied in der Genossenschaft. Die Mindesteinlage wurde relativ niedrig angesetzt. Verbrauchern mit geringem Einkommen wird so die Möglichkeit geboten, ihre Umwelt und Lebensmittelerzeugung positiv beeinflussen zu können. Mit den Einlagen erwirbt die Genossenschaft Land in Berlin-Brandenburg und verpachtet es an junge Existenzgründer. Die Ökonauten eG stellt damit die Grundlage für den Einstieg in die Landwirtschaft.

Wirtschaften und Bilden

Das erste realisierte Projekt ist die Walnussanlage im brandenburgischen Velten. Weitere Projekte sind in der Planungsphase und sollen folgen. Schon bald möchten die Ökonauten ein breites Angebot an Gemüse, Obst, Milchprodukten und Fleisch bieten. Als Abnehmer stehen dafür potentiell die Genossenschaftsmitglieder bereit. »Wir bündeln somit den gesamten Entstehungsprozess in einer Hand: Vom Erwerb des Landes als Grundlage, über die Vermarktung und Logistik bis zum Endverbraucher. Diesen Kreislauf zu schließen ist unser Ziel«, erklärt Frank Viohl. Perspektivisch gibt die Ökonauten eG die Lebensmittel ihren Mitgliedern direkt weiter, die auf den eigenen Flächen erzeugt werden.

Darüber hinaus soll es aber kein reiner Wirtschaftsbetrieb sein. Beabsichtigt ist, mit Kooperationspartnern Bildungsangebote z.B. für Kitas und Schulen zu entwickeln. Aber auch gemeinsame Veranstaltungen, Zusammentreffen und Arbeitseinsätze auf den »Ökonauten-Betrieben« sollen Begegnungen zwischen Menschen schaffen und Abläufe in der Landwirtschaft verdeutlichen. Die Verständigung zwischen Erzeugern und Verbrauchern, gegenseitige Kenntnis, Erfahrungen und Bedürfnisse ermöglichen einen Pakt von Verbündeten, als scharfes Schwert für gute und ehrliche Lebensmittel, ökologisches Bewusstsein und soziale Teilhabe.

Langfristige Regionalentwicklung

»Unser Konzept spricht Menschen an, die sich über die Biosupermarktkasse hinaus für eine andere Landwirtschaft engagieren wollen. Sie wollen Verantwortung vor ihrer Haustür übernehmen und sich langfristig für soziale und ökologische Bedingungen einsetzen«, erläutert Mitgründer René Tettenborn. 65 Genossenschaftsmitglieder teilen bereits die Idee und Vision einer nachhaltigen, regional verankerten Landwirtschaft.

Die Finanzierung der ersten Fläche in Velten wurde vollständig über Einlagen der Genossenschaftsmitglieder aufgebracht. Das Walnussprojekt steht sinnbildlich für das Leitbild der Ökonauten eG: einer langfristigen Regionalentwicklung in Berlin-Brandenburg. Dafür war es den Gründungsmitgliedern wichtig, dem Druck von externen Finanzierungsgebern nicht ausgesetzt zu sein. Zukünftig sind beim Landerwerb aber auch andere Finanzierungsmodelle wie Privatkredite der Mitglieder geplant.

Enkeltaugliche Landwirtschaft

Der mittel- bis langfristige Zeithorizont ist für die Gründer schon ausgemacht. Der Bedarf ist gegeben, zahlreiche Junglandwirte kommen auf die Ökonauten eG zu und können sich eine Kooperation unter einem gemeinsamen Dach vorstellen. Auch Landbesitzer werden auf das Angebot aufmerksam und bieten ihre Flächen der Genossenschaft an. Mit diesem Rückenwind werden gegenwärtig weitere Projekte geplant, um Existenzgründungen zu ermöglichen und die regionale Lebensmittelversorgung zu stärken. Das Bewusstsein für regionale Kreisläufe und der Bedarf einer engeren Bindung von Verbrauchern und Erzeugern bietet die Chance, dafür alternative Finanzierungskonzepte zu realisieren.

Es liegt in den Händen von Verbrauchern und Erzeugern bei der Gestaltung einer nachhaltigen Landwirtschaft mitzuwirken. Für das Müsli auf dem Frühstückstisch ist der Ursprung fruchtbares Land. Dieses gilt es zu schützen und zu bewahren. Sonst manifestieren sich agrarindustrielle Strukturen und Landvertreibungen nicht nur auf der Südhalbkugel. Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Ressource Boden bedarf geeigneter und praxisnaher Instrumente für ein nachhaltiges Landmanagement. Die Ökonauten eG etabliert dieses, damit uns langfristig nicht der Boden unter den Füßen verloren geht.


Weitere Informationen: Ökonauten eG, Sydower Feld 4, 16359 Biesenthal, Tel.: 01577-7795544, info@oekonauten-eg.de.




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