Barcelona in Bewegung

 

Eignen wir uns das Leben an

 

Unter diesem Slogan (katalan: Reapropiem-nos de la vida) fand vom 23. bis 25. Oktober 2015 in Barcelona die Fira d'Economia Solidària de Catalunya (FESC) statt – eine Messe für Solidarische Ökonomie, mit einer Vielzahl von Veranstaltungen und Projekten.

Von Elisabeth Voß, BerlinDie Bandbreite der vertretenen Projekte war groß, wie es bei solchen Anlässen üblich ist, von kleinen Alternativbetrieben über Netzwerke und Beratungsfirmen bis zu etablierten Sozialunternehmen und Finanzierungseinrichtungen. Ökologie, soziale Gerechtigkeit und genossenschaftliche Selbstverwaltung waren prägende Themen. Für Gäste aus anderen Ländern stellte Katalan als dominierende Sprache eine Barriere dar, die sich aber punktuell überwinden ließ.

Gleich am Eingang zur Messe überraschte ein Stand mit Produkten, die alle ein Schild »Reencarnacion« trugen. Es war keineswegs ein esoterisches Unternehmen, sondern das Kollektiv Biciclot, das hier hübsche Taschen und Portemonnaies verkaufte, die in ihrem früheren Leben Fahrradschläuche waren, und Schmuck aus Fahrradketten. Normalerweise bietet die vor fast 30 Jahren gegründete Genossenschaft Kurse rund ums Fahrrad und eine offene Werkstatt an. Für die Errichtung eines neuen Fahrradzentrums, das sich gezielt an Benachteiligte wenden soll, wird sie von der Stadtverwaltung gefördert.

Öffentliche Mittel erhält auch die neu gegründete Kooperative Alencop. Sie wurde aus genossenschaftlichen Unterstützungszusammenhängen initiiert und bietet Unternehmen und Privatpersonen die kostenlose Abholung von Gegenständen aus Metall, Haushaltsgeräten, Batterien und Leuchtkörpern an. Diese werden mit Transport-Fahrrädern mit zusätzlichem Elektroantrieb abgeholt und der Wiederverwertung zugeführt. Fünfzehn Männer aus verschiedenen Ländern Afrikas haben einen bezahlten Arbeitsplatz in der Genossenschaft. Sie bekommen Fortbildungen und sollen nach und nach in die genossenschaftliche Mitverantwortung einbezogen werden. Perspektivisch wollen sie selbst recyceln und aufbereitete Gebrauchtwaren verkaufen.

Auch der gehobene Konsum mit Anspruch nahm einigen Raum ein auf der Messe. Edle Weine, guten Biokäse oder Vollkornbrot zu Preisen, die teils noch höher sind als in Bioläden in Deutschland, werden sich diejenigen, die unter den Folgen der Krise zu leiden haben, kaum leisten können. Dies soll als Kritik an den herrschenden Verhältnissen verstanden werden und richtet sich nicht gegen die engagierten Projekte. Zum Beispiel bietet das Bäckereikollektiv L'Aresta aus Tarragona, knapp hundert Kilometer südlich von Barcelona, neben leckerem Brot auch Kurse an Schulen an. Sie vermitteln Kenntnisse über die vielen Schritte vom Korn zum Brot, und gleichzeitig ökologische Einsichten und Wertschätzung für eine kleinbäuerliche Landwirtschaft.

Wer auf der FESC etwas kaufen wollte, musste zuerst Euros gegen Ecosols eintauschen, die einzige dort gültige Währung. Dafür gab es auch etwas zum Essen – dass manches schnell ausverkauft war, kann passieren. Dass aber ausgerechnet bei der FESC überwiegend Fleischliches angeboten wurde, erstaunt schon, zumal der Vegantrend in Barcelona schon vor vielen Jahren begann.

Veranstaltet wurde die Messe vom Xarxa d'Economia Solidària de Catalunya, dem Netzwerk Solidarische Ökonomie von Katalonien, kurz xes, mit Unterstützung der Stadtverwaltung von Barcelona. Diese hatte auch einen Messestand, und die Mitarbeiter*innen dort versicherten, dass sie zukünftig die Solidarische Ökonomie in Barcelona noch stärker unterstützen möchten. In Barcelona regiert seit Juni 2015 die Plattform Barcelona en Comú (Barcelona Gemeinsam), die ein Jahr zuvor als Wahlbündnis Guanyem Barcelona (Gewinnen wir Barcelona) gegründet wurde. Bei den Kommunalwahlen im Mai 2015 erhielt sie die meisten Stimmen, jedoch keine absolute Mehrheit. Barcelona en Comú setzt sich für soziale Rechte und Demokratie ein und knüpft an die Platzbesetzungen der 15M-Bewegung an, ähnlich wie politisch erfolgreiche Bewegungen in anderen spanischen Städten, zum Beispiel Ahora Madrid oder Zaragoza en Común. Die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, kommt aus der globalisierungskritischen Bewegung und engagierte sich zuletzt in der PAH (Plataforma de Afectados por la Hipoteca), dem Netzwerk der Geschädigten, die ihre Wohnungen verlieren, weil sie die Bankkredite nicht zurückzahlen können.

Barcelona en Comú versteht sich als Basisbewegung und legt großen Wert auf Partizipation. Fast 9.000 Mitglieder haben sich registriert, einen Beitrag müssen sie nicht bezahlen. Allerdings sind die Mitbestimmungsmöglichkeiten bisher beschränkt, denn das Regieren fordert alle Energien. Zusätzlich tritt Barcelona en Comú zu den Spanischen Parlamentswahlen am 20. Dezember 2015 in Katalonien als En Comú Podem gemeinsam mit der deutlich hierarchischer organisierten Partei Podemos an. Der Wahlkampf erzeugt Sachzwang und Zeitdruck, daher muss die Entwicklung der internen Strukturen warten. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich die Stadtpolitik mit einer Basisbewegung »an der Macht« und der ersten weiblichen Bürgermeisterin Barcelonas weiterentwickeln wird.



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