Ich bin arm, ich bin reich

Gedanken zu chaotisch strukturierten Geldangelegenheiten

 

Kontostand: 2.756,25 EURO. Gehört aber nicht mir. Oder doch? Teilweise? Eigentlich alles?

Von Theresa Kristina Stöckl, »Hofkollektiv Zwetschke« Wenn ich von unserer solidarischen Ökonomie erzähle, werde ich oft gefragt: »Und da zahlst du alles ein?« Woraufhin ich erkläre, ja alles, es gibt gar nichts »anderes« wofür oder wo ich sonst »einzahlen« würde. Dann werde ich meistens gefragt, was ich davon alles bezahle. Alles? Ja, wirklich alles. Ja, auch wenn ich auf Urlaub fahre oder einen neuen Computer brauche. Die Fragestellung geht fast immer davon aus, dass ich alles »hergebe«. Ich glaube, noch nie hat mich jemand dahingehend gefragt, was ich alles »bekomme«, also alle Einnahmen, die von anderen meiner Gruppe auf dem Konto landen. Ist die Angst immer schneller als das Vertrauen?

Was gehört dann also mir? Wir berechnen keine Anteile, es gibt keine fixen Beträge oder Einteilungen. Wenn mir nichts gehört, gehört mir genauso gut alles. Wie ich das nun sehe? Es ist mir eigentlich total egal. Die Besitzfrage stellt sich in diesem Sinn nicht. Vielleicht ist es das, was wir mit den schönen Schlagwörtern »solidarisch«, »hierarchiefrei« und »bedürfnisorientiert« meinen: Geld bekommt erst dadurch einen Wert, dass ich es benutze, dass ich dafür etwas bekomme, was ich brauche oder mag. Anspruch unserer Gruppe ist es, das für jede/n Einzelne/n von uns zu ermöglichen – alle sollen haben, was sie brauchen. Dazu ist es äußerst hilfreich, aus »meinem«, »ihrem« und »deinem« Geld einfach »unser« Geld zu machen. Schon allein deshalb, weil viele von meinen Bedürfnissen auch unsere sind.

Mehr oder weniger?

Es geht also genau nicht darum, mehr oder weniger zu haben oder zu besitzen. Vielleicht eher darum, genug zu haben. Dabei fragen wir uns aber nicht jede/r für sich, hab ich genug, sondern wir fragen uns zusammen, haben wir genug, hat jede/r genug. Genug, dass wir alles bezahlen können, was wir gerne tun würden oder brauchen. Haben wir genug, sodass sich alle wohl und sicher fühlen mit der Zahl am Kontoauszug. Wir können diese Fragen nicht immer mit ja beantworten, durchaus nicht. Aber wir versuchen, im Rahmen all unserer Möglichkeiten, dahin zu kommen.

So beziehe ich auch die Frage nach »viel« oder »wenig« nicht auf mich alleine. Letztes Jahr habe ich sehr viel Lohnarbeit gemacht, nie vorher hatte ich selbst, für mich allein gerechnet, mehr Einkommen. Gleichzeitig war unser Gesamtkontostand oft sehr niedrig und knapp, mehrmals Richtung Null tendierend. Null ist wenig für eine Person, für acht Personen auch. Während ich viel Einkommen hatte, hatte ich also meistens gleichzeitig das Gefühl, sehr sparsam leben zu müssen. Heuer mache ich weniger Lohnarbeit, habe einen niedrigeren Verdienst, gleichzeitig ist die finanzielle Gesamtsituation der Gruppe entspannter. Ich kann sogar leichter mal auf Urlaub fahren, Workshops machen, Bücher kaufen oder essen gehen, obwohl mein Einkommen nun geringer ist. Ja, ich habe mich damals auch öfter mal geärgert, dass ich »nix davon habe«, mehr Geld zu bekommen. Ja, ich genieße es jetzt, mich trotz geringerem Einkommen sicher fühlen zu können.

Was soll ich von alldem halten? Ist das nicht verwirrend?

Mir war immer klar, wofür ich mich entschieden habe und ich habe nie daran gezweifelt. Im Endeffekt hängt vieles, oder alles, damit zusammen, dass ich auf einem Hof lebe, der mich durch seine Schönheit bezaubert, und das in einer liebevollen Gruppe, die mich ebenso bezaubert, verwirrt, begeistert und fordert und ohne die so vieles niemals möglich wäre, was ich wirklich will und mir lange gewünscht habe. Sagen wir also so: es gehört alles irgendwie dazu, und ich möchte nichts davon missen, egal ob gerade mehr oder weniger (Geld, Stress, Arbeit, Spaß,...) dabei rauskommt.

Blick ins Chaos

Gibt es denn so etwas wie Überblick, wie viel Geld überhaupt da ist? Wie viel zum Beispiel für diesen Monat noch zur Verfügung steht? Oder was davon wofür ausgegeben werden kann/soll/darf?

Wir versuchen es, all das ist durchwoben von verschiedenen Strukturen. Doch immer wieder passiert es, dass plötzlich ganz wenig, viel zu wenig, kein Geld da ist. Oder umgekehrt, mehrere Gehälter sind noch nicht eingetroffen, es gab Mehrausgaben, trotzdem ist der Kontostand ungewöhnlich hoch. Warum? Um das zu verstehen, müssten wir wohl sehr genau rechnen. Will ich das? Nein, genau das eigentlich nicht. Für mich ist das sogar ein Grund unter vielen, warum ich mir ein Gemeinschaftsleben ohne Solidarökonomie nicht vorstellen kann – bei jeder Ausgabe müsste genau gerechnet und vor allem entschieden werden, wer wieviel wovon bezahlt. Abgesehen von einem unglaublichen Mehraufwand, wie sollte ich da jemals zu einer Bewertung gelangen, die mir gerecht erscheint? Ein gleicher Betrag oder gleicher Anteil ist nicht unbedingt gleich, wenn der Hintergrund, die Möglichkeiten und die Bedürfnisse ungleich sind.

»Nur« gemeinsame Kasse oder Solidarökonomie?

Zugegeben, als ich in die solidarökonomische Gruppe eingestiegen bin, hat es mich ein bisschen nervös gemacht, keinen so klaren Überblick mehr über die Finanzen zu haben, wie ich ihn alleine mit einem einzelnen Konto hatte. Ich habe gern Kontrolle und Klarheit über solche Dinge. Nun frag ich mich selbst, wohin ist die Nervosität gewichen? Hab ich sie vergessen, weil es so viel Spaß macht, für andere Leute Geld abzuheben oder bei einem gemeinsamen Abendessen im Restaurant die Rechnung nicht nach »wer hatte was« aufzuteilen, sondern nach »wer hat wie viel dabei«? Oder ein Geschenk für jemanden zu besorgen, die/der es genauso gut selbst vom gleichen Geld kaufen könnte, aber sich dann niemals so drüber freuen würde? Vielleicht all das. Stattdessen hat sich jedenfalls ein anderes Gefühl sehr stark breit gemacht: Vertrauen.

Wir haben nicht nur gemeinsame Finanzen, wir sind auch gemeinsam. Es ist nicht nur mein Problem, dass meine Stelle von einem Tag auf den anderen um die Hälfte gekürzt wurde. Nicht nur das, ich weiß nicht ob es überhaupt so ein großes Problem ist; es verursacht jedenfalls keine akute Finanzkrise.

Vielleicht habe ich keinen Überblick und verstehe auch nicht immer, wieso gerade wenig oder viel Geld da ist, aber ich fühle mich trotzdem sicher. Sogar viel sicherer, als ich es allein, mit mehr Überblick getan hab, nämlich irgendwie... langfristiger, dauerhafter. Egal was ist, ich werde nicht allein damit umgehen müssen. Ich muss zugeben, ich habe mich nie groß finanziell sorgen müssen. Ich bin viele Jahre mit sehr wenig Geld ausgekommen, zumindest im gesellschaftlichen Vergleich gesehen, per Definition hab ich wahrscheinlich noch nie über der Armutsgrenze gelebt. Ich habe mich aber immer sicher gefühlt, nicht nur, weil ich einen Überblick hatte und gut kalkuliert habe, sondern weil ich immer wusste, dass es Menschen gab, die hinter mir standen, und die mich stützen würden, wenn ich es bräuchte.

So gesehen waren es immer schon Menschen und das Vertrauen in sie, die mir finanzielle Sicherheit gaben, egal wie wenig oder viel Geld ich tatsächlich hatte. Das gemeinsame Wirtschaften in einer Gruppe, das Teilen unserer Einnahmen und Ausgaben, unserer Bedürfnisse und Ängste, unserer Kapazitäten, Fähigkeiten und Ressourcen, ist so gesehen eine Vertiefung, eine Weiterführung, eine bewusste Entscheidung und Schaffung von Strukturen für gegenseitige Solidarität.

Ökonomische Solidarität muss aber nicht auf so klaren Strukturen basieren wie bei uns. Ich kann mich erinnern, einer Freundin vor langer Zeit einmal Geld geborgt zu haben, als sie es brauchte. Ich brauchte es nie zurück. Ich kenne einige Menschen, die anderen einfach Geld schenken, wenn sie denken, dass die anderen es besser brauchen können. Ich habe Freunde, die immer die Rechnung bezahlen, wenn ich mit ihnen wohin gehe was trinken, weil wir alle wissen, dass sie viel mehr Geld haben als ich, und dass Geld dazu da ist, ausgegeben zu werden.

Eine Freundin lebt in einer Gemeinschaft im Senegal und hat mir vor kurzem davon erzählt. Es gibt dort keine gemeinsame Kasse oder Konto. Die Menschen haben auch sehr unterschiedlich hohe Einnahmen. Gleichzeitig braucht niemand Geld zu haben oder mitzubringen, um dort leben zu können. Wer keines hat, bittet jemand anders darum, oder gleich um die Gegenstände, die sie sonst damit kaufen würden. Es entsteht ein offenes Tauschen, Borgen, Schenken, Weitergeben, das auch meine Freundin nicht ganz durchschaut. Manchmal scheint es Hierarchien zu geben, manchmal nicht. Auch hier ist es ein Netzwerk aus Menschen, das Sicherheit gewährt.

Aber wo sind die Grenzen eines solchen Netzwerks? Warum sind wir innerhalb unserer Gruppe solidarisch und grenzen uns nach außen hin genauso ab? Tun wir das überhaupt oder sind wir offen? Natürlich hat das viel mit Organisation, Überschaubarkeit und unseren Wahrnehmungsgrenzen zu tun, die ja auch das gegenseitige Vertrauen und damit die Sicherheit bedingen. Dennoch beschäftigt es mich manchmal, ich frage mich, was könnten wir »nach außen« tragen, ich wünsche mir, ich wünsche allen, ich wünschte es gäbe mehr... Vertrauensnetzwerke... Unterstützung... dadurch Erweiterungen des Möglichkeitshorizonts... und vielleicht könnte das das gegenseitige Vertrauen und den Blick auf das wirklich Wesentliche und Wichtige stärken, sodass die Angst etwas weicht, die Angst vor den Anderen, vor dem Fremden, vor dem Verlieren, vor dem Wegnehmen. So, jetzt bin ich träumerisch, nostalgisch, vielleicht utopisch abgebogen in meinen Gedanken. Das tut auch manchmal einfach gut, neben all der alltäglichen Selbstverständlichkeit in einer bedürfnisorientierten Solidarökonomie.



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