Widerstand gegen Atombomben in der Eifel

Blockaden-Bilanz von »büchel65«

»An möglichst vielen von 65 Tagen blockieren unterschiedliche Gruppen jeweils für einen Tag die Zufahrten zum Fliegerhorst Büchel.« So hieß es in dem Aufruf von »büchel65«, einer Initiative aus der Antiatom- und Friedensbewegung. Zwischen 26. März und 29. Mai 2015 sollte auf diese Weise mit dem Mittel des Zivilen Ungehorsams auf das fortbestehende Unrecht der immer noch in Deutschland lagernden US-Atomwaffen hingewiesen werden. Täglich üben hier Piloten der Bundeswehr mit ihren Tornados den Atomkrieg.

Von Ernst-Ludwig Iskenius, Orga-Team »Büchel65«l Das Spektrum der Gruppen, die diesem Aufruf gefolgt sind, war breit gestreut: Friedens- und Antiatom-Initiativen aus Rostock, Kiel, Hamburg, Bremen, Berlin, dem Wendland, Nottuln, Mannheim, Saarbrücken, Mainz, Köln, Trier, Stuttgart und Mutlangen reisten in größeren und kleineren Gruppen an, musizierten, sangen und lasen Texte vor. Ein Freundeskreis blockierte einen Geburtstag feiernd das Haupttor. Es wurde ein Gottesdienst vor verschlossenem Haupttor abgehalten. In einer Brauchtumsblockade wurde ein Maibaum direkt vor der Haupteinfahrt zum Fliegerhorst errichtet. AktivistInnen des »Junepa-Netzwerkes« (Jugendnetzwerk für politische Aktionen) versperrten mit hohen Dreibeinen (Tripods) die Zufahrt. Selbstverwaltete Betriebe aus Köln machten ihren speziellen Betriebsausflug mit Sofa und Sessel direkt vor das Haupttor. Mitglieder der IPPNW (Internationale Ärzte in sozialer Verantwortung) beteiligten sich – zum Teil in ihrer Berufskleidung – an den Protesten. Der »Versöhnungsbund« unterbrach seine Jahrestagung für eine Blockadeaktion, bei der das gesamte Gelände über zwei Stunden völlig verschlossen war. Zweimal reisten französische Gruppen an und machten mit Theater auf das bedrückende Thema aufmerksam. Eine Gruppe der »Lebenslaute« bot zum dritten Mal ein eindrucksvolles Konzert. Unter den Blockadegruppen fand sich auch eine Familie mit ihren Kindern ein, die einfach zeigen wollte, wie sie ohne ständige Atomwaffenbedrohung in Zukunft leben will.

Höhepunkt war die Abschlussblockade, auch Zahnbürstenblockade genannt. Um zu unterstreichen, dass sie das todbringende Unrecht hinter dem Militärzaun nicht länger hinnehmen, blockierten 30 Aktivist*innen trotz ausgesprochenem Platzverbot immer wieder. Sie nahmen die möglichen Konsequenzen von Ingewahrsamnahme durch die Polizei und juristischer Verfolgung bewusst in Kauf. Mehrere Stunden mussten sie in den bereitgestellten Gefangenenbusse ausharren, bis sie wieder auf freiem Fuß waren.

Positive Bilanz


Nach 31 Blockadetagen mit Beteiligung von 400 Aktivist*innen und 35 Blockadegruppen können wir positiv bilanzieren: Es ist gelungen, an drei oder vier Arbeitstagen in jeder Woche den Betrieb der Militärs zu stören. Oberst Andreas Korb drückte sich in einem Interview mit der »Rhein-Zeitung« zurückhaltend aus: »Es bringt schon ein bisschen Unruhe in den normalen Tagesablauf rein. Den Dienstbetrieb hat es aber nicht so beeinflusst. Wir haben in Folge der Aktion »büchel65« nicht einen geplanten Flug ausfallen lassen müssen. Wir haben lange mit der Polizei besprochen, wo und wann welches Tor aufgemacht werden kann. Weil bei einigen Gruppen latent zumindest die Gefahr bestand, dass sie auf Go-in Aktionen aus sind, haben wir die Wachen verstärkt.« Verschwiegen hat Korb, dass die Bundeswehr ein wichtiges Tor, das Lützerather Tor, im Vorfeld selbst mit Betonblöcken und Bauzäunen verrammelt hatte und sämtliche Soldaten und Angestellte des Fliegerhorsts fast jeden Morgen durch ein Spalier von Transparenten, Friedensfahnen und Aktivist*innen fahren mussten. So wurden diese Tag für Tag auf ihre Beteiligung am Atomwaffen-Unrecht aufmerksam gemacht. Gestört hat die Bundeswehr wohl auch die Wahrheit, die auf einem Transparent für alle vorbeifahrenden Autofahrer*innen an der nahen Bundesstraße sichtbar aufgestellt worden war: »Hier üben deutsche Soldaten auf NATO-Befehl US- Atombomben abzuwerfen. Das ist verfassungswidrig und verstößt gegen Völkerrecht. Wir leisten Widerstand«. Nach 24 Stunden ließ der Kommandeur es durch die Polizei von dieser Stelle entfernen. Das Transparent tauchte von da aber an regelmäßig wieder vor dem Haupttor auf. Wie einige Aktivist*innen erfuhren, wurden die Blockadeaktionen, negativ wie positiv, durchaus von den Beschäftigten im Militärstützpunkt registriert. Auch wenn die meisten in ihren Autos wie erstarrt an den geräumten Blockadeteilnehmer*innen vorbei fuhren. Einige machten aber auch ihrem Ärger Luft, andere winkten wiederum freundlich den Aktivist*innen zu.


Das Konzept ging auf


Mit nur wenig Geld und nur kleinem, aber sehr engagierten Orga-Team gelang eine gute zweimonatige Kampagne. Angesichts des entlegenen Eifelortes Büchel war die 65tägige Dauer-Mahnwache auf einer Wiese direkt am Haupttor des Fliegerhorstes der Schlüssel zum Erfolg. Die Mitglieder des Orga-Teams hatten dort eine Infrastruktur mit Wohnwagen, Zelten und Kompostklos geschaffen. Die einzelnen Gruppen übernahmen stets in hohem Maße Eigenverantwortung für ihre Blockadeaktion, aber kaum jemand aus den beteiligten Gruppen kannte sich vor Ort aus, noch waren diese vertraut mit der Polizeitaktik. Durch zahlenmäßige Übermacht sollten die Gruppen nämlich eingeschüchtert und so verhindert werden, dass Blockierende überhaupt bis an das Haupttor gelangten. Deshalb war stets eine gute Vorbereitung erforderlich, damit eine Blockade gelingen konnte. Dazu gehörten die Anreise einen Tag vorher und ein konzentriertes Vorbereitungstreffen für alle. Dies dauerte nicht selten bis tief in die Nacht. Die Mühe hat gelohnt.

Für viele Teilnehmer*innen, vor allem jüngere, war der Protest durch gewaltfreie Blockaden, bei denen auch der Gegner mit menschlichem Respekt behandelt wird, neu. Sie hatten oft negative, konfrontative Erfahrungen mit der Polizei gemacht. »Für mich war es eine sehr gute Erfahrung, mal zu erleben, dass man die Polizisten nicht nur als Gegner, vor denen ich mich schützen muss oder nur weglaufen kann, erfahren konnte, sondern dass man auch mit ihnen reden konnte«, berichtete ein junger Aktivist in der Nachbesprechung. Und von einem Polizeibeamten wiederum war zu hören, hier sei der falsche Demonstrationsort; wir sollten doch besser vor dem Kanzleramt in Berlin demonstrieren. Da würde er sich sogar beteiligen. Denn gegen die Atombomben sei er ja auch. Die gemeinsamen Aktionen von »büchel65« gaben den Teilnehmer*innen Mut und ein Gefühl von Empowerment zurück, die sie auch in ihren Alltag mitnehmen konnten. Trotz der Mühe von zwei anstrengenden Tagen, verbunden mit oft langer Anfahrt, wollten viele nächstes Jahr wieder dabei sein.


Die Öffentlichkeit


Anstatt die Brisanz von Atomwaffen auf deutschem Boden aufzugreifen, anstatt zu enthüllen, dass Bundeswehrpiloten Tag für Tag den Atombomben-Abwurf trainieren, schweigen die Mainstream-Medien. Dem wollten wir mit »büchel65« entgegentreten. In den letzten Jahren gab es immer wieder vorbildliche Aktionen von Zivilem Ungehorsam, vor allem von der »Gewaltfreien Aktion: Atomwaffen Abschaffen« (GAAA). Aber es wurde nicht nennenswert berichtet, auch nicht über die bemerkenswerte 24-Stunden-Musikblockade im Jahre 2013. Schon durch die Aktionsform der Einladung an Gruppen aus verschiedensten politischen Spektren wurde diesmal schon im Vorfeld das Atomwaffenthema breiter gestreut. Viele der teilnehmenden Gruppen haben in ihren Städten und Wohnorten ihre Aktionen angekündigt und später einen Erfahrungsbericht mitsamt Foto in ihren örtlichen Zeitungen platzieren können. Die Mauer des Schweigens konnte an verschiedenen Stellen durchbrochen werden. Dies kann wiederum für weitere Atomwaffenproteste (70 Jahre Hiroshima und Nagasaki) genutzt werden,

Die Berichterstattung in der Region wurde durch »büchel65« sehr belebt. Mehrmals erschienen zu den einzelnen Blockadeaktionen Artikel in der örtlichen und regionalen Presse. Atomwaffen und der größte Arbeitgeber in der Region, der militärische Fliegerhorst, wurden dort bisher nicht zusammengebracht. Vielmehr wurden die Atomwaffen in der Regel verschwiegen. Das konnte nun teilweise durchbrochen werden. Für die wenigen aktiven Atomwaffengegner*innen in der Region selbst bedeutet das einen Aufschwung. Manche von ihnen haben an den Aktionen auch persönlich teilgenommen. Die Chancen, dass sich eine neue Bewegung in der Südeifel bildet, sind gestiegen. Dass durch die »büchel65«-Proteste auch nicht »Chaoten« und »Unruhestifter« über die Region herfallen, wurde immer wieder eindrucksvoll erlebt. »Für mich war es schon bewundernswert zu sehen, wie die alte Frau bei der Kälte und dem Schneeregen über Stunden vor dem Tor auf ihrem Stühlchen saß, jedes Mal, wenn ich vorbeikam «äußerte sich beispielsweise einer der Anwohner des Fliegerhorstes über eine 84-jährige Rostockerin, die an der 2. Blockadeaktion noch im März teilnahm. Und es äußerten sich auch etliche Polizist*innen beeindruckt von dem Engagement einer blockierenden hochbetagten Bonnerin.

Überregional war das Interesse der Medien anfangs – auch durch die systematische Pressearbeit – hoch. Der »Deutschlandfunk« und das »SWR2«-Fernsehen brachten mehrere Berichte von der Auftaktblockade. Trotz der sich zuspitzenden internationalen Lage und der scheiternden NPT (Nonproliferation-Treaty)-Konferenz in New York ließ das Interesse jedoch wieder nach. Der Bundestag hat im Jahre 2009 den vollständigen Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland beschlossen. Die Bundesregierungen ignorieren ihn jedoch, wollen vielmehr an der völkerrechtswidrigen »atomaren Teilhabe« festhalten. Leider konnte (noch) nicht erreicht werden, dass von diesem Skandal in den großen Zeitungen zu lesen ist.

Ausblick


»büchel65« war gedacht als eine sich steigernde Beharrlichkeit des gewaltfreien Widerstandes gegen die Atomwaffen in Deutschland. Als Angebot an Gruppen und Einzelpersonen, die bisher nur wenig Erfahrung mit Aktionen des Zivilen Ungehorsams gemacht haben, war die Aktionsform »büchel65« sehr geeignet, diese Form politischen Widerstandes populärer zu machen. Wir hoffen auf die beteiligten Gruppen, dass sie nun im Schneeballsystem weitere Personen und Menschen aktivieren können.

Eine breite juristische Verfolgung ist bisher ausgeblieben. Es wurden nur wenige Anhörungsbögen verschickt. Bei zwei Bescheiden zur Bezahlung der Ingewahrsamnahme-Kosten haben die Betroffenen Widerspruch eingelegt. Vier Personen haben Beschwerde wegen grober schmerzhafter Übergriffe einzelner Polizist*innen eingereicht. Wir begleiten sie weiterhin in ihren Verfahren. Systematische Polizeigewalt haben wir aber nicht feststellen können. Dazu beigetragen haben im Vorfeld und während der »büchel65«-Kampagne sicherlich die intensiven deeskalierenden Gespräche mit der Polizei.

Darauf lässt sich in den Planungen für nächstes Jahr aufbauen. Nicht alle im Orga-Team werden wieder dabei sein. Verstärkung wird gesucht.l

Weitere Informationen und Bildergalerien:

www.büchel-atomwaffenfrei.de/buechel65

Ernst-Ludwig Iskenius ist aktiv in der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.) und im »büchel65«-Orga-Team.


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