Queer in Kommunen – so einfach ist es nicht

Kommune - solidarische Gemeinschaft oder exklusiver Club?

Als kommuneinteressierte Person machte ich mich vor einiger Zeit auf die Suche nach einer Gemeinschaft, in der ich leben und wirken möchte. Viele der Kommunard_innen schreiben in ihrem Selbstverständnis, dass sie hierachiearm, gleichberechtigt und solidarisch zusammen leben wollen. Immer wieder wird der Anspruch formuliert, bestehenden Diskriminierungsstrukturen wie Rassismus, (Hetero-)Sexismus und Klassismus kritisch zu begegnen. Soweit alles gut. Doch reicht es, zu proklamieren, mensch sei allgemein gegen Diskriminierung? Wie steht es um die Reflexion des eigenen Einbezogenseins in diskriminierende Strukturen?

Von Kim Reh, Köln Linkspolitische Kommunen treten vielfach an, den neoliberalen, kapitalistisch durchtränkten Strukturen etwas entgegen zu setzen. Gemeinsame Ökonomie, Selbstverwaltung und ein solidarisches Leben in Gemeinschaft seien als Stichworte genannt. Zu glauben, mensch sei durch den vermeintlichen 'Ausstieg' aus der kritisierten Gesellschaft von deren gewaltvollen, diskriminierenden Strukturen gänzlich losgelöst oder gar befreit, wäre jedoch ein Kurzschluss. Auch Kommunard_innen sind gesellschaftlich geprägt, auch sie haben Normierungen und Ungleichheitsvorstellungen verinnerlicht und sich - mithin unwillentlich- zu eigen gemacht. Sie sind gesellschaftlich unterschiedlich verortet - beispielsweise als Cis-Mann, Weiße_r, Bildungspivilegierte_r oder als körperlich Befähigte_r. Diese Subjektpositionen stehen strukturell in einem hierarchischen Verhältnis zueinander. Auf Gender bezogen sind das Cis-Mann - Cis-Frau, Cis-Mann/-Frau - Trans*/Queer, Heter@ - SchwulLesbisch/Queer/Bi. Diese Ungleichheit wird gesellschaftlich durch Diskriminierung und Unterdrückung aufrechterhalten, wie Iris M. Young es in ihrem Aufsatz "Fünf Formen der Unterdrückung" darlegt.

Der Schein trügt

Als trans-idente und queerfeministisch ausgerichtete Person erlebe ich in Kommunen eine proklamierte Offenheit, der es jedoch bei näherem Hinsehen häufiger an Reflexion der eigenen Position fehlt. Das drückt sich für mich zum Beispiel in der 'selbstverständlichen' Annahme von Kommunard_innen aus, ich sei eine heterosexuelle Cis-Frau. Für mich bedeutet das, dass ich unsichtbar bleibe, wenn ich nicht offensiv meinen Raum als genderqueere Person einnehme und immer wieder einbringe, dass meine Position bitte auch bedacht wird.

Zwar liest es sich schön, wenn Kommunen auf ihren Homepages queere Menschen willkommen heißen - konkret erfahre ich dann jedoch oft, dass real (fast) nur heterosexuelle Cis-Männer/-Frauen in den Kommunen leben. Ist nicht das Fernbleiben von Queers und Trans*, People of Color, oder körperlich anders Befähigten schon Zeichen einer exklusiven, ausgrenzenden Praxis der Kommunen? Auch Deprivilegierte haben prinzipiell Interesse an einem Kommuneleben - sie bleiben diesen aus für Privilegierte nicht direkt zu erkennenden Gründen fern. Ruth Frankenberg interviewte 1996 in diesem Zusammenhang wohlsituierte, weiße Frauen über rassistische Ereignisse in ihrem Viertel. Die Frauen antworteten ihr, dass sie keine Erfahrung mit Rassismus hätten - in ihren Vierteln würden keine Schwarzen leben. Offen rassistische Verhaltensweisen seien erst aufgetaucht, als eine schwarze Familie in das Viertel ziehen wollte.

Privilegien sehen und reflektieren

Aus rassismuskritischer Sicht kann anhand des Beispiels von Ruth Frankenberg aufgezeigt werden, dass die privilegierte Position eines weißen Viertels nicht durch Zufall entsteht. Vielmehr ist sie Ergebnis einer rassistischen Praxis, durch die Weiße sich von People of Color abgrenzen. Das Fernbleiben von Deprivilegierten basiert auf einer langen Tradition diskriminierender Handlungen. So entsteht ein Raum, der für Diskriminierte aufgrund der drohenden Diskriminierung wenig attraktiv ist.

Ein weiterer Aspekt vermeintlicher Kontaktlosigkeit zwischen Privilegierten und Deprivilegierten ist die Unsichtbarkeit. Judith Butler spricht in diesem Zusammenhang von Privilegierung als Sichtbarkeit: gesellschaftliche Positionen, die als 'normal', 'selbstverständlich' und allgegenwärtig wahrgenommen werden, erhalten eine große Sichtbarkeit. Die normativen Subjektpositionen von Cis-Mann - Cis-Frau sind klar voneinander abgegrenzt. Daneben gibt es jedoch auch andere Positionen, die marginalisiert auf den Grenzen zwischen verschiedenen Subjektpositionen entstehen: auf Geschlecht bezogen können es Trans-Männer/-Frauen oder trans-idente, queere Menschen sein. Um die hegemoniale Stellung der Cis-Männer/Frauen zu halten, werden die von der Norm abweichenden Positionen zum Schweigen gebracht und unterdrückt, wie im aktuellen Diskurs um sexuelle Vielfalt an Schulen deutlich wird. Die diskriminierten Menschen, die nicht hegemonial repräsentiert werden, haben das Problem, dass über sie nicht in der Schule, im Fernsehen, im Theater, in Musik, in Alltagsgesprächen berichtet wird - sie sind unsichtbar. Obwohl sie existieren, sind sie im hegemonialen Diskurs nicht präsent. Praktisch vermittelt: Wer von Euch ist selbstverständlich mit mehreren nicht-heterosexuellen Rollenvorbildern aufgewachsen? Gar mit Transgendern?

Ich erlebe das mögliche Zusammenleben mit Menschen, die sich noch keine Gedanken über ihre Privilegien als 'Kartoffeln', Weiße, Besitzer_innen eines deutschen Passes, Heter@s, Cis-Frauen/-Männer, Bildungsbürger_innen gemacht haben, als Bedrohung: Kommunen, die (fast) ausschließlich aus einer Gemeinschaft von Privilegierten bestehen, können in meinen Augen nicht den Anspruch erheben, den herrschenden Strukturen eine real solidarische Gemeinschaft entgegen zu setzen. Vielmehr sind es Menschen, die in bester Absicht handeln, jedoch in ihrem Alltag als Teil eines ausgrenzenden, diskriminierenden Zusammenschluss von Menschen implizit unreflektiert und gewalttätig agieren. In einer solchen Gemeinschaft zu leben, ängstigt mich, da ich vor Diskriminierungen nicht geschützt und unsichtbar bin.

Was tun?

Um eine solidarische Gemeinschaft zu ermöglichen, schlage ich zwei Schritte vor, die ich im Folgenden erläutern werde.

Erstens wünsche ich mir, dass Menschen, die ein solidarisches Leben anstreben, sich die Frage stellen, wie sie persönlich gesellschaftlich positioniert sind: Ein Mensch kann in bestimmten Kategorien diskriminiert werden. So kann eine Cis-Frau sexistische Diskriminierung durch Cis-Männer erfahren. Andere Kategorien (z.B., dass diese Frau heterosexuell und cis ist) scheinen in ihrer Welt vielleicht nicht von Relevanz zu sein. Letzteres könnte als Zeichen verstanden werden, in diesen Kategorien privilegiert zu sein. Erst einmal ist es natürlich nett, nicht von Diskriminierung betroffen zu sein. Man muss allerdings nicht aktiv diskriminieren, um dennoch Anteil an Ungerechtigkeit und Diskriminierung zu haben. Die eigene Freiheit von Diskriminierung (und damit Freiheit zu uneingeschränkter gesellschaftlicher Teilhabe) wird durch den Gewinnanteil verwirklicht, den Privilegierte (auch ungewollt) als Mitglied im 'privilegierten Club' erhalten. Privilegien heißen so, weil sie nicht für alle verfügbar sind. Die eigene Bevorzugung wird also durch die Unterdrückung anderer Menschen ermöglicht. Folglich reicht es nicht, etwas für 'die Anderen', die Diskriminierungserfahrenen, zu tun, indem mensch rassismus-, sexismus-, oder klassismuskritisch auftritt. Es bedarf stets der Frage, wie ich persönlich zu diesem Thema positioniert bin: Wo stehe ich gesellschaftlich in Bezug auf eine bestimmt Kategorie und was bedeutet das für meinen Bezug zu dem Thema? Es bedeutet auch, dass Diskriminierung und Privilegierung je nach Kategorie wechseln - mal bin ich privilegiert, mal deprivilegiert. Die Deprivilegierung in einer Kategorie erlaubt mir nicht, Thematisierungen anderer Diskriminierungsformen, innerhalb derer ich privilegiert bin, zu unterbinden oder durch Sätze wie "wir werden doch alle irgendwo diskriminiert", zu delegitimieren. Die eigene Biographie und den Blickwinkel auf die Welt kritisch in Bezug auf Privilegien zu reflektieren, kann anstrengend sein. Es ist einfacher, sich selbst als sowieso schon offen zu proklamieren. Wichtig wäre hier, Verantwortung zu übernehmen. Dies kann durch eine aktive, reflektierte Auseinandersetzung mit Privilegierungen wie Whiteness, Männlichkeit, Heteronormativität, Cis-Positionen, Bildungsprivilegien und körperlicher Befähigung geschehen. Diese Auseinandersetzung legt den Grundstein für ein solidarisches Handeln. Ich schlage für Kommunen diesbezüglich die Teilnahme an Workshops zu den entsprechenden Themen vor.

Um die Sichtbarkeit von deprivilegierten Positionen in Kommunen zu fördern, spreche ich mich zweitens für eine Quotierung aus - d.h., ein Einzugsstopp für die Menschen, die überproportional in der entsprechenden Kommune vertreten sind (meist Heter@s, Weiße, Cis-Männer/-Frauen, körperlich Befähigte und Menschen, die in einem alternativen, bildungsprivilegierten Elternhaus aufwuchsen). Stattdessen wird explizit nach unterrepräsentierten Menschen gesucht (meist LesbenSchwuleBi's, People of Color/Migrationserfahrene, Queers und Trans*, körperlich anders Befähigte und Bildungsdeprivilegierte). Durch die Quotierung wird verhindert, dass sich nur Kommuneinteressierte mit hoher Privilegiendichte - wie etwa heterosexuelle, bildungsprivilegierte Cis-Paare mit Kind - melden und in die Kommune einziehen.

Kommunard_innen, die sich beim Lesen dieser Zeilen aufgrund ihrer Privilegien benachteiligt fühlen, sei gesagt: Bitte vergegenwärtigt euch, dass ihr Zugang zu und Teilhabe an gesellschaftlichen Bereichen habt, die Deprivilegierten verschlossen bleiben. Eine egalitäres Miteinander kann nur gelingen, wenn Privilegierte durch Powersharing ihre Privilegien teilen und Empowermentstrategien der Diskriminierten zulassen. Vielleicht könnt ihr in Anschluss an den Gedanken der Umverteilung, wie ihn Nancy Fraser 2003 formulierte, erkennen, dass die gewünschte Einschränkung sinnvoll für ein diskriminierungsärmeres Zusammenleben ist.

Die Quotierung kann der Ungleichheit und Diskriminierung etwas entgegensetzen. Wird die Quotierung durch einen entsprechenden erklärenden Text auf der Website der Kommune ergänzt, ist zu hoffen, dass eine positive Signalwirkung an Deprivilegierte entsteht. Auf diese Weise könnte Diskriminierungserfahrenen vermittelt werden, dass sie nicht nur abstrakt willkommen sind, sondern real, kommuneintern, daran gearbeitet wird, ihnen ein sicheres, diskriminierungsarmes Lebensumfeld zu schaffen.

 

Begriffserläuterungen

Cis-Mann: (cis = lat. »diesseits«) Mensch, der als Mann leben soll und das auch will

Cis-Frau: Mensch, der als Frau leben soll und das auch will.

Trans-Frau: Mensch, der als Mann leben soll, aber als Frau leben will.

Trans-Mann: Mensch, der als Frau leben soll, aber als Mann leben will.

Trans-ident: Mensch, dessen Geschlechtsidentität von dem gesellschaftlich zugewiesenen Geschlecht abweicht. Die eigene Geschlechtsidentität kann auch jenseits der Einteilung in Mann* oder Frau* liegen.

Queer: Mensch, der sich der Einteilung in ›normale‹ und ›unnormale‹ Lebens- und Begehrensformen widersetzt.

Inter*: Mensch, dessen Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig ›männlich‹ oder ›weiblich‹ sind. Es bedeutet nicht immer, dass sie sich den Geschlechtszuweisungen Mann oder Frau zuordnen wollen.

People of Color: Selbstbezeichnung von schwarzen Menschen; nicht mit Hautfarbe gleichzusetzen.

Bildungsprivilegierte_r: Person, die im Elternhaus die Art der Bildung und Prägung erhalten hat, die anschließend in der Schule/Ausbildung/Arbeitswelt honoriert wird.

Gender-Gap (_): Zeigt auf, dass es neben Cis-Mann und -Frau weitere Gender gibt.

Sternchen (*): wird vielfältig eingesetzt, z.B. um zu zeigen, dass Gender konstruiert sind, aber auch, um darzulegen, dass es viele verschiedene Selbstbezeichnungen von trans* gibt, die nicht alle in die Zweigeschlechterlogik passen.

 

Literatur

Butler, Judith: Außer sich: Über die Grenzen sexueller Autonomie, in: dieselbe (2009): Die Macht der Geschlechternormen, Suhrkamp: Frankfurt/Main, 35-70

Elvau, Ilka (2014): Inter*Trans*Express. Eine Reise an und über Geschlechtergrenzen, Münster : Edition Assemblage

Fraser, Nancy/Honneth, Axel (2003): Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse, Suhrkamp: Frankfurt/Main

Frankenberg, Ruth: Weiße Frau die en, Feminismus und die Herausforderung des Antirassismus, in: Fuchs, Brigitte/Habinger, Gabriele (Hg.) (1996) Rassismen und Feminismen. Differenzen, Machtverhältnisse und Solidarität zwischen Frauen, Promedia: Wien, 51-66

Young, Iris M.: Fünf Formen der Unterdrückung, in: Horn, Christoph/ Scarano, Nico (Hg.) (2002): Philosophie der Gerechtigkeit. Texte von der Antike bis zur Gegenwart, Suhrkamp: Frankfurt/Main, 428-445

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