Einstiegsverfahren

 

Wie gelange ich in die Kommune meiner Wahl?

 


Beim Finden „meiner Kommune“ war mir der Zufall behilflich. Nach politisierenden Studi-WG-Zeiten im Berlin der 90er Jahre, war mir klar, dass ich nicht wieder in bürgerliche Kleinfamilien-Verhältnisse zurück wollte. Wagenplätze, Hüttendörfer und das Leben auf dem Lande faszinierten mich – öko, alternativ und irgendwie links sollte es sein. Auf meiner Suche war ich in Verden an der Aller gelandet, wo es bis heute viele Ökogruppen und -WGs gibt.


UWE CIESLA, REDAKTION FINKENBURG Eines schönen Tages hatte sich meine Umweltgruppe für ein Treffen bei dem nahegelegenen Kommuneprojekt Finkenburg (zwischen Bremen und Verden) eingemietet. Ich hatte in Verden bereits öfter von der Finkenburg gehört, war aber noch nie persönlich dort gewesen. Als ich beim Frühstück vor dem Wochenende in der aktuellen taz blätterte, stieß auf eine Kleinanzeige, mit der die Finkenburg nach neuen Bewohner_innen suchte. Gespannt machte ich mich auf den Weg auf immer kleiner werdenden Straßen, bis wir auf einem einsamen Weg über den Deich in die Wesermarsch zur Finkenburg gelangten. Fasziniert stand ich vor dem großen alleinstehenden Niedersachsenhof, der den Begriff »Burg« nur im Namen trägt. Meine Bewunderung für die Gründer_innen, die noch zu Studizeiten an der Bremer Uni, gemeinsam dieses imposante Gebäude erworben hatten, um hier das Kommuneprojekt zu starten, war groß. Erst durch den Kontakt zu einem jüngeren Kommunarden traute ich mich nachzufragen, ob ein Einstieg für mich möglich wäre und was ich dazu tun müsse. Tim war begeistert und ermutigte mich, nach dem Wochenende nochmal zu einem Kennenlernbesuch zu kommen und für ein sogenanntes Probewohnen anzufragen.


Probezeit und Probewohnen

Dazu sind Einstiegsinteressierte für eine Woche Gast in der Gruppe und beide Seiten lernen sich unter Realbedingungen gegenseitig kennen, bevor es zu einem Einzug kommt. Ich bemühte mich während dieser Zeit darum, in Kontakt zu allen Bewohner_innen zu kommen, besonders auch zu denen, bei denen es mir auf den ersten Blick nicht so leicht fiel, denn insbesondere die wollte ich von meinem Einstieg überzeugen.

Da über Einzüge, genau wie über alle anderen Fragen, im Konsens entschieden wird, könnte eine Gegenstimme reichen, um meinen Einstieg abzulehnen.

Durch meine Gespräche hatte ich jedoch ein optimistisches Gefühl für das folgende Plenum, an dem über mein Anliegen entschieden werden sollte. Zu Recht wie sich zeigte: Ungewöhnlich eindeutig für die damalige Zeit fiel das Votum aus und ich konnte mit Sack und Pack auf die Finkenburg ziehen. »Vollmitglied« sollte ich jedoch erst nach einem halbe Jahr Probezeit werden. Die stellt für die bisherigen Bewohner eine Art Bestandsschutz dar: Wenn es innerhalb dieser sechs Monate zu unverrückbaren Konflikten kommen sollte, wäre ich im Zweifelsfall die Person, die gehen muss. Nach dieser Zeit, muss frei verhandelt werden wer auszieht, falls zwei oder mehr Personen zu der Erkenntnis gelangen, dass sie nicht mehr zusammen leben können oder wollen.


Einstieg in die gemeinsame Ökonomie

Die Beendigung der Probezeit ist in den meisten Kommunen auch der Zeitpunkt, an dem Sparguthaben in das Gemeinschaftsvermögen eingebracht werden. In der Finkenburg geschah dies damals in Form von Krediten, die im Falle eines Ausstieges wieder zurückgezahlt wurden. Verbreitet ist in anderen Gruppen auch die Zahlung eines von dem eingebrachten Geld unabhängigen Ausstiegskapitals, das sich statt dessen an den Bedürfnissen und Notwendigkeiten für einen Neuanfang der Person orientiert. Damit sollen Ungleichheiten aus der Vorkommunezeit ausgeglichen werden. Es gibt auch Mischformen der beiden Varianten, bei denen das Geld z.B. schrittweise anhängig von der Dauer der Zugehörigkeit vergemeinschaftet wird.


Weitere Einstiegsverfahren

Das geschilderte dreistufige Einstiegsprozedere, Kennenlernen, Probewohnen und Probezeit ist in der Kommuneszene relativ verbreitet, auch wenn es dabei je nach Gruppe verschiedene Ausprägungen gibt. So gibt es Gemeinschaften wie die Kommune Buchhagen im Weserbergland, die den Erstkontakt in Form von Aktionstagen durchführen, denn das gemeinsame Arbeiten ermöglicht eine intensivere Form des Kennenlernens, als es in reinen Gesprächen möglich wäre. Häufig wird den Einstiegsinteressierten auch ein_e Pate/Patin zur Seite gestellt, der/die während des gesamten Prozesses als feste_r Ansprechpartner_in dient. Vielfältige Kennenlernmöglichkeiten bietet die Kommune »gASTWERKe« in Escherode: Neben Mitmachaktionstagen und Kommune-Seminaren gibt es dort als niedrigschwelliges Angebot auch regelmäßig ein Infoscafé bei dem sich Interessierte bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen über das Projekt informieren können.

Ein Einstiegsverfahren, an dem sich inzwischen auch andere Gruppen orientieren, hat die Kommune Niederkaufungen entwickelt. Denn solche Entscheidungen mit rund 60 Leuten zu treffen, die in verschieden WGs auf dem Gelände wohnen, will gut organisiert sein. Der Erstkontakt findet dazu in der Regel über ein Wochenendseminar statt, in dem ausführlich die Strukturen wie auch der politische Background der Kommune erklärt wird. Erst danach entscheiden die Interessierten ob dieses Projekt überhaupt für sie in Frage kommt und weitere Besuche Sinn machen.

Die nächsten Schritte sind dann, je nach Wunsch der einstiegswilligen Person und im Einvernehmen mit der Kommune, unterschiedlich viele Kennenlern-Wochen. In diesen Wochen wird der Alltag in der Kommune zusammen gelebt und wenn möglich in den interessierenden Arbeitsbereichen mitgearbeitet. Wenn die Person sich für einen Einstieg entschieden hat, stellt sie einen Probezeitantrag. Es müssen sich drei Kommunard_innen finden, die bereit sind die Probezeit zu begleiten und für Fragen und Probleme bereit zu stehen. Dann führt der/die Interessierte Gespräche mit allen WGs, damit es mit allen wenigsten schon einmal einen minimalen Kontakt gegeben hat. Alle Kommunard_innen geben dann eine schriftliche Stellungnahme zum Beginn der Probezeit ab. In dieser entscheidet erst die Kommune und dann die Person selbst über den endgültigen Einstieg.

Ich lebe nach meinem Einstieg im Jahr 1995 bis heute auf der Finkenburg und bin immer noch überzeugt, dass richtige Projekt für mich gefunden zu haben, auch wenn sich unsere Organisationsform mit der Zeit etwas von den klassichen Kommunestrukturen wegentwickelt hat.


Kontakt für weitere Einstiegsinteressierte: Uwe Ciesla, Tel. 04204/6898003 oder kontakt@finkenburg.info.


Aus »Das Kommunebuch - Utopie gemeinsam leben«, Assoziation A, 2014, 344 Seiten, 18 Euro

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