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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Contraste April 1999

Workstation Berlin
Öffentlicher Sektor
Neue Arbeit Bremen
Weniger Ökonomie

SCHWERPUNKTTHEMA:
ANDERS ARBEITEN - ODER GAR NICHT?!

Selbstbestimmte Arbeit gemeinsam organisieren

Krank.jpg (90157 Byte)Im Vorfeld des Berliner Kongresses »Anders arbeiten - oder gar nicht!?« gab es bereits Diskussionen darum, ob der Begriff »3. Sektor« überhaupt in diesem Zusammenhang benutzt werden sollte. Das Spektrum, das gemeinhin unter diesem Begriff subsumiert wird, reicht vom ADAC und den großen Wohlfahrtsverbänden bis zu regionalen Tauschringen und politischen Initiativen.

Elisabeth Voß, Berlin - »3. Sektor« bedeutet einzig und allein, daß es sich weder um Wirtschaftsbetriebe mit Gewinnerzielungsabsicht noch um staatliche Einrichtungen handelt. Weitere formale oder gar inhaltliche Kriterien sind damit nicht benannt, und die Arbeitsverhältnisse im »3. Sektor« reichen von hochdotierten Geschäftsführungsposten bis zu unbezahltem Engagement.

Jenseits von entfremdeten Lohnarbeitsverhältnissen in profitwirtschaftlich orientierten Unternehmen sind verschiedenste Formen bezahlter und unbezahlter Arbeit möglich. Das Anliegen des Berliner Kongresses ist es, Ideen und Forderungen zu Rahmenbedingungen zu entwickeln für Arbeitsmöglichkeiten, die von Form und Inhalt her von den Arbeitenden selbst bestimmt werden.

Das vielbeschworene Ehrenamt

Das endgültige Verschwinden der Vollbeschäftigung als realpolitische Zielsetzung bringt lauter werdende Rufe nach ehrenamtlichem Engagement, Gemeinsinn, »Bürgerarbeit« etc. hervor. Nicht daß es sie bisher nicht gäbe. Millionen Frauen leisten täglich unendliche Stunden unbezahlte Haus- und Erziehungsarbeit. Etliche Menschen sind ganz unabhängig von der Entwicklung am Arbeitsmarkt in sozialen, politischen oder kirchlichen Zusammenhängen tätig, ohne dafür bezahlt zu werden.

Die »Bürgerarbeit« des Soziologen Ulrich Beck soll z.B. als unbezahlte Arbeit in selbstgewählten Bereichen geleistet werden, gegen ein Bürgergeld, eine Grundsicherung in Höhe des Sozialhilfesatzes. Auch wenn Beck selbst in seinem Konzept keine Arbeitspflicht vorsieht, lassen die Erfahrungen mit ABM- und BSHG-Beschäftigung nichts Gutes ahnen. Schon heute werden mit diesen Zwangsmaßnahmen Menschen unter Androhung des Entzugs auch des notwendigsten Lebensbedarfs zur Arbeit gezwungen.

Gleichzeitig wird freiwilliges, unbezahltes Engagement erschwert, indem Menschen, die sich ohne Bezahlung engagieren, die Arbeitslosen- oder Sozialhilfe gestrichen wird, weil sie dem Arbeitsmarkt angeblich nicht zur Verfügung stehen. Statt endlich das bedingungslose Recht auf Freiwilligkeit in der Wahl der Arbeit und damit auch das Recht auf Nichtarbeit anzuerkennen, wird überflüssigerweise auf einer überholten Arbeitsethik beharrt.

Qualifizierung und Beschäftigung im zweiten Arbeitsmarkt 

Auf dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt haben die arbeitslosen Opfer von Wirtschaftskrise und Sparpolitik die Chance, in einer ABM für immerhin 80% Tariflohn oder als SozialhilfeempfängerInnen für zusätzliche zwei bis drei Mark die Stunde wieder am Arbeitsleben teilhaben zu dürfen. Da wird geputzt, gepflegt und betreut für das Gemeinwohl, alles unter dem Deckmäntelchen, daß von diesem zweitklassigen Arbeitsmarkt nur zusätzliche Aufgaben übernommen werden. Diese Zusätzlichkeit besteht u.a. aus Grünanlagenpflege, Fahrgastbetreuung, Betreuung von Kindern, Alten und Menschen mit Behinderungen. Eher also ein Minimalprogramm zur Instandhaltung öffentlicher Räume und notdürftigster humanitärer Hilfen.

In etlichen Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften haben NutznießerInnen der Krise sich wenigstens für eine begrenzte Zeit gut bezahlte Jobs als ErfüllungsgehilfInnen von Arbeits- und Sozialämtern geschaffen. Daneben sind solche Maßnahmen auch immer wieder von mehr oder weniger selbstverwalteten Initiativen genutzt worden, um engagierte soziale und kulturelle Arbeiten ökonomisch abzusichern. Dort ist die Kurzfristigkeit der Maßnahmen besonders bitter.

Immer neue Qualifizierungsangebote suggerieren, daß es an den Arbeitslosen selbst liegt, daß sie keine Stellen finden, weil sie eben nicht qualifiziert genug sind. In überwiegend aus Europamitteln finanzierten Maßnahmen zur Qualifizierung von Arbeitslosen werden in der Regel nur Zertifikate über die Teilnahme an den Bildungsveranstaltungen erworben. Viel zu selten werden IHK-Abschlüsse oder gar berufliche Erstausbildungen ermöglicht.

Existenzgründung als Alternative?

Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit sind nur in Ausnahmefällen eine echte Möglichkeit für Menschen, die neben dem nötigen Fachwissen auch über genügend materielle Mittel, Selbstvertrauen und Durchhaltevermögen verfügen. Ein Ausweg für nennenswerte Teile der arbeitslosen Bevölkerung kann darin nicht gesehen werden.

Herkömmliche Existenzgründungen und ihre Förderung sind ausschließlich auf Individuen ausgerichtet.Darin spiegelt sich die gesellschaftliche Entwicklung zu immer mehr Individualisierung und Entsolidarisierung. Es gibt durchaus einige Menschen, die diese neuen Freiheitsgrade für sich kreativ nutzen können, weil sie dynamisch, flexibel und mobil genug sind, in der sich verändernden Welt ohne herkömmliche Sicherheiten ihren Platz zu behaupten. Für alle anderen, die den größeren Teil der Bevölkerung ausmachen, ist die Situation eher verunsichernd und bedrohlich.

Soziale Unternehmen zwischen Markt und öffentlicher Förderung

Als arbeitsmarktpolitische Instrumente zwischen Markt und öffentlich geförderter Beschäftigung wurden in Berlin z.B. Arbeitsförderbetriebe (AFBs) eingerichtet. Diese sollten nach einer dreijährigen, degressiven Förderung am Markt bestehen. Die noch existierenden AFBs haben dieses Ziel nicht erreicht, die Förderungsdauer mußte verlängert werden. Trotz aller Schwierigkeiten ist es ein vernünftiger Ansatz, öffentliche Fördermittel einzusetzen in Vorhaben, die auf langfristige Tragfähigkeit ausgerichtet sind.

An der Schnittstelle zwischen Markt und öffentlich gefördertem Sektor würde es Sinn machen, kollektive Existenzgründungen mindestens ebenso zu fördern wie individuelle Gründungsvorhaben. Mit einer Kombination aus Arbeitsfördermitteln, Wirtschaftsförderung, sowie der Bereitstellung von Risikokapital und Ressourcen (Gebäude, Ausstattungen etc.) könnten sich auch Menschen eigene Arbeitsplätze schaffen, die allein dazu nicht in der Lage wären. Die Bevorzugung solcher sozialen Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge wäre ein weiterer Schritt zu ihrer Stabilisierung.

Ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor mit Durchlässigkeit zum ersten Arbeitsmarkt ist eine von vielen möglichen Antworten auf die anhaltende Erwerbslosigkeit. Weitere Elemente einer Strategie zur Zukunft der Arbeit wären Mindestlöhne, allgemeine Arbeitszeitverkürzungen, Erleichterungen für Teilzeitarbeit und eine bedingungslose Existenzsicherung für alle.

Auf dem Kongreß in Berlin werden konkrete Empfehlungen und Forderungen zu Rahmenbedingungen selbstbestimmter Arbeit entwickelt, die in einem »Berliner Frühlingspapier« veröffentlicht werden. Der Kongreß wird dokumentiert, und die Arbeit an diesen Themen soll nach dem Kongreß fortgesetzt werden, um die mit der Kongreßvorbereitung begonnene Vernetzung zwischen den verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen fortzuführen und zu erweitern.

Infos zum Kongreß  

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008