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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Weniger Ökonomie

Weniger Ökonomie

statt "Arbeit, Arbeit, Arbeit", alternativer Selbstausbeutung und "New Work"!

geld.jpg (67309 Byte)Das Zielbild einer herrschaftsfreien Gesellschaft sieht die Menschen im Mittelpunkt. Alle Menschen sind frei und gleichberechtigt. Was zwischen ihnen bzw. zwischen den Organisationen und Gruppen, zu denen sich Menschen zusammenschließen, geschieht, erfolgt auf der Ebene freiwilliger Vereinbarungen. Die Existenz von Strukturen, die den Menschen die Regelung ihres Zusammenlebens abnehmen, widerspricht dem Prinzip der Selbstbestimmung. Folglich gibt es auch keine ökonomischen Strukturen, die nicht von den Menschen selbst gewollt, getragen und organisiert werden - keinen Handel, kein Wirtschaftsministerium, keine Welthandelsorganisation und keine Bank, die nicht direkt aus dem Willen und der Vereinbarung der Menschen entspringen.

von Jörg Bergstedt, Saaßen - Eine herrschaftsfreie Gesellschaft ist nicht das Ende von Austausch, Handel und Zusammenarbeit von Menschen und ihren Zusammenschlüssen, aber alle Institutionen und Organisationen verschwinden, die heute auch dann weiterexistieren, wenn es keine Menschen gibt, die sie wollen und tragen (außer denen, die es machen, um damit Geld zu verdienen). Auf dem Weg zu einer Gesellschaft ohne oder mit weniger ökonomie sind verschiedene Teilschritte denkbar, die allein das Ziel nicht erreichen, aber dem immer ein Stück näher kommen.

Absicherung durch Grundsicherung oder Subsistenz

Subsistenz bedeutet die Fähigkeit, sein Leben selbst zu organisieren. Das beinhaltet die Möglichkeit zur Befriedigung der Grundbedürfnisse (Nahrung, Wasser, je nach Wohnort ein Dach über dem Kopf und Heizung u.ä.) und zur Entwicklung der kulturellen Gemeinschaft zwischen Menschen.

Die Absicherung von Menschen kann vor der Auflösung zentraler ökonomischer Strukturen über verschiedene Wege führen. Diskutiert wird bereits die finanzielle Absicherung über eine Grundversorgung, d.h. ein staatlich gesichertes Gehalt. Dieses darf nicht an Bedingungen geknüpft sein, weil es sonst in gleicher Weise wie ein Arbeitsplatz zu konformen Verhaltensweisen führt, also nicht absichert, sondern kanalisiert. Sinnvoller, vor allem in Hinblick auf eine Weiterentwicklung in Richtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft, wäre die Absicherung über materielle Werte, vor allem einen Anteil am Bodenbesitz. Diese müssen unverkäuflich sein, damit nicht über Zwang, ökonomischen Druck u.ä. diese Sicherungen wieder entfallen bzw. bei wenigen zusammengeführt werden. Bei einer Absicherung über einen Anteil am Boden können die Menschen selbst entscheiden, ob sie diesen selbst bewirtschaften, anderweitig nutzen oder aber verpachten (auf welcher Tauschbasis auch immer) bzw. mit anderen gemeinsam nutzen.

Individueller und gemeinsamer Abbau ökonomischer Zwänge

Ein hoher materieller Lebensstandard ist daher für Menschen ohne vorhandenes Kapital gleichbedeutend mit starken Zwängen, d.h. der Notwendigkeit, den Gegenwert der materiellen Güter zu erwirtschaften. Der einfachste Teilschritt, sich ökonomischen Zwängen zu entziehen, ist daher die Beschränkung der im freien Markt erworbenen, materiellen Werte und Dienstleistungen. Das ist nicht gleichbedeutend mit Verzicht. Zum einen entsteht ein Gewinn: Zeit und Freiheit. Zum anderen gibt es für die Schaffung eines ausreichenden Lebensstandards auch Alternativen zum Markt, z.B. Tausch oder Eigenproduktion. Zu den Möglichkeiten, den materiellen Bedarf zu senken, gehören auch Eigentumsgemeinschaften: Wo Sachwerte nicht individuell zugeordnet, sondern von mehreren genutzt werden, sinkt der wirtschaftliche Druck auf den Einzelnen, diese zu beschaffen, instandzuhalten usw. Die bekanntesten Fälle solcher Eigentumsgemeinschaften sind das Car-Sharing oder geteiltes Hauseigentum.

Am konsequentesten sind Gütergemeinschaften, d.h. die Teilung aller materiellen Werte innerhalb eines Zusammenschlusses von Menschen in freier Vereinbarung.

Dezentralisierung von Politik und direkte Demokratie

Jeder Schritt gesellschaftlicher Machtverlagerung nach unten sowie verbesserter Beteiligungsrechte für die BürgerInnen bedeutet einen Fortschritt hin zur Herrschaftsfreiheit. Zur Zeit bietet sich aber nur ein geringer Rahmen für solche Veränderungen. Die Bemühungen um direkte Demokratie stärken die Rechte der Menschen für Einzelfälle und meist außerhalb vieler Politikbereiche, die von der Entscheidungsbefugnis ausgenommen sind.

Verbesserungen der Beteiligungsrechte für alle Menschen bzw. die BürgerInnen einschließlich des vollen Einsichtsrechts werden auch die Mitwirkungsmöglichkeiten bei ökonomischen Entscheidungen stärken, vor allem bei der Gewerbeansiedlung und Flächennutzung. Zudem stellt die direkte Demokratie die Mittel bereit, per BürgerInnenoder Volksentscheid weitergehende Veränderungen durchzusetzen.

Zerschlagung/Entmachtung zwangausübender Wirtschaftsinstitutionen 

Das richtige Tun ist ein Teil des Ganzen, würde aber angesichts der übermacht der bestehenden Ordnungsstrukturen nur in Nischen eine Chance haben und in der Wirkung nur wenige Menschen erreichen. Es gilt, sich gegen Institutionen und Organe, die ökonomische Zwänge ausüben, zu erheben. Viele von ihnen können unter Druck gesetzt werden, wenn sich viele Menschen einig wären in der Verweigerung und in ihrem Protest, z.B.

Blockaden, Besetzungen oder Aktionen in Arbeitsund Sozialämtern, die mit der Androhung der Minderung oder des Entzugs der finanziellen Ueberlebensgrundlage Menschen zur Bereithaltung oder zum Verkauf ihrer Arbeitskraft zwingen; Forderung nach Freiräumen zur Selbstorganisation statt fremdbestimmter Verwertung im Arbeitsmarkt.
Streiks und andere Arbeitskampfformen gegen die Firmenleitungen und für mehr Mitbestimmung oder Kollektivierung sowie höhere Autonomie der Menschen.
Umsturz innerhalb der Gewerkschaften, um diese zu einer Plattform des Widerstandes gegen die Macht der ökonomie und der Konzerne zu machen.
Widerstand gegen die Macher der weltweiten Wirtschaftsordnungen, u.a. die Welthandelsorganisation WTO, die Weltbanken und Weltkreditinstitute, die Weltwirtschaftsgipfel usw.
Widerstand gegen alle Grenzen zwischen Ländern, der Nationalstaaten und ihnen ähnlichen Gebilden (z.B. der EU), denn sie alle bedeuten "Ordnungen".
Widerstand gegen die lokalen und regionalen AkteurInnen der Wirtschaftsordnung, d.h. dominante Konzerne, Industrie- und Handelskammern und andere, die mit Rechten ausgestattet sind und so von oben (Wirtschafts-)Ordnungen schaffen.
Besetzung von Flächen, die seitens der Politik (z.B. über Baulandausweisung) für die Stärkung zentraler Konzerne oder der nötigen Infrastruktur ausgewiesen werden.

 

Ökonomie von unten

Wo ökonomische Strukturen bleiben (das wird am Beginn des Veränderungsprozesses fast überall, mit zunehmendem Abbau ökonomischer Zwänge und Institutionen immer seltener der Fall sein), muß sie von den Menschen getragen und organisiert, d.h. selbstverwaltet, sein. Wenn alle verbleibenden Arbeitsstrukturen selbstverwaltet organisiert wären, wäre eine Ausbeutung von Mensch und Natur schwerer möglich. Im günstigsten Fall gibt es die folgenden Wirkungen, wenn alle Bereiche selbstverwaltet sind, also wirtschaftliches Handeln nur noch entsteht, wenn sich Menschen in freier Entscheidung dazu entschließen.

Der Bau von Großanlagen oder zentralen Versorgungsstrukturen ist nicht oder kaum möglich, weil sich kein Mensch freiwillig (also ohne Verfügbarmachung über Lohnzahlung oder Unterdrückungsmaßnahmen) dafür bereitfinden wird, über viele Jahre und ohne eigene Identifikation an solchen Mammutprojekten zu arbeiten.
Lokale und regionale Bezüge werden gegenüber überregionalen und internationalen Arbeitsstrukturen und Handelsbeziehungen bevorteilt, weil internationale Geflechte ständig Transport- und andere Leistungen verlangen, die auf der Ausbeutung von Mensch (BilliglohnarbeiterInnen) und Natur (Rohstoffen) basieren. Wenn alle (!) Betriebe selbstverwaltet sind, werden auch im Trikont Kollektive als Gesprächspartner für Kollektive aus dem reichen Norden bereitstehen und keine ausbeutbare, verfügbare Masse Mensch.
Es wird kleinere Betriebe bzw. Betriebseinheiten geben, da nur diese selbstverwaltet arbeitsfähig sind. Kooperationen werden durch freiwillige Vereinbarungen und nicht von oben oder per Bankensteuerung geschlossen. Die Arbeitsformen werden vielfältiger, alle Menschen arbeiten gemäß ihren Fähigkeiten und Zeitmöglichkeiten.
Gewerkschaften und ArbeitgeberInnenverbände gibt es nicht mehr. Die Menschen vertreten sich selbst.

Dezentralisierung ökonomischer Strukturen  

Je direkter wirtschaftliche Kontakte organisiert werden, desto einfacher wird es möglich, daß die beteiligten Menschen diese selbst verwalten. Daher sind kleinräumige Strukturen des Wirtschaftens und Handels kleine Schritte in Richtung des Abbau ökonomischer Hierarchien. Konkrete Anfänge sind Tauschringe, Tauschhandel, Kooperativen, Direktvermarktung und gemeinsames Eigentum.

HINWEIS:

Der Text ist ist die Kurzfassung eines Kapitels aus dem Buch "Perspektiven radikaler, emanzipatorischer Umweltschutzarbeit", daß im April 1999 im IKO-Verlag erschienen ist (39,80 DM, Autor: Jörg Bergstedt).

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 20. Mai 2007