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Staatsknete

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Staatsknete

Sozialhilfe oder Wirtschaftsförderung

Red. Bremen Zunehmend mehr Bedeutung bei der Finanzierung von selbstverwalteten Betrieben oder Investitionsvorhaben dieser Betriebe bekommt die Forderung nach "Staatsknete". Wesentliche Gründe hierfür sind, daß Banken nur bedingt Kredite geben, staatliche Förderprogramme den Betrieben — weil selbstverwaltet — verschlossen bleiben, Netzwerk- und Ökofondsgelder knapp sind. Als was jedoch wird "Staatsknete" begriffen, von uns, von öffentlichen Einrichtungen und den Bürokraten, als neue Form von Transferleistungen, sprich eine Variante der Sozialhilfe, oder als Wirtschaftsförderung für selbstbestimmte, selbstverwaltete Arbeitsformen mit anderen Inhalten?

In Berlin ist die Rede vom Förderprogramm für Selbsthilfegruppen, welches beschränkt wurde auf Projekte im medizinischen und sozialmedizinischen Bereich, in Hamburg spricht man vom "Sozialprogramm für Langzeitarbeitslose" und in Bremen von der Förderung örtlicher Beschäftigungsinitiativen, ein beim Sozialsenator angesiedelter Posten aus dem "wirtschaftspolitischen Aktionsprogramm". Lediglich in Hessen ist die Rede von der Förderung selbstverwalteter Betriebe auf kollektiver Basis. Der Begriff "Staatsknete" wurde nicht von den Staatsvertretern geprägt, sondern von den Netzwerken, den Kollektiven und Projekten. Das es bei dieser Förderung auch um eine politische Forderung geht, nämlich der Förderung von selbstbestimmten, selbstverwalteten Arbeitsformen mit anderen Inhalten (ökologische und gesellschaftliche Produkte, verbraucherorientierte Dienstleistungen usw.), ist bei der Benutzung dieses Begriffs verloren gegangen. Er entpuppte sich als doppeldeutig. Daß dieser Begriff von staatlicher Seite nicht aufgenommen wurde, liegt wohl weniger daran, daß es sich um Szenenjargon handelt, sondern mehr daran, daß staatlicherseits diese Förderung, wie auch die Beispiele zeigen, wirklich als neue Form von Transferleistungen begriffen wird. Selbstverwaltung ais Ausweg aus der Arbeitslosigkeit, Privatisierung staatlicher Aufgaben, Sanierung von Arbeitslosenstatistiken dürften eher hinter der Bereitschaft der Förderung stecken, als die gezielte, bewußte Förderung von anderen Arbeitsformen, einem anderen Verständnis des Wirtschaftens oder sogar einer neuen Ökonomie.

Genau letzteres sind aber unsere Motivationen, weshalb wir solche Betriebe und Projekte betreiben. Es sind politische Motivationen, kleine Utopien, die in die Praxis umgesetzt werden sollen, mit dem Effekt, zu zeigen, daß andere Formen des Arbeitens und Wirtschaftens, wenn auch in dieser Gesellschaft begrenzt, möglich sind, daß es möglich ist, sich eine Existenz zu schaffen mit diesen anderen Formen.

Trotz dieser politischen Motivationen sind diese Betriebe, weil dem Markt ausgesetzt, Gewerbebetriebe, die betriebswirtschaftlich geführt werden müssen. Hierzu sind eben auch Finanzierungen notwendig, die uns aber oftmals verwehrt bleiben.

Die Forderung an den Staat, solche Arbeitsformen zu fördern ist zwar eine ursprünglich ökonomische Forderung, aber zugleich eine politische. Von daher wird mir zunehmend unwohler, wenn der Begriff "Staatsknete" benutzt wird, denn es geht nicht nur um Geld, sondern auch um eine Förderung von Inhalten.

Den Staatsvertretern dürfte das vielerorts bewußter sein, als manch einem anderen. Es ist für mich nicht einsichtig, weshalb unsere inhaltlichen Vorstellungen hinter solch einem Begriff verschwinden sollen. Daß wir Behördenvertreter nicht überzeugen werden ist klar, aber die Öffentlichkeit kann und muß für unsere Inhalte gewonnen werden. Wenn es also um wirtschaftliche Förderung von Betrieben mit anderen Arbeitsformen und -inhalten geht, dann sollte man das Kind auch bei seinem Namen nennen.

Solange "Staatsknete"-Programme in der Öffentlichkeit als "Sozialhilfe"-Programme gehandelt werden, solange darf man sich auch nicht wundern, daß selbstverwaltete Betriebe, als "alternative Projekte" abgetan werden. Wir sind aber keine "alternativen Projekte", sondern selbstverwaltete arbeitende Betriebe, mit dem Ziel andere Arbeitsformen zu entwickeln, mit anderen Inhalten zu arbeiten. Wir sind keine armen, unterstützenswerten Arbeitslose, Müslis oder Freaks, sondern politisch denkende und handelnde Menschen, die sich unter schwierigsten Bedingungen in diesem Kapitalismus Existenzen schaffen, in denen sie ihre Vorstellungen verwirklichen. Genau hier verlangen wir auch eine Unterstützung in Form von Förderung vom Staat, eine Förderung zur Unterstützung der Umsetzung unserer Ideen.

Wirtschaftsförderung ist auch Staatsknete, aber Staatsknete ist nicht unbedingt wirtschaftliche Förderung. Es ist an der Zeit, meine ich, über den qualitativen Hintergrund unserer Forderungen einmal nachzudenken, über den politischen Inhalt und auch an diesem Punkt die Auseinandersetzung zu führen.

Harald Deerberg

 

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Stand: 17. August 2011