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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Sommer 2007

Aus dem Inhalt
OekoGeno?

BÜRGERBAHN STATT BÖRSENBAHN

RAUBZUG Bahnprivatisierung


Flächenbahn auf dem Abstellgleis?

Nach dem Zweiten Weltkrieg galt die Eisenbahn weitgehend als "altes Eisen". Die Zukunft gehörte dem Auto und dem Flugzeug. Vor allem dem Auto wurden sozialrevolutionäre Züge angedichtet, so sei man damit doch endlich "befreit vom Zwang der Fahrpläne"; man könne "zu jeder Zeit an jeden Ort fahren". Als sich diese Art Freiheit zunehmend als die Freiheit entpuppte, sich von Stau zu Stau zu bewegen, als es 1973 eine erste "Ölkrise" gab, als die Umweltbewegung sich entwickelte und als die Städte zunehmend zu Autostädten mutierten, erlebte die Bahn erstmals ein Revival. Die Rede war davon, dass die Bahn ein "Unternehmen Zu(g)kunft" sei.

von Winfried Wolf - Die Bahnreform des Jahres 1994 knüpfte an dieser Vision an, drei Ziele wurden für sie ausgegeben:

Erstens. Eine Deutsche Bahn AG kostet die Steuerzahlenden weniger. Tatsächlich zahlen die Steuerzahlenden heute mit jährlich rund 13 Milliarden Euro deutlich mehr für den Schienenverkehr als 1993 - bei weitgehend gleichgebliebenen Verkehrsleistungen. Die DB AG wiederum, die im Januar 1994 schuldenfrei startete, ist bereits wieder mit 20 Milliarden Euro verschuldet.

Zweitens. Die neue Bahn sollte eine kundenfreundliche Bahn, ein "Serviceunternehmen" werden. Dies war verbunden mit herabsetzenden Formulierungen für die vorausgegangene Bahn als "Beamtenbahn". Die Realität heute ist, dass die Deutsche Bahn AG bei Kundenbefragungen zu unterschiedlichen großen Unternehmen hinsichtlich der Servicequalität meist am schlechtesten abschneidet. In den 13 Jahren von 1994 bis 2006 wurden 5600 km des Streckennetzes abgebaut, rund 500 Bahnhöfe und mehrere Tausend Schalter geschlossen.

Drittens. Die neue Bahn sollte mehr Verkehr auf die Schiene bringen. Tatsächlich liegt die absolute Leistung im Schienenpersonenfernverkehr 2006 noch unter derjenigen des Jahres 1993. Im Güterverkehr liegt die Leistung leicht über derjenigen des Jahres 1993. Bei den Anteilen am Verkehrsmarkt gab es jedoch keine Gewinne. Nur im Nahverkehr gibt es absolute Steigerungen und Anteilsgewinne. Allerdings wurden hier die Subventionen rund verdoppelt. Gleichzeitig gibt es seit 2005/2006 Beschlüsse der Bundesregierung, diese Mittel deutlich zu kürzen - was auch zu einem Rückschlag in diesem einzigen, relativ erfolgreichen Segment des Schienenverkehrs führen wird. Das Mantra Bahnreform hat ganz offensichtlich die mit ihm verbundenen Erwartungen nicht erfüllt.

Das Verblüffende ist nun: Es wird keine Bilanz gezogen, weshalb die Bahnreform ihre Ziele nicht erreicht hat. Stattdessen wird ein neues Mantra ausgegeben. Dieses lautet: Bahnprivatisierung. Und rein zufällig werden diesem Projekt - dem sukzessiven Verkauf des 100prozentigen Bundeseigentums an der Deutschen Bahn AG - die gleichen Ziele verordnet, wie sie zuvor für die Bahnreform genannt wurden: die neue, teilprivatisierte Bahn soll für die Steuerzahlenden preiswerter werden, mit ihr soll die Bahn endlich kundennah operieren und schließlich soll dadurch mehr Verkehr auf die Schiene gebracht werden. Eine Bahnprivatisierung stellt den größten Raubzug öffentlichen Eigentums und die größte Zerstörung öffentlicher Daseinsvorsorge der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte dar. Gleichzeitig handelt es sich dabei um einen der wichtigsten Beiträge zur Klimaverschlechterung. Dies soll auf fünf Ebenen konkretisiert werden.

Bahnprivatisierung als Ausverkauf und kulturelle Enteignung

Die Eisenbahnen in Deutschland wurden in mehr als 170 Jahren von vier Generationen und vielen Millionen Menschen durch ihre physische Kraft und durch enorme öffentliche Mittel aufgebaut. Der Wert der 34.000 km Trassen, der 5.500 Bahnhöfe, der Zehntausende Waggons und der mehr als 2.000 Triebfahrzeuge ist kaum bezifferbar. Vorsichtige Berechnungen ergeben Werte von 150 bis 250 Milliarden Euro. Die Bundesregierung beabsichtigt mit dem Bahnprivatisierungsgesetz, die Verfügung über dieses öffentliche Eigentum für einmalige Einnahmen in Höhe von 5 bis 15 Milliarden Euro aufzugeben. Dieses Projekt stellt eine gewaltige Verschleuderung öffentlichen Eigentums zugunsten weniger privater Investoren dar. Gleichzeitig handelt es sich um eine kulturelle Enteignung: Die Eisenbahnen sind prägend für Regionen und Städte, ein großer Teil des Schienenverkehrs und der Schieneninfrastruktur wird verschwinden.

Bahnprivatisierung als Abbau der Daseinsvorsorge

Allgemein ist die aktuelle Phase des Kapitalismus von einem umfassenden Angriff auf das öffentliche Eigentum gekennzeichnet. Alle Formen des gesellschaftlichen Lebens sollen der direkten Kontrolle des privaten ... Kapitals und dem Prinzip der Profitmaximierung unterworfen werden. Es ist Zufall und zugleich wiederum bezeichnend, dass der weltweit größte private Wasserversorger - derjenige Konzern, der am stärksten von der Zerstörung der öffentlichen Versorgung mit Wasser profitierte - gleichzeitig dasjenige Unternehmen ist, das europaweit am stärksten von den Bahnprivatisierungen profitiert: Veolia, im Bahnbereich bis vor kurzem als Connex unterwegs. Das Bündnis Bahn für Alle tritt ein für eine Bahn in öffentlichem Eigentum als elementare Voraussetzung für Daseinsvorsorge auf dem Gebiet der Mobilität. Mit dem Begriff "öffentliches Eigentum" wird bewusst ein allgemeiner Rahmen für die Eigentumsform vorgegeben und nicht allein auf eine "Staatseisenbahn" abgestellt.

Bahnprivatisierung als Teil der fortgesetzten sozialen Ausgrenzung

Die logische Folge jeden Abbaus von Daseinsvorsorge und damit jeder Unterwerfung dieses Bereichs unter das Prinzip der Profitmaximierung ist eine wachsende Ausgrenzung von "schwachen" Regionen und "schwachen " Menschen. Private Investoren müssen, wenn sie die maximale Rendite im Blick haben, sich auf die rentabelsten Strecken, die rentabelsten Regionen und die rentabelsten Zeiten der Verkehrsangebote konzentrieren. Die anstehende Bahnprivatisierung zielt auf Sektoren, die, anders als im Fall des Nahverkehrs, nicht mit staatlichen Subventionen, die hier für einen gewissen Ausgleich sorgen, verbunden sind.

Es wird zu einer verstärkten Konzentration auf Hochgeschwindigkeitsverbindungen kommen, weite Regionen werden keinen Schienenverkehr mehr haben. Bereits im Zeitraum 1994 bis 2006 wurde das Schienennetz um 5.500 km (von 39.500 auf 34.000 km) reduziert. Bei der Bahnprivatisierung ist ein weiterer Abbau um rund 5.000 km "eingepreist".

Im Güterverkehr wird der Prozess des Rückzugs aus der Fläche und des regionalen Güterverkehrs beschleunigt. Dabei wird eine spezifische und problematische Struktur der arbeitsteiligen Produktion über weite Distanzen verstärkt (siehe das Beispiel des Joghurtbechers, in dem viele Tausend Kilometer 

Transportleistungen "stecken "). Anstelle einer Bahn für Alle wird es eine Bahn für einige geben. Betroffen und in ihrer Mobilität eingeschränkt sind damit Menschen bis 18 Jahre, SeniorInnen, finanziell Schwache, ökologisch Bewusste, Frauen mit Kindern und Menschen mit Behinderungen.

Bahnprivatisierung und die Zerstörung gesellschaftlich sinnvoller Arbeitsplätze

Die Arbeitsplätze im Bereich Schiene haben sich von knapp 400.000 Ende 1993 auf 180.000 2006 halbiert. Im Fall einer Bahnprivatisierung ist mit einem weiteren Abbau von vielen Zehntausend Arbeitsplätzen zu rechnen. Gleichzeitig gibt es eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Nochbeschäftigten (vermehrter Arbeitsstress, Outsourcing, Teilzeitarbeit). Ergänzend droht der Abbau von Arbeitsplätzen im Bereich der Bahntechnik, denn jeder private Investor wird darauf drängen, den "Kostenfaktor Arbeit" immer weiter zu reduzieren.

Arbeitsplatzabbau, Prekarisierung und Entwertung der Arbeit bringen einen weiteren Abbau bei der Servicequalität. Es werde inzwischen elementare Standards bei der Sicherheit im Schienenverkehr tangiert. Die Serie schwerer Eisenbahnunglücke, die es Ende der 1990er bei den britischen Bahnen gab, werden von den meisten Beobachtern im Zusammenhang mit der Privatisierung von British Rail und dem damit einhergehenden Abbau von Arbeitsplätzen bzw. dem Zerreißen elementarer Arbeitszusammenhänge gesehen.

Hier springt ein Widerspruch in der öffentlichen Debatte ins Auge. Bei der Bahn heißt es, ein radikaler Abbau von Arbeitsplätzen sei eine Sparmassnahme, hier würden "Produktivitätsgewinne" erzielt und im übrigen müsse der Staat sich "aus der Wirtschaft" heraushalten. Im Fall der Airbus-Krise jedoch gab es eine breite, auch öffentlich getragene Mobilisierung zum Erhalt der Arbeitsplätze und aller Standorte; dies sei erforderlich, um den "Technologie- Standort Deutschland" zu verteidigen. Gleichzeitig wurde beschlossen, dass sich der Staat engagiert. Dass der Schienenverkehr ökologisch und umweltpolitisch sinnvoller ist als die Luftfahrt im allgemeinen oder gar der Megaliner A380 ist jedoch unbestritten.

Bahnprivatisierung und Umwelt- und Klimazerstörung

Alle Modelle einer Bahnprivatisierung gehen davon aus, dass der Anteil der Schiene im Fernverkehr, wo sich z.B. die weitgehende Abschaffung der Zuggattung InterCity/ EuroCity abzeichnet, weiter sinkt und im Nahverkehr bestenfalls erhalten werden kann. Im Güterverkehr soll es vor allem im Segment der Transporte über weite Entfernungen Gewinne geben können. In der aktuellen Situation wäre jedoch bereits aus klimapolitischen Gründen eine Verkehrswende mit einer deutlichen Stärkung der Schiene im Verkehrsmarkt und zumindest einem Stopp für jede Ausweitung des Straßen- und des Luftverkehrs erforderlich. Die Bahnprivatisierung bewirkt jedoch das Gegenteil.

Was sind die Gründe für die Bahnprivatisierung?

Die sozialen, strukturpolitischen und umweltpolitischen Gründe, die gegen eine Bahnprivatisierung sprechen sind weitreichend und überzeugend. Fragt man, warum dennoch die Bahnprivatisierungen weltweit vorangetrieben werden, dann bleiben nur zwei grundsätzliche Antworten: Zum einen geht es um den Zwang, alles der direkten Kontrolle des privaten Kapitals zu unterwerfen, auch wenn dies sozialen und - auch aus bürgerlicher Sicht - rationalen Überlegungen widerspricht. Zum anderen resultieren diese Zwänge auch aus der konkreten Struktur des großen Kapitals: Unter den 100 größten Konzerne der Welt sind die Öl-, Auto- und Flugzeugbaukonzerne die mit Abstand stärkste Gruppe.


Noch Fragen? Der Stern über dem Stuttgarter Hauptbahnhof als Symbol für die Prioritäten der Verkehrspolitik...

Unternehmen, die mit Öl und seinen Derivaten (Benzin, Diesel, Kerosin, Flugbenzin und Bunkeröl) verbunden sind, sind tonangebend - grundsätzlich und natürlich besonders im internationalen Verkehrssektor. In Großbritannien sind heute maßgebliche Betreiber der privatisierten Bahnen die Unternehmen Virgin (Billigflieger) und Stage Coach bzw. Arriva (zwei Unternehmen, die europaweit Busverkehre organisieren). Es liegt auf der Hand, dass eine Teilprivatisierung der DB AG auch Investoren anlocken wird, die überwiegend Interessen vertreten, die nicht im Einklang mit dem Ziel einer Flächenbahn stehen. Hier wird in jüngerer Zeit der Name Gazprom als Interessent für einen Einstieg bei der DB AG genannt.

Um welche Art Bahnprivatisierung geht es konkret?

Ein Teil der bahnfreundlichen Szene - so die Führungen des Fahrgastverband pro Bahn, des VCD und die Grünen als Partei - propagiert ein Modell, wonach die Infrastruktur (Netz und Bahnhöfe) in Bundeseigentum bleiben und der Bahnbetrieb privatisiert werden soll. Man verspricht sich dabei einen "belebenden Wettbewerb", der den Fahrgästen zu Gute kommen würde.

Dagegen müssen zunächst drei immanente Argumente angeführt werden. Erstens wird jeder private Bahnbetreiber auf einer Rendite von mindestens 10 Prozent bestehen und damit weit mehr aus den Fahrgästen, den Beschäftigten und den Steuerzahlenden "herausholen" als dies bei einem Betrieb in öffentlichem Eigentum der Fall ist. Tatsächlich reduziert sich der "Wettbewerb" bei den Ausschreibungen im Bahnverkehr bereits weitgehend auf die Frage, welcher Bieter die Lohnkosten am stärksten drücken kann. Zweitens wird jede Ausweitung des "Wettbewerbs " auf der Schiene zu einem immer bunteren "Flickenteppich" bei den Tarifen, dem Fahrplan und bei den Standards für Sicherheit und Service führen. Drittens gab es in 170 Jahren Eisenbahnen nie ein erfolgreiches Modell dieser Art von staatlichem Netz und privatem Betrieb bzw. dort, wo dies praktiziert wird, ist das Ergebnis auf mittlere Sicht ein Desaster.

In Großbritannien gibt es seit nunmehr fünf Jahren just ein solches "Trennungsmodell": das Netz ist - nach der Pleite des privaten Infrastrukturbetreibers Railtrack - seit Ende 2001 wieder in staatlichem Eigentum; der Betrieb wird weiter von knapp zwei Dutzend privaten "TOUs", train operating units, realisiert. Allgemein wird das Desaster im britischen Bahnverkehr im schlechten Service der privaten Betreiber, in den hohen Fahrpreisen, in dem Flickenteppich bei Tarifen und Fahrplan und in der großen Zahl von schweren Bahnunfällen, die im Zusammenhang mit der Trennung von Netz und Bahnverkehr stehen, gesehen. Alle britischen Parteien fordern inzwischen eine neuerliche "Integration" von Verkehr und Infrastruktur.

Doch neben diesen immanenten Kritikpunkten gibt es einen grundsätzlichen Aspekt: Dieses Modell steht nirgendwo in der politischen Landschaft zur Debatte. Zur Debatte steht ausschließlich ein konkretes Bahnprivatisierungsgesetz, das faktisch auf die Privatisierung von Bahnverkehr und Schieneninfrastruktur hinausläuft. Der im März 2007 vorgelegte Entwurf eines Bahnprivatisierungsgesetzes aus dem Haus von Bundesverkehrsminister Tiefensee lässt sich in vier Punkten zusammenfassen:

1. Das bisher 100-prozentige Eigentum des Bundes an der DB AG wird (zunächst) bis zu 49 Prozent an Investoren verkauft. 2. Trassen und Bahnhöfe bleiben formal zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes. Doch der Bund tritt faktisch alle Rechte, die aus diesem Eigentum resultieren, für 15 Jahre an die teilprivatisierte DB AG ab. Die DB AG "betreibt und bilanziert die Infrastruktur". 3. Nach 15 Jahren erhält die DB AG auch die formellen Eigentumsrechte an der Infrastruktur, es sei denn, der Bund zahlt der DB AG einen sehr hohen Milliarden-Euro- Betrag. 4. Nach der Teilprivatisierung zahlt der Bund weiterhin jährlich rund 12 Milliarden Euro an Unterstützungszahlungen für das System Schiene (Instandhaltung, Neubau, Regionalisierungsmittel, Beamte-Ausgleichszahlungen). Diese Gelder dienen nun zunehmend der Alimentierung privater Investoren.

Der einzige Vorteil des Bundes bei diesem Ausverkauf ist der einmalige Betrag in einstelliger Milliardenhöhe beim Anteilsverkauf an Investoren.

In dieser Situation müsste bei all denen, die hierzulande zukünftig auf die Option Schiene setzen, alles getan werden, um dieses Bahnausverkaufs-Gesetz zu verhindern. Hierfür könnte ein breites Bündnis geschlossen werden, das diejenigen erfasst, die jede Art Bahnprivatisierung ablehnen - wie dies das Bündnis "Bahn für Alle" tut -, und diejenigen, die dafür eintreten, dass nur die Infrastruktur im Eigentum des Bundes bleibt, die bisher aber auch viele gute Gründe dafür anführten, dass eine Privatisierung des "integrierten Unternehmens" katastrophale Folgen haben würde. Wer sich in dieser Situation jedoch weigert, sich für ein solches Bündnis zu engagieren, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, den folgenschweren Ausverkauf zuzulassen.

Strukturelemente einer Bahn für Alle

Die Privatisierungsanhänger haben ein Plus in der öffentlichen Debatte: Wird der Zustand der real existierenden Deutschen Bahn AG als Beispiel für eine Bahn in öffentlichem Eigentum genommen, dann sagen sich viele: Es kann ja nur besser werden. Daher ist es wichtig, einen "status quo plus" entwickeln. Die fünf Strukturelemente einer überzeugenden Bahn könnten wie folgt aussehen:

Grundsätzlich müsste es sich um eine Bahn in öffentlichem Eigentum handeln. Dabei könnte es sich jedoch um eine Kombination dieses öffentlichen Eigentums auf unterschiedlichen Ebenen handeln (Kreisbahnen, Länderbahnen, Bundesbahn). Die Erfolge einiger neuer Bahnen, die im Rahmen der Regionalisierung entstanden, sind in erster Linie auf ihre Dezentralität und auf ihre relative Bürgernähe zurückzuführen; einige davon sind Bahnen in öffentlichem Eigentum (z.B. die Usedomer Bäderbahn als Tochter der DB AG, die Karlsruher Verkehrsbetriebe, die sich im Eigentum der Stadt Karlsruhe befinden und die in einem Umkreis von bis zu 100 km Teile des Schwarzwaldes erschließen oder die Gaisbockbahn in Oberschwaben, deren Eigentümerin der Bodenseekreis ist). Wichtig ist dabei allerdings, dass diese Bahnen in ein einheitliches System von Fahrplan und Tarifen und den Standards für Sicherheit und Service eingebunden sind.

Das zweite Elemente dieser Bahn für alle besteht im Konzept einer Flächenbahn anstelle einer Konzentration auf Hochgeschwindigkeitsverbindungen. Alle Regionen müssen mit der Schiene erreichbar, alle Oberzentren an die Schiene angebunden sein. Rund 10.000 km Schiene müssten neu erbaut bzw. überwiegend reaktiviert werden. Das dritte Element heißt Personalausbau: Ein erfolgreiches Dienstleistungsunternehmen muss mit Menschen werben. Die erwähnte, äußerst erfolgreiche Usedomer Bäderbahn verfolgt das Konzept: nirgendwo ein Automat, überall Personal an den Bahnhöfen und den Schaltern.

Viertens ist ein Bahnmanagement erforderlich, das aus dem Metier kommt und sich für die Bahn engagiert.

Fünftens schließlich müsste diese Bahn für Alle in Zeiten des Klimawandels den unschätzbaren Vorteil ausspielen, dass die Schiene das einzig motorisierte Verkehrsmittel ist, das in relativ kurzer Zeit ganz oder überwiegend mit alternativer - nachhaltiger - Energie betrieben werden kann. Mit Strom aus Solarenergie, Gezeitenkraftwerken, Windkraft und Kraftstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen.

Utopie? Das Modell einer alternativen Bahn existiert bereits weitgehend - in Gestalt der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Auf sie treffen die ersten vier der oben genannten Strukturelemente zu. Und diese überzeugende und luxuriöse Form des Bahnverkehrs, die im Vergleich zum deutschen Schienenverkehr mit einem Drittel der Subventionen je gefahrenen Personen- oder Tonnenkilometer auskommt, wird in unserem südlichen Nachbarland noch unter besonders schwierigen Bedingungen realisiert (Bahnverkehr von 350 bis 1.500m über dem Meeresspiegel, maximale Distanzen mit 500 km, im Winter weit tiefere Minusgrade).

Winfried Wolf ist als Sprecher der Bahnfachleutegruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn maßgeblich am Aktionsbündnis Bahn für Alle beteiligt. Zu diesem haben sich Attac, BUND, Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB), Bahn von unten (in Transnet), Eurosolar, Grüne Jugend (Bundesverband), Robin Wood, Naturfreunde, Umkehr e.V., der VCD Landesverband Brandenburg und Ver.di zusammengeschlossen. Wichtige Instrumente der Kampagne sind das Faltblatt "Ihr Reiseplan Höchste Eisenbahn - Stoppt den Börsenwahn!" (ideal zum Verteilen in Zügen!) und der Film "Bahn unterm Hammer" (Kern Film), der auch als DVD zu beziehen ist. Jüngste Veröffentlichungen von Winfried Wolf zu diesem Thema: "In den letzten Zügen - Bürgerbahn statt Börsenwahn" (Hamburg 2006, VSA) und "Verkehr - Umwelt - Klima. Die Globalisierung des Tempowahns", Wien Herbst 2007 (Promedia). 
Infos unter: www.DeineBahn.de
www.bahn-unterm-hammer.de 
bzw. Tel.: (0 69) 90 02 81 40.

Der Bahnspott

die macht privat die Bahn. Sehenswerte 25 Sekunden unter: www.gofish.com/player.gfp?gfid=30-1101026

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008