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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Umweltschutzpapier

Offener Brief

Im folgenden dokumentieren wir Auszüge aus der gp (Gewerkschaftspost; Zeitung der IG Chemie, Papier, Keramik) zum Thema „umweltfreundliches Recycling". Erschienen sind diese zwei Artikel in der Dezemberausgabe 84, bzw. in der Januarausgabe 85. Ein offener Brief des Verbundes selbstverwalteter Betriebe für Umweltschutzpapier (vup) soll zu einer gemeinsamen Auseinandersetzung über dieses sicherlich schwerwiegende Thema anregen.

Die Tücken des Altpapiers

Umweltfreundliches Recycling hat auch seine Schattenseiten. Die Kollegen in der Papierindustrie bekommen es zu spüren in Form von Schwermetallen und anderen Schadstoffen.

Von Heinz Eßlinger - Recycling heißt das Zauberwort. Gemeint ist damit die Wiederverwendung bereits benutzter Rohstoffe. Immer häufiger wird davon Gebrauch gemacht, um knappe und teure Rohstoffe zu sparen und gleichzeitig die Müllberge zu verringern. Nicht zuletzt auch in der Papierindustrie.

Über acht Millionen Tonnen Papier werden jährlich in der Bundesrepublik erzeugt. Dazu werden etwa 3,5 Millionen Tonnen Altpapier verwendet. Dieser Anteil von rund 43 Prozent ist kaum noch steigerungsfähig. Nicht nur das graue Umweltschutzpapier wird aus Altpapier hergestellt, sondern fast alle Verpackungspapiere. Aber auch in weißen Zeitungs- und Schreibpapieren sind häufig erhebliche Anteile an Altpapier enthalten, das vorher in einem „Deinkin-Verfahren" von Druckfarben befreit wurde.

Doch diese rohstoffsparende Entwicklung hat auch Schattenseiten. Zum Beispiel für die Beschäftigten in der papiererzeugenden Industrie. Darüber unterhielten sich auf einer Fachtagung über Altpapieraufbereitung Betriebsräte aus betroffenen Unternehmen mit Vertretern der IG Chemie-Papier-Keramik, der Papiermacher-Berufsgenossenschaft und sachkundige Wissenschaftler. Die Tagung Ende Oktober in Malsch bei Karlsruhe wurde von der Projektgruppe "Stoffe und Gesundheit" der IG Chemie veranstaltet und sollte Wege aufzeigen, wie Gesundheits- und Umweltgefährdungen in diesem Bereich verhindert werden können.

Der letzte Dreck

"Wir verarbeiten den letzten Dreck an Altpapier, bis zu 35 Prozent davon ist unbrauchbar, nicht auszudenken, was da an Krankheitskeimen drinsteckt", schimpfte ein Betriebsrat. Aber das ist nur einer von vielen Gesichtspunkten. Viel problematischer wirkt sich die Tatsache aus, daß immer mehr Papierfabriken aus Ersparnis und Umweltschutzgründen dazu übergehen, mit einem geschlossenen Wasserkreislauf zu arbeiten, also das Wasser stets von neuem verwenden; in manchen Fabriken gibt es fast kein Abwasser mehr. Das bedeute aber, daß sich die Schmutz- und Schadstoffe in diesem Wasser immer mehr anhäufen und auch ins neu produzierte Papier übergehen. Zudem werden die Papierfasern immer kürzer, je öfter sie durch ständig wiederholten Altpapiereinsatz den Produktionsprozeß durchlaufen. Die Tendenz geht dahin, die dadurch entstehenden Probleme durch Zusatz von immer mehr und immer neuen Chemikalien zu bekämpfen.

Altpapier ersetzt die herkömmlichen Rohstoffe bei der Papierherstellung fast schon zur Hälfte. Aber da ist auch viel „Mist" dabei, mit dem sich die Papierarbeiter herumzuschlagen haben.

"Manche Kollegen haben Hauterkrankungen, aber kein Arzt kann sagen, woher sie kommen", klagte ein Betriebsrat. Denn bei der Papierherstellung werden Dutzende von Schleimbekämpfungsmittel, Flotationsmittel, Enthärtungsmittel, Färbungs-, Entschäumungs-, Leimungs- und Streichmittel eingesetzt. Gerade das Zusammenwirken der verschiedensten Chemikalien beunruhigt viele Kollegen im Betrieb, denn es ist – wie in Malsch übereinstimmend bedauert wurde – noch viel zu wenig erforscht. "Hier geht es nicht um einige wenige Stoffgemische, sondern in der Papierindustrie geht es um die ganze Brühe", sagte Gerd Albracht, Umweltschutzexperte beim IG-Chemie-Hauptvorstand.

Aber es geht noch um etwas anderes: Da Druckfarben teilweise Cadmium, Chrom und Blei enthalten, fallen diese Schwermetalle beim Ausschäumen der Farbe aus dem Altpapier in den ,.Deinking-Anlagen" in konzentrierter Form an. Sie landen im Klärschlamm, dessen Beseitigung damit zu einem neuen Problem wird.

"Wir brauchen Informationen über die bei uns verwendeten Stoffe. Auf jeder Zigarettenschachtel sind die Schadstoffe angegeben, nicht aber auf den Verpackungen jener Stoffe, mit denen wir umgehen müssen. Die vorgeschriebenen Sicherheits-Datenblätter bleiben oft bei der Einkaufsabteilung in der Schublade liegen." So lauteten einige der Klagen aus Betrieben. Von den Vertretern der IG Chemie und der Berufsgenossenschaft wurde klargestellt: Die Betriebsräte haben ein Recht auf diese Informationen. Sie müssen ihnen zugänglich gemacht werden. Dieses Recht müsse man "knallhart durchsetzen". Auch wurde immer wieder auf die Notwendigkeit der vorgeschriebenen Unterweisungen der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz über mögliche Gefährdungen hingewiesen. Denn ein Teil der bei der Altpapieraufbereitung und Papierherstellung verwendeten Mittel ist ganz eindeutig gesundheitsschädlich. Darüber gibt es keinen Zweifel. Deshalb komme es darauf an im Zweifelsfall das am wenigsten giftige Mittel zu nehmen, forderte Gerd Albracht. So ist es auch gelungen, auf Grund einer von der IG Chemie ausgelösten und von der Papiermacher-Berufsgenossenschaft durchgeführten Aktion das hochgefährliche Pentachlorphenol aus den Papierbetrieben zu verbannen.

Für die Mitarbeiter des Humanisierungsprojekts "Stoffe und Gesundheit" gab die Tagung wertvolle Hinweise, welche Informationen die Betriebsräte, vor allem auch in Klein- und Mittelbetrieben, benötigen, um mit den von gefährlichen Arbeitsstoffen ausgehenden Problemen besser fertig zu werden.

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Das gilt nicht nur für die Papierindustrie, sondern auch für die feinkeramische und die Glasindustrie, wo Gefährdungen durch Arbeitsstoffe ebenfalls an der Tagesordnung sind. Deshalb fanden in den vergangenen Wochen ähnliche Fachtagungen auch für Betriebsräte aus diesen beiden Industriezweigen statt, um den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu verbessern.

Aus: Gewerkschaftspost 12/1984

Nochmals: Die Tücken des Altpapiers

Oder: Wie sich ein "gp"- Bericht Schritt für Schritt in eine Gruselstory verwandelte.

Es war einmal eine gewerkschaftliche Fachtagung, da trafen sich Betriebsräte aus der Papierindustrie, in deren Betrieben Altpapier verarbeitet wird, mit Gewerkschaftsvertretern, Wissenschaftlern und Arbeitsschutzexperten, um über die bei der Altpapierverarbeitung auftretenden Probleme zu beraten. Denn im Laufe der Jahre hatte sich herausgestellt, daß das umweltfreundliche Recycling auch seine Schattenseiten hat und gewisse Gefahren für die Beschäftigten in der Papierindustrie mit sich birgt. Die Gewerkschaftszeitung berichtete über diese Tagung. Sie zitierte die Klagen der Betriebsräte und schrieb über die Ausführungen der Experten. Dabei ging es vor allem um Gefährdungen durch Schadstoffe, die bei der Aufbereitung von Altpapier entstehen können, und wie man die Papierarbeiter davor schützen kann. Mit keinem Wort war davon die Rede, daß aus Altpapier hergestelltes Papier schädlich oder gefährlich sei. Denn dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

Eine angesehene Nachrichtenagentur griff diesen Bericht auf und verarbeitete ihn zu einer eigenen Story. Sie zitierte dabei ausführlich, was in der Gewerkschaftszeitung stand, nahm dabei jedoch eine Akzentverschiebung vor: Eine Frage, die im Tagungsbericht ausdrücklich als "nur einer von vielen Gesichtspunkten" bezeichnet worden war, wurde zum Hauptproblem hochstilisiert und an den Anfang des Agenturberichts gestellt, nämlich die Aussage eines Betriebsrats über den hohen Prozentsatz unbrauchbaren Altpapiers und damit im Zusammenhang seine Vermutung, da könnten Krankheitskeime drinstecken.

Der Bericht der Nachrichtenagentur wurde von vielen Zeitungen nachgedruckt, doch meist in gekürzter Form. Da aber Zeitungsredakteure bei zu langen Berichten in der Regel hinten streichen, bekam das am Anfang stehende "unbrauchbare Altpapier" mit den Krankheitskeimen ein noch größeres Gewicht. Und weil die Überschrift der Agenturmeldung "Gesundheitsgefahren bei Herstellung von Umweltpapier" für schmale Zeitungsspalten zu lang war, wurde sie gekürzt und lautete dann beispielsweise in einer auflagenstarken Boulevardzeitung "Umweltpapier – Gefahr für die Gesundheit!" Die "Herstellung" war weggefallen, der Verdacht richtete sich nun gegen das Papier selbst. Auch war mit keinem Wort mehr von den gewerkschaftlichen Bemühungen zur Abwendung der Gefahren die Rede.

Die größte deutsche Rundfunkanstalt griff das Thema in einer Verbrauchersendung auf. Dabei kürzte sie den 60 Zeilen langen Agenturbericht auf zehn Zeilen zusammen, und versuchte, in diese Kurzmeldung möglichst alle negativen Aussagen reinzupacken. In einem anschließenden flapsigen Kommentar brachte der Moderator dann das "mit Krankheitskeimen verseuchte Altpapier" direkt mit dem staatlich geförderten Umweltpapier in Verbindung und meinte, daß da "ja wohl eine schnelle Klärung angebracht" sei.

Einer der Manager eines Lebensmittelfilialunternehmens hörte diesen Rundfunkbericht so, wie viele Leute Radio hören: zwischen Suppe und Kaffe mit einem Ohr. Er schnappte einige Reizworte auf wie „Altpapier", „Krankheitskeime", "Umweltpapier" und folgerte messerscharf. Da bei der Herstellung des von seiner Firma verkauften Toilettenpapiers ebenfalls Altpapier verwendet wird, muß dieses ja wohl auch mit Krankheitskeimen verseucht sein. Sofort setzte er sich mit seinem Papierlieferanten in Verbindung. Das ist ja unerhört, was da eben im Radio gemeldet wurde. Die IG Chemie, behauptet, daß im Hygienepapier, Krankheitskeime seien. Ja, wenn das so ist, kann ich wohl meiner umwelt- und gesundheitsbewußten Kundschaft künftig ihr Toilettenpapier nicht mehr anbieten. Der Papierfabrikant griff zum Telefonhörer und wandte sich händeringend an die IG Chemie. Was haben Sie da nur für eine Alarmmeldung in die Welt gesetzt? Unser Toilettenpapier soll gefährlich sein, das ist völlig unmöglich! Die Kunden drohen schon abzuspringen, die Arbeitsplätze sind gefährdet.

Diese Geschichte ist nicht erfunden. Sie schildert, wie sich der Artikel "Die Tücken des Altpapiers" in der letzten Ausgabe der "gp" durch Verkürzungen, Verdrehungen und Fehlinterpretationen Schritt für Schritt in eine Horrorstory verwandelt hat. Es ist ein klassisches Beispiel dafür, wie aus einem fachlichen und sachlichen Bericht durch klammheimliche Veränderungen innerhalb kurzer Zeit ein schlimmes Gerücht werden kann.

Übrigens: Natürlich ist Umweltpapier nicht schädlich. Selbstverständlich können auch gesundheitsbewußte Verbraucher nach wie vor ihren Allerwertesten mit Toilettenpapier abwischen, das aus Altpapier hergestellt wurde Es enthält keine Krankheitskeime. Zumindest nicht vor dem Gebrauch.

H.E.

Aus: Gewerkschaftspost 1/1985

 

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Stand: 26. Dezember 2009