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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Thesen

Drei Thesen zu strukturellen Bedingungen der Selbstverwaltung des Arbeitslebens

Ein Versuch

I

Das dominierende Geschehen in gegenwärtiger Zeit entspricht weder in wirtschaftlicher noch in politischer noch in kultureller Hinsicht dem, was die überwiegende Zahl der Menschen in den verschiedenen Völkern wirklich will.

Was dominiert?. Die gegebenen Mechanismen der vorherrschenden gesellschaftlichen Systeme in der mehr privatkapitalistisch geprägten, westlichen Hemisphäre einerseits und in der mehr staatssozialistich bestimmten östlichen Welt andererseits bewirken, daß die allermeisten Zeitgenossen nur die ausführenden Organe der Anordnungen und Entscheidungen sind, die von privilegierten Minderheiten getroffen werden. Die Mehrheit ist - im Osten gewiß noch eindeutiger als im Westen — mehr oder weniger ausweglos gezwungen, sich diesen Strukturen der Fremdbestimmung unterzuordnen, weil die Systeme nur denen ihren Lebensunterhalt gewähren, die sich den Verhältnissen anpassen (inwiefern es im Westen eine echte Chance gibt, sich zu befreien, kommt noch zur Sprache). Der junge Mensch wird in staatlichen Anstalten (Schulen, Hochschulen usw.) für sein Schicksal, sein Leben fremdbestimmt verbringen zu müssen, präpariert. Als Erwachsener hat er dann seine Fähigkeiten für jene Ziele einzusetzen, die von seinen Arbeitgebern festgelegt sind. Für alle Funktionen des Staates muß der Bürger seine Kompetenz an Funktionäre, Parteien oder Behörden abtreten. Selbstbestimmt verfügbar bleibt nur die sog. Freizeit.

Aus diesen Systemen der verweigerten geistigen, politischen und ökonomischen Souveränität ergibt sich als Folge von allem, was heute an den Arbeitsstätten der Menschheit im weitesten Sinn geschieht bzw. unterlassen wird: die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen, die militärische Bedrohung mit ihren konventionellen, atomaren, bakteriologischen und chemischen Arsenalen, die Kluft zwischen dem wohlhabenden Norden und dem verelendeten Süden des Planeten, von Erscheinungen wie Massenarbeitslosigkeit, Überproduktion, Unterversorgung, Bespitzelung und Überwachung der Bürger, Manipulation der Informationsprozesse usw. usf. gar nicht zu reden.

Was dabei den Osten vom Westen unterscheidet, besteht - wenn man die Strukturen vergleicht - darin, daß jener die Fremdbestimmung des Menschen zentralistisch und mit diktatorischen Mitteln ausübt, während dieser eine pluralistische Methode anwendet: Da unser Lebens- und Arbeitsbereich die Bundesrepublik Deutschland ist, beschränken wir uns im weiteren auf die Auseinandersetzung mit dieser Methode.

Die westlich-kapitalistische Form der Fremdbestimmung, mit der wir es hierzulande zu tun haben, realisiert sich durch ein Hauptprinzip und im wesentlichen drei Hilfsprinzipien. Das Hauptprinzip besteht in der privatwirtschaftlichen Geldfunktion: Das Geld dient in allen Sphären der Gesellschaft als universelles Tauschmittel. Das Geld gilt undifferenziert als Dokument, mittels dessen alles getan werden kann, was im Rahmen der Gesetze erlaubt ist. Je mehr Geld dieser Art sich in einer Hand vereinigt, desto umfassender sind die Möglichkeiten des selbstherrlichen Gestaltens gesellschaftlicher Prozesse. Dem darauf gerichteten Interesse steht nun 

1. das Eigentumsrecht, 

2. das Lohnen der Arbeit und 

3. der Parlamentarismus dienend zur Seite.

Das Eigentumsrecht sanktioniert die Geldverfügung und damit die Souveränität im Produktionsbereich im Hinblick auf die Kapitalentwicklung. Es sichert die Akkumulation des Kapitals und bewirkt, daß der Profit zum eigentlichen Ziel der Wirtschaft wird. Mit dem Lohnen der Arbeit, d.h. damit, daß die Einkommenszahlungen gekoppelt sind an eine bestimmte Arbeitsleistung, werden die Arbeitnehmer einerseits auf eine bestimmte Erwerbstätigkeit verpflichtet, andererseits können sie nur durch eine solche Tätigkeit ihren Lebensunterhalt verdienen. Damit steht nicht mehr die Aufgabe oder das Produkt, dem man sich zuwendet, im Vordergrund des Interesses, sondern in erster Linie die Frage nach dem Arbeitsentgelt. Der Parlamentarismus schließlich garantiert die pseudodemokratisch verbrämte, eher faktische Ausschaltung der Basis von der Festlegung der Gesetze, d,h. der für alle verbindlichen Rechte und Pflichten. Das ist von entscheidender Bedeutung; denn dadurch können die Machteliten durch formaldemokratische Prozeduren die gesamte staatliche Ordnungspolitik so realisieren und ausbauen, daß mit sog. rechtsstaatlichen Mitteln die benannten Säulen des bestehenden Systems nicht ernsthaft erschüttert werden können.

Was will die überwiegende Zahl der Menschen demgegenüber wirklich? Sie wollen verantwortungsbewußt ihre Fähigkeiten selbstbestimmt .einsetzen für Ziele, die für ihre Mitmenschen einen positiven Wert haben. Sie wollen im Umgang mit den Stoffen, Kräften und Wesen der Natur die ökologischen Notwendigkeiten erkennen und beachten. Sie wollen, daß die gemeinsam hervorgebrachten Güter für die Deckung des Bedarfs aller gerecht verteilt werden. Sie wollen friedlich, ohne Waffengewalt zusammenleben und zusammenarbeiten. Sie wollen ihre Kreativität frei entfalten und, auf allen Ebenen als Gleiche unter Gleichen die Rechtsverhältnisse, demokratisch mitbestimmen. Das wollen die Menschen wirklich.

II

Damit das, was die Menschen wirklich wollen, auch geschehen kann, müssen die Strukturen der Fremdbestimmung überwunden werden. An ihre Stelle müssen - gerade auch im Arbeitsleben und im staatlich-politischen Bereich — Strukturen der Selbstverwaltung treten, durch die demokratisches Entscheiden und selbstverantwortliches und assoziatives Handeln möglich ist. Selbstverwaltung in diesem zunächst allgemeinen Begriff kann und darf aber nur freiwillig verwirklicht werden. Das heißt: Diejenigen, die - wie auch immer - weiterhin fremdbestimmt leben und arbeiten wollen, sollen zur Verwirklichung ihres Weges die gleichen allgemeinen Rechte und Pflichten haben, wie diejenigen, die den Weg der Selbstbestimmung gehen.

Das stellt politische Aufgaben, Aufgaben im Bereich der Gesetzgebung: Es dürfen die selbstverwalteten Arbeitsstätten - sowohl im kulturellen als auch im wirtschaftlichen Bereich - gegenüber den traditionellen nicht mehr. benachteiligt sein. Das geltende Recht muß im Sinne dieser Maxime modifiziert werden. Die entscheidenden Punkte dabei sind:

1. Die Entmachtung des privaten Eigentums im Produktionsbereich und die Zurücknahme gewisser staatlicher Hoheitsfunktionen (z.B. im Schul- und Hochschulwesen), das heißt als oberste Instanz für das Schicksal eines Unternehmens (welcher Art auch immer) fungiert nicht mehr der Staat bzw. der private Kapitaleigner, sondern das jeweilige Arbeitskollektiv. Das Arbeitskollektiv hat zu entscheiden: Weg der Selbstverwaltung oder traditioneller Weg.

2. Alle selbstverwalteten Unternehmen, also jene, die keine private Kapitalbildung bezwecken, das Profitprinzip ablehnen und Lohnarbeit ausschließen, bekommen für die Durchführung ihrer Aufträge die erforderlichen Kredite von der Bundesbank.

Damit wären die strukturellen Bedingungen geschaffen für die Entwicklung der Gesellschaft in Richtung einer Selbstverwaltungsrepublik. Selbstverwaltung würde sich immer in dem Maße realisieren, wie die Menschen dies wollen und vermögen.

Wir werden uns energisch dafür einsetzen, daß die entsprechenden politischen Entscheidungen - parlamentarisch oder plebiszitär - getroffen werden. Der plebiszitäre Weg des demokratischen Entscheidens ist der Weg der Selbstverwaltung im politischen Bereich. Alles, was die Menschen in Zukunft für - alle gemeinsam - also durch Gesetz — regeln wollen, wird nur insoweit vom einzelnen Bürger mitbestimmt und mitverantwortet sein, als es zumindest potentiell aus politischer Selbstverwaltung, d.h. aus direktdemokratischen Entscheidungen hervorgegangen ist. Dies stellt uns heute die Aufgabe, mit Nachdruck die Verwirklichung des Grundgesetzes zu fordern, das in seinem Artikel 20 ja festlegt, daß die Volkssouveränität sich nicht nur im Wählen erschöpft, sondern auch unmittelbar durch Abstimmungen sich manifestieren soll. Die Aktion Volksentscheid hat die Initiative ergriffen und dem Bundestag in einer Petition die Kriterien für ein Bundesabstimmungsgesetz (= Grundbedingung politischer Selbstverwaltung) vorgelegt. Doch ohne massiven öffentlichen Druck ist es eher unwahrscheinlich, daß der Gesetzgeber im Sinne der Petition handeln wird.

III

Solange diese strukturellen (politischen) Bedingungen für die Selbstverwaltung des öffentlichen Lebens im wirtschaftlichen, kulturellen und staatlichen Bereich nicht erfüllt sind, versuchen wir trotz aller Hindernisse den eingeschlagenen Weg praktizierter Selbstverwaltung - soweit es die geltenden Gesetze zulassen — fortzusetzen und auszubauen. Schon heute gilt: Je mehr Selbstverwaltung, desto weniger Staat und Kapitalismus. Wer das will, ist aufgefordert, einzusteigen. Einzusteigen, indem er (der Mensch) mit seinen Fähigkeiten bzw. seinem Unternehmen . sich assoziiert mit dem Unternehmensverband der Aktion Dritter Weg oder sich verbindet mit einem selbstverwalteten Arbeitsfeld verwandter Art. Oder einzusteigen, indem er mit Kredit oder Schenkung diese Zusammenhänge für die Erfüllung der Aufgaben, die sie sich gestellt haben, unterstützt.

Wer erkannt hat, daß es eine Lösung der großen gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit nur geben kann, wenn die Menschen von unten die Verantwortung für die zukünftigen Entwicklungen übernehmen, der wird einsteigen, wenn diese Erkenntnis sein Herz und seinen Willen ergriffen hat. Er wird dann durch sein konkretes Engagement, durch seine Tat ein Zeuge sein dafür, daß

1. Der Einsatz der Fähigkeiten in der Arbeit Menschenpflicht und darauf gerichtet ist, den jedem Einzelnen im Maße seiner Möglichkeiten liegenden Beitrag zu leisten zur Deckung des Bedarfs der Gemeinschaft;

2. das Einkommen als von dieser Pflicht unabhängiges Menschenrecht anzusehen und entsprechend zu realisieren ist;

3. das Kapital des Unternehmens den je Tätigen treuhänderisch zur Verfügung steht, aber nicht privates Eigentum sein kann;

4. mit erwirtschafteten Überschüssen aufgrund entsprechender Vereinbarungen Arbeitsfelder versorgt werden, die für ihre Leistungen keine oder keine hinreichenden Einnahmen erzielen können;

5. alles, was hinsichtlich der Arbeit, der Einkommen, des Kapitals und des Ausgleichs der Kassen einzelbetrieblich und im Verbund der Unternehmen zu gestalten ist, wird durch die jeweiligen Organe der Mitarbeiterselbstverwaltung beraten und einmütig entschieden.

Das sind die Kriterien der Aktion Dritter Weg.

Wenn das Arbeitsleben einmal insgesamt auf diesen Grundlagen aufbaut, sind alle strukturellen Bedingungen geschaffen für ein menschengemäßes und naturgerechtes Wirken. Aus der Lebenspraxis werden sich dann frei jene Einrichtungen bilden, die geeignet sind, die Produktionsentwicklung der Bedarfsentwicklung anzupassen (Assoziationen). An Stelle der Konkurrenz tritt die Kooperation und die gegenseitige Hilfe. Die Grenzen des Sozialen werden dann nicht mehr durch die Strukturen bestimmt sein, sondern nur noch durch die Fähigkeiten bzw. die augenblicklichen Grenzen der Fähigkeiten der Menschen selbst - offen für das künftige Werden.

Wilfried Heidt

 

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Stand: 05. Juli 2011