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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Sommer 2012

Aus dem Inhalt
Rebellisches Zusammentreffen

POSTFOSSILE STADTGESTALTUNG

Biotop und Soziotop zugleich: 

Urbane Gärten


Gartendeck Hamburg St. Pauli                                                                                                                                                 Foto: Christa Müller

An vielen Orten in Deutschland, Europa und überall auf der Welt sprießen zur Zeit Gemüseflächen aus dem Boden. Das ist in der menschlichen Zivilisationsgeschichte nichts Neues, Gemüse baut mensch schon seit rund 12.000 Jahren an, und nicht von ungefähr wird von jeher das Paradies als Garten imaginiert, als »Garten Eden« eben.

Von Insa Pohlenga und Ariane Dettloff, Redaktion Köln  Doch in der städtischen Gartengeschichte ändert sich gerade einiges, es gibt nicht nur eine neue Vielfalt in den Bepflanzungsformen, auf Hochbeeten oder Vertikalbeeten, auch die »Vielfalt« der GärtnerInnen ist gestiegen. Ein wirklich wichtiger Unterschied zum althergebrachten Parzellen-Anbau ist, dass sich die neue Form des Gemüseanbaus als Gartenbewegung definiert. In vielen Projekten nehmen die GärtnerInnen die Hacke nicht aus finanzieller Notwendigkeit in die Hand, sondern aus ökologischem Interesse und aus dem Willen heraus, selbst mehr über den unmittelbaren Lebensraum in der Stadt zu bestimmen. Doch es gibt auch Beispiele, in denen verwaiste Städte und Industriebrachen zunächst aus wirtschaftlicher Notwendigkeit beackert werden, woraus sich dann ein politisches Bewusstsein entwickelt. Das ist im Artikel über Detroit geschildert.

Was alle diese städtischen Gärten gemeinsam haben, ist ihr Standort: ungenutzte, meist Beton- oder Schutt-überlagerte Flächen. Deswegen werden die Pflanzen in Kübeln oder Hochbeeten angebaut, wie es auch am Beispiel des Kölner »Neulands« zu sehen ist. Der Anbau erfolgt immer biologisch und weitgehend klimaneutral. Die »Nahesser« verbrauchen keinen Sprit für elend weite Transportstrecken, Maschinen werden nicht eingesetzt. Die StadtfarmerInnen behalten die Kontrolle über die Bodenbehandlung und den gesamten Wachstumszyklus. Ein Schritt in Richtung Nahrungssouveränität, der angesichts von globaler Finanzkrise und Lebensmittelspekulation nicht nur sinnvoll, sondern außerdem noch lustvoll daherkommt: ein Element von »buen vivir«. Besonders in dem Beitrag von Xenofon Zissis, Ingenieur und Mitbegründer eines urbanen Gartens in Thessaloniki, wird das deutlich.

Viele der urbanen Gärten wurden ursprünglich besetzt und mit Blumenkübeln geradezu belegt. Im nächsten Schritt wird in den meisten Fällen mit dem Eigentümer oder der Eigentümerin der Fläche ein Zwischennutzungsvertrag ausgehandelt. Es gibt aber auch Projekte, in denen die aktiven GärtnerInnen keine Verhandlungen eingehen, sondern ihre Mobilität insofern ausnutzen, dass sie mit ihren Gärten von Brachfläche zu Betonbrache ziehen. Beim gemeinsamen Gärtnern werden zudem oft basisdemokratische Umgangsformen geübt und gepflegt, bei der Entscheidungsfindung oder dem Aufteilen des Ertrags.

Dass Städte nicht per definitionem Orte des passiven Konsums sind, sondern auch Schauplatz von kreativen Neuaneignungen, der immaterielle wie materielle Dimensionen hat, macht die Bewegung der urbanen GärtnerInnen deutlich. »Menschen ohne Naturerfahrungen drohen seelisch zu verkümmern. Das Glück, das Menschen empfinden, wenn sie in Berührung mit Natur sind, ist Ausdruck davon, dass wir uns aufgehoben und getragen fühlen im Lebendigen in uns. So lässt sich die Kernthese einer neuen Richtung in den Lebenswissenschaften auf den Punkt bringen, die zu dem Ergebnis kommt, dass der Verlust der Natur – im Alltag der Stadt, aber auch der Verlust der Artenvielfalt – mehr bedeutet als eine klimatische Katastrophe.

Der Biologe und Philosoph Andreas Weber warnt: »Dem Menschen droht ein emotionaler Verlust, der die Grundstruktur seines Wesens angreift«, bemerkt die Soziologin und Autorin Christa Müller. Über die Urban-Gardening-Bewegung und darüber, ob das trendige städtische Gärtnern eher eine versponnene Utopie oder eine reelle Zukunftsmöglichkeit ist, sprach CONTRASTE mit Christa Müller, die im übrigen auch warnt, das Gärtnern könne seitens neoliberaler Politik missbraucht werden, um weiter in noch bestehenden Sozialsystemen zu wildern: »Dieser Ambivalenz muss man sich bewusst sein, wenn man dafür plädiert, die öffentlichen Räume für Eigeninitiative und Selbstversorgung zu vergrößern.«  

Schwerpunktthema Seite 7 bis 10

 

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Stand: 30. Juni 2012