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März03

Aus dem Inhalt
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VIRTUELLES PROJEKT

Was ist Oekonux?


2. Oekonux-Konferenz in Berlin: Eröffnung - von links: LutzH., Stefan Meretz, AStA-Vertreter, Stefan Merten

Die Frage "Was ist Oekonux?" ist gar nicht so leicht zu
beantworten, da sie mehrere Facetten hat. Am
wichtigsten sind sicher die Inhalte, für die Oekonux
steht. Aber auch die Frage, was das Projekt Oekonux ist
und wie es sich zusammensetzt, dürfte von Interesse
sein. Aber der Reihe nach.

von Stefan Merten - Im Juli 1999 fand in Berlin die erste
WOS-Konferenz statt. Im Anschluss an das Panel "Neue
Ökonomie?" organisierte Stefan Merten eine spontane
Diskussionsrunde zu diesem Thema. Die TeilnehmerInnen dieser
Diskussionsrunde wurden kurz darauf die ersten
TeilnehmerInnen der ersten Mailing-Liste, die wenig später
als liste@oekonux.de bekannt werden sollte.
Der Name Oekonux, der damals gewählt wurde, ist eine
Zusammensetzung aus den Worten Ökonomie und
GNU/Linux. Das "Oe" am Anfang des Namens ist dabei
als kleiner Hinweis auf den virtuellen Charakter des Projekts
gedacht und ist kein Ersatz für ein "Ö".

Virtueller Charakter

Schon bald besorgte Stefan Merten die Web-Domain
www.oekonux.de. Dort sind Texte aus dem Oekonux-Bereich zu
finden, einige Links zu anderen Stellen im
Web, an denen Oekonux-Leute ihre Beiträge ablegen -
insbesondere die OpenTheory-Projekte -, eine kommentierte
Link-Sammlung zu Web-Sites, die für den Oekonux-Kontext
Interessantes anbieten sowie umfangreiche Archive für die
verschiedenen Mailing-Listen.

Auch heute noch bilden Mailing-Listen das Rückgrat von
Oekonux. Zu der ersten Mailing-Liste, die im
Kern seit 1999 unverändert besteht, gesellte sich ein
Jahr später projekt@oekonux.de, auf der die Oekonuxis, die
sich dafür interessieren, über den Fortgang des
Projekts nachdenken. Hier werden organisatorische
Fragen behandelt und Entscheidungen für das Projekt
getroffen.

Zusammen mit der internationalen Site www.oekonux.org wurde
kurz darauf eine internationale Mailing-Liste
list-en@oekonux.org
eingerichtet. Allerdings hat auch heute
der internationale Teil des Projekts bei weitem nicht den
Umfang, den der deutschsprachige Teil hat. Momentan gibt es
im englischsprachigen Teil der Oekonux-Community allerdings
Überlegungen, ein Oekonux-Buch zu veröffentlichen.

Alle Oekonux-Web-Sites erreichen im Monat zusammen
150.000-200.000 Hits. Täglich sind dies um die
500-700 Besuche. Das Projekt ist über die Web-Sites
also relativ gut sichtbar.

Die Mailing-Listen zur inhaltlichen Diskussion erleben recht
unterschiedliche Phasen. Schießt die Anzahl
der Mails schon mal auf über 300 im Monat hoch, so
gibt es auch ruhigere Monate, in denen nur 50 Mails
über die deutschsprachige Liste gehen. Die Anzahl der
SubskribentInnen nimmt seit der Gründung der Liste
mit wenigen Ausreißern ziemlich linear zu und hat
mittlerweile die Marke von 250 SubskribentInnen auf
der deutschsprachigen und 90 auf der internationalen
Liste erreicht. Zwar gibt es wie auf vielen Mailing-Listen
einige wenige, die sich ziemlich regelmäßig beteiligen,
aber immer wieder schreiben auch Leute ihre erste Mail
an die Liste. Die Beiträge auf den Mailing-Listen sind
nicht selten ziemlich anspruchsvoll und das Listenklima ist
in aller Regel ausgesprochen freundlich. Dies ist
auch Sinn der Sache, denn nur in einer freundlichen
Atmosphäre, in der auch Dinge geäußert werden können,
die nicht hieb- und stichfest sind, kann gemeinsames
Lernen gedeihen. Dieses gemeinsame Lernen ist wohl
das tiefste Anliegen von Oekonux.

Leute

Bei einem virtuellen Projekt wie Oekonux ist es nicht
ganz einfach rauszukriegen, wer die Leute sind, die auf
einer der Mailing-Listen subskribiert sind. Gar nicht zu
erfassen ist, wer sich über die Web-Sites informiert.
Immerhin gibt es zuweilen auch Gelegenheit mehr voneinander
kennen zu lernen als die Mail-Adresse. Auf solchen Treffen
stellt sich heraus, dass Oekonux Leute
ganz unterschiedlicher Altersstufen anspricht. SchülerInnen
sind genauso vertreten wie Menschen jenseits
der 60.

Aus den Mails, die die Leute an die Liste schreiben,
geht manchmal hervor, aus welchem Hintergrund die
SchreiberIn kommt. Es ist verblüffend, welch weites
Spektrum Oekonux hier überspannt. Keineswegs ist es
so, dass nur Leute aus der Freien-Software-Szene sich
für Oekonux interessieren. Vielmehr kommen viele
auch aus eher politischen Zugängen zu den Themen,
die bei Oekonux diskutiert werden. Auch Leute, die ihren
Schwerpunkt in der Kultur oder in einer Ingenieurrichtung
haben, fühlen sich von Oekonux angezogen.
Dieses breite Spektrum an Hintergründen, das sich
nicht selten mit einem fundierten Wissen über das
entsprechende Gebiet paart, bildet ein äußerst fruchtbares
Amalgam, in dem alle die Möglichkeit haben, über den
eigenen Tellerrand hinauszuschauen.

Die verschiedenen TeilnehmerInnen haben dabei
durchaus gerade zu den utopischen Anteilen des Projekts sehr
unterschiedliche Standpunkte. Auch die Beurteilung der
aktuellen Situation der Welt ist durch unterschiedliche
Einschätzungen geprägt. Allerdings dürften die allermeisten
es zumindest für wünschbar halten, die Welt zu einem besseren
Ort zu machen. Diese Unterschiede führen jedoch nicht zu einer Spaltung des Projekts, sondern bilden eine produktive Spannung,
die einerseits vielen Hoffnung gibt und andererseits
verhindert, dass die utopischeren Gedanken völlig abheben.

Veranstaltungen und Konferenz

In der weniger virtuellen Welt tritt Oekonux durch einige
Oekonuxis in Erscheinung, die zu Vorträgen eingeladen
werden. Vorträge oder auch Workshops bilden einerseits
eine gute Möglichkeit die Gedankenwelt von Oekonux
auch den Menschen nahezubringen, die nicht im Internet auf
uns gestoßen sind. Andererseits ist es immer wieder spannend,
die Rückmeldungen und auch Ideen von
Gästen zu bekommen, die sich nicht schon länger mit
den Oekonux-Themen befassen.

Als Projekt haben wir im April 2001 die 1. Oekonux-Konferenz
in Dortmund und im November 2002 die 2. Oekonux-Konferenz in
Berlin organisiert. Dort haben wir
vor allem ReferentInnen eingeladen, die uns aus dem einen
oder anderen Grund für unseren Themenkreis interessant
erschienen. Die 2. Oekonux-Konferenz hatte dabei
eine deutlich internationalere Ausrichtung als dies auf
der 1. Oekonux-Konferenz der Fall war. Beide Konferenzen
wurden von ca. 160 Leuten besucht, die jeweils gut 25
Einzelveranstaltungen in drei Tracks besuchen konnten.

e.V.

Während der Betrieb der virtuellen Einrichtungen des
Projekts mit sehr wenig Geldmitteln zu bewältigen ist
und daher lange aus Privatmitteln bezahlt wurde, hat
eine Konferenz doch einen erheblichen Finanzierungsbedarf.
Auch damit externe Sponsoren für eine solche Veranstaltung
einen rechtlich angemessenen Ansprechpartner
haben, wurde daher der Projekt Oekonux e.V. gegründet.
Dieser übernimmt jetzt formal die Web-Sites und trat als
Ausrichter für die 2. Oekonux-Konferenz auf.

Allerdings spielt der Verein für das Projekt keine zentrale
Rolle. Wichtige Entscheidungen werden nach wie vor
über projekt@oekonux.de getroffen. Der Verein dient vielmehr
bei Bedarf als juristische Hülle. Auch die (wenigen)
Finanzmittel des Projekts werden vom Verein verwaltet.

Oekonux-Inhalte

Das zentrale Thema des Projekt Oekonux sind die ökonomischen,
politischen und sozialen Formen, die in Freier
Software zu finden sind. Viele Leute im Projekt interessiert
insbesondere, ob, inwiefern und ggf. wie die Prinzipien
Freier-Software-Entwicklung sich auf andere Bereiche
menschlichen Seins übertragen lassen. In diesem Bereich gibt
es durchaus auch utopische Elemente. Auch
wenn die diskutierten Themen auf den Mailing-Listen
teilweise weit über den engeren Bereich des Phänomens
Freie Software hinausgehen, so wird jedoch darauf geachtet,
dass der Bezug zu diesem Themenkomplex erhalten
bleibt.

Die zahlreichen Hintergründe, aus denen die verschiedenen
TeilnehmerInnen kommen, spiegelt sich unter anderem in recht
unterschiedlichen Herangehensweisen im Projekt. Eine
einheitliche Meinung gibt es nicht - abgesehen
vom Interesse an den Fragen des Projekts. Eine solche
einheitliche Meinung würde auch das zerstören, was das
Projekt eigentlich erst interessant macht: Die Spannung
zwischen verschiedenen Positionen auszuhalten und wo irgend
möglich als Impuls für eine Weiterentwicklung der je
eigenen Position zu verstehen.

Die Diskussion auf der Hauptliste ist dabei in erster Linie
an einer Theoriebildung interessiert. Elemente einer Bewegung
sind beim Projekt Oekonux bisher nicht oder nur
schwach ausgeprägt. Die Threads (Diskussionsfäden) auf
der Liste sind daher zuweilen ziemlich anspruchsvoll und
drehen sich nicht selten um die Klärung von Begriffen, die
ein Verständnis bestimmter Phänomene wiederspiegeln. Einige
zentrale Begriffe sollen hier angerissen werden.

Freie Software

Wenn es einen zentralen Begriff im Projekt Oekonux
gibt, so ist es der der Freien Software. Immerhin ist das
Phänomen Freie Software und seine vielfältigen Aspekte
wie erwähnt der Ur-Ausgangspunkt von Oekonux. Das
Hauptinteresse gilt dabei der Art und Weise wie Freie
Software entwickelt wird. Es geht hier also nicht oder nur am
Rande um technische Details, sondern es geht in erster Linie
um die sozialen, ökonomischen und politischen Prozesse, die
Freie Software hervorbringen und die Freie Software
ihrerseits hervorbringt.

Dazu wird versucht, Freie Software als Phänomen zunächst
einmal mit den vorhandenen Mitteln möglichst
genau zu untersuchen. Es werden verschiedenen Quellen
genutzt, um darüber im Bilde zu sein, wie die Erstellung
Freier Software funktioniert und welche Phänomene sich
dort zeigen. Daneben wird auch im Auge behalten, wie
die Welt auf Freie Software und auf vergleichbare Phänomene
reagiert, die durch das Internet und die Möglichkeiten der
digitalen Kopie ermöglicht werden. In gewisser
Weise wird mit einem Schwerpunkt auf der Freien Software die
Entwicklung der Informationsgesellschaft beobachtet.

Produktivkraftentwicklung

Eine der wichtigen Gedankengänge in Oekonux ist der,
dass es sich bei dem, was wir bei der Freien Software
beobachten können, um einen qualitativen Schritt in der
Produktivkraftentwicklung handelt. Freie Software ist eine
Form produktiven Handelns, die im Kern nicht nur jenseits des
Geldes und der Wertform, sondern auch jenseits
des Tausches schlechthin gedeiht. Auch wenn es im Rahmen
Freier Software einen Güterfluss gibt, so ist er eben
nicht durch Tausch bestimmt. Vielmehr ist es bei der Freien
Software möglich, dass alle, die ein Bedürfnis an einer
bestimmten Software haben, diese Software einfach nehmen.
Dafür muss nichts gegeben werden. Umgekehrt ist
auch das zur Verfügung stellen von Freier Software nicht
mit der Erwartung einer Gegenleistung verknüpft - auch
wenn sich die EntwicklerInnen natürlich über Anerkennung,
Bug-Reports und Vorschläge zur Weiterentwicklung freuen.

Dass die digitale Kopie, das Internet und der gegenüber
materiellen Gütern andere Charakter von Informationsgütern
hier eine erhebliche Rolle spielen, ist im Projekt durchaus
klar. Gleichzeitig wird des öfteren darauf
verwiesen, dass sich der Schwerpunkt der gesamten Produktion
im Kapitalismus immer weiter von der Bearbeitung von Materie
hin zum Umgang mit Informationen
verlagert. Insofern - so eine These - besteht eine nicht
unerhebliche Chance, dass sich die Prinzipien, die bei der
Entwicklung Freier Software erfolgreich sind, nicht nur
auch auf andere Informationsgüter, sondern im Ergebnis auch
auf materielle Güter übertragen lassen. Dies begründet einen
generellen Wechsel in der Produktivkraftentwicklung und würde
somit ein Tor zu einem generellen Wechsel in der
Vergesellschaftungsform aufstoßen.

Keimform

Freie Software kann - so die These - in diesem Sinne als
eine Keimform verstanden werden. An der Keimform
Freie Software lassen sich in zahlreichen Aspekten Ansätze
finden, die Elemente einer einer neuen Form der
Vergesellschaftung andeuten. Diese Aspekte herauszuarbeiten,
zu analysieren, zu verstehen und auf andere gesellschaftliche
Formen weiter zu denken, ist Anliegen vieler Oekonuxis.

Ein Teil dieser Überlegungen begründet sich mit der
Theorie des Fünfschritts, der allgemein Veränderungsprozesse
beschreibt. In dieser, aus der Kritischen Psychologie
stammenden Theorie wird davon ausgegangen, dass sehr
viele Veränderungsprozesse in fünf Schritten ablaufen.
Der erste Schritt ist durch die Entstehung der Keimform
gekennzeichnet. Während dieses Schrittes ist die Keimform nur
eine von vielen möglichen Formen innerhalb
der dominanten Form und ihr Potenzial ist nur schwer
erkennbar. Der zweite Schritt besteht darin, dass die
dominante Form in eine Krise gerät. Ohne diesen Krisenschritt
würde die Keimform der dominanten Form untergeordnet bleiben.
Im dritten Schritt wird die Keimform zu einer
wichtigen Entwicklungsdimension innerhalb der noch
dominierenden alten Form. Wichtig hieran ist, dass die
Keimform sich also innerhalb der noch dominierenden
alten Form quasi bewähren muss. Erst im vierten Schritt
wird die Keimform zur dominanten Größe und im fünften Schritt
ordnet sich die jetzt dominant gewordene
Keimform den Gesamtprozess unter.

Im Rahmen dieses fünfschrittigen Modells wird das
Phänomen Freie Software als im dritten Schritt befindlich
angesehen. Tatsächlich wird ja seit einigen Jahren
Freie Software auch im Kapitalismus eine immer wichtigere
Größe. Diese Schrittfolge alleine stellt aber selbstredend
noch keinen Automatismus dar. Bis ein Schritt auf
den anderen folgt können sehr lange Zeiten vergehen
und es ist nicht mal klar, dass der nächste Schritt überhaupt
kommt. Dennoch ist dieses Modell hilfreich, um
Veränderungsprozesse zu verstehen.

Selbstentfaltung

All dies erklärt aber noch nicht, warum Freie Software
eigentlich entsteht. Immerhin strengen sich hier erheblich
viele Menschen auf diesem Planeten an, um Freie Software in
hoher Qualität zu erzeugen, bekommen dafür aber
keinen Gegenwert im Sinne der Tauschökonomie. Im
Projekt Oekonux wird daher die These vertreten, dass die
Selbstentfaltung der Beteiligten der zentrale Motor für die
Produktion ist. Die Beteiligten strengen sich an, weil es in
je ihrem eigenen Interesse liegt, dies zu tun - es ist ihr
Leben.

Die Tätigkeiten, die für die Erstellung Freier Software
notwendig sind, beschränken sich dabei durchaus nicht
auf die reine Programmierung, sondern andere Tätigkeiten wie
die Erstellung von Web-Seiten oder Dokumentation, aber auch
die sozialen Fähigkeiten, um die kleinen
Teams zusammenzuhalten, die Freie Software im Allgemeinen
entwickeln, sind Teil dieser Selbstentfaltung.
Dazu gehört es auch, Tätigkeiten zu übernehmen, die weniger
spannend, interessant oder anspruchsvoll sind.
Sind solche Tätigkeiten im Interesse der Weiterentwicklung
des Projekts notwendig, so werden auch sie erledigt.
Auch diese Form verantwortlichen Verhaltens gehört also
zur Selbstentfaltung dazu.

Technologie allgemein

Um die Ebene der digitalen Produkte zu verlassen, gibt es
im Projekt Oekonux Bemühungen, die allgemeine technologische
Entwicklung unter den genannten Gesichtspunkten zu
betrachten. Einer der untersuchten Aspekte
ist, inwiefern sich Selbstentfaltung in aktuellen
Technologien verwirklichen lässt und ob bzw. wo die
Unterschiede zu älteren Technologien liegen.

Ein weiterer Aspekt der Diskussion befasst sich mit
hochmodernen Maschinen, die aus digitalen Daten direkt
dreidimensionale, anfass- und oft unmittelbar praktisch
einsetzbare Güter herstellen. Solche Materialisatoren
verschieben ganz konkret den Schwerpunkt der materiellen Produktion massiv auf die Produktion von Informationen: Um ein
bestimmtes Werkstück herzustellen, ist vor allem der Bauplan,
also ein Informationsprodukt von Interesse. Ein solcher
Materialisator ist dann in der Lage, aus amorphen
Grundstoffen mit Hilfe von Lasern oder anderen Technologien
beliebige Formen herzustellen. In solchen Maschinen
spiegelt sich in gewisser Weise die Universalität der
digitalen Kopie wieder. Es scheint daher denkbar, dass diese
Maschinengeneration beim Übergang in eine neue
Vergesellschaftungsform eine ähnlich wichtige Rolle für
materielle Güter spielen wird, wie es die durch das Internet vernetzten Computer für Informationsgüter allgemein und die Freie
Software im Besonderen gespielt haben.

Utopie

Von einigen Oekonuxis werden die heutigen Phänomene
in sehr weit reichenden Extrapolationen auf eine Utopie
hin verdichtet, in der alle diese Entwicklungslinien voll
ausgebaut sind. In einer solchen Utopie ist die
Selbstentfaltung jedeR Einzelnen Bedingung für die
Selbstentfaltung aller, genauso wie die Selbstentfaltung
aller die Bedingung für die Selbstentfaltung aller Einzelnen
ist.

Wie in der Freien Software keimförmig sichtbar, ist es
nur unter den Bedingungen der individuellen Selbstentfaltung
möglich, das erreichte Niveau der Produktivkräfte weiter zu
steigern. Die in der durch Information dominierten
Gesellschaftsformation notwendige Kreativität ist
nicht unter entfremdeten Bedingungen zu haben, die die
Kreativität der Menschen tendenziell einschränken.
Entfremdungszusammenhänge wie Arbeit oder Geld sind daher in
einer solchen gesellschaftlichen Formation schädlich für alle
und würden daher verschwunden sein.

Gleichzeitig schafft diese Kreativität der Einzelnen
- egal ob alleine oder in Gruppen - die Bedingungen der
Selbstentfaltung aller, indem die Produkte, die alle für
ihre Selbstentfaltung benötigen, quasi Nebenprodukt der
Selbstentfaltung der Einzelnen sind.

Wenn auch das ferne Ziel einer solchen
Vergesellschaftungsform einigermaßen umrissen werden kann, so
ist der Weg dorthin und insbesondere eine Übergangsphase
aus der kapitalistischen Form praktisch gar nicht
abzuschätzen. Aber auch hier gibt es bei Oekonuxis
Bemühungen, mehr zu verstehen und so zu einer
Handlungsorientierung beizutragen, die eine emanzipatorische
Vision als Ziel hat.

Weites Themenspektrum

Neben Themen wie diesen auf Oekonux unter Berücksichtigung
des Listenthemas werden aber auch viele weitere
Gedanken entwickelt. Ein wichtiger Komplex beleuchtet
beispielsweise den Begriff der Knappheit, der als
gesellschaftliche Konstruktion verstanden wird, und setzt ihn
in Beziehung zu dem Begriff der Begrenztheit. Auch klassisch
linke Themen wie Gender haben auf der Liste ihren
Platz. Eine umfangreiche Thread-Familie befasst sich
mit dem Begriff der Herrschaft und versucht diesen Begriff zu
verstehen. Ein vollständiger Überblick kann hier
nicht gegeben werden. Bei Interesse hilft aber ein Blick
ins (umfangreiche) Archiv der deutschen Diskussionsliste.

Was Oekonux nicht ist

Tatsächlich ist Oekonux in vielerlei Hinsicht nicht eindeutig
festzulegen. Das macht es nicht immer leicht, das
Projekt wirklich ganz zu begreifen - was aber auch nicht
notwendig ist, wenn mensch nur etwas lernen will. Dennoch zum
Schluss noch ein paar Überlegungen dazu,
was Oekonux nicht vertritt. Daran wird ganz gut sichtbar, in
welchen Feldern die produktive Spannung in Oekonux entsteht,
die das Projekt in den dreieinhalb Jahren
seines Bestehens schon so weit voran gebracht hat.

Geschichtsautomatik

Manche KritikerInnen lesen aus den Oekonux-Ansatz
eine platte Geschichtsautomatik heraus. Versierte Leute
bei Oekonux betonen aber immer wieder, wie wichtig das
politische Handeln für jedes emanzipatorische Projekt
ist. Von einer Automatik, die die Menschheit ohne ihr Zutun
in eine bessere Welt führt, kann also gar keine Rede
sein.

Geschichtslosigkeit

Gleichzeitig versucht Oekonux aber auch die aktuelle
Phase der geschichtlichen Entwicklung zu verstehen. Einige
vertreten, dass die Produktivkraftentwicklung mittlerweile an
einem historischen Punkt angekommen ist,
der Möglichkeiten für eine bessere Welt bietet, die früheren
Generationen nicht zur Verfügung standen.

Diese Möglichkeiten, die täglich stattfinden, zu erforschen
und auf emanzipatorische Weise neu zu denken,
ist sicher ein wichtiges Anliegen von Oekonux. Diese
Erkenntnisse in politisches Handeln umzusetzen bzw. bereits
stattfindendes Handeln als politisches zu erkennen
ein weiteres.

Technikfetischismus

Manche KritikerInnen werfen Oekonux vor, die Technik
und insbesondere die Freie Software zu fetischisieren.
Nun ist aber auf den Oekonux-Listen über Technik nicht
nur die Rede. Viele Diskussionsfäden befassen sich vielmehr
mit sozialen Aspekten der Freien-Software-Bewegung und
versuchen diese zu verstehen. Die Technik
spielt dabei zwar eine Rolle, aber eben nur eine von
mehreren.

Sozialfetischismus

Genauso wenig ist Oekonux Sozialfetischismus vorzuwerfen, wie
er in der Linken so häufig anzutreffen ist. Versierte Leute
bei Oekonux betonen immer wieder, wie wichtig
auch die technische Entwicklung einerseits für ein
umfassendes Verständnis aktueller Phänomene ist und
andererseits Möglichkeiten bietet, neue soziale Formen zu
finden. Im Spannungsfeld zwischen technischer und sozialer
Innovation versucht Oekonux so herauszufinden, was
für eine emanzipatorische Überwindung der heutigen
Verhältnisse spricht und wo das alte, kapitalistische Regime
versucht, seine Dominanz zu bewahren. Letztlich
geht es Oekonux auch darum, in diesem Spannungsfeld
politisches Handeln zu definieren.

Revolutionsromantik

Auch wenn es Überlegungen zu einer groß angelegten
gesellschaftlichen Änderung gibt, auch wenn manche Oekonuxis
von einer solchen Vision mehr oder weniger euphorisiert sind,
so gibt es doch wenig Tendenzen bei Oekonux, eine solche
Revolution romantisch zu verklären.
Vielmehr weisen versierte Leute immer wieder darauf
hin, dass gerade Übergangszeiten zwischen zwei dominanten
gesellschaftlichen Systemen schwer kalkulierbar
sind. Zudem ist noch längst nicht ausgemacht, dass eine
positive Veränderung der Welt wirklich kommt.

Negation pur

Andererseits nimmt sich Oekonux auch nicht durch einen rein
negatorischen Ansatz selbst die Möglichkeit,
neue und mit Blick auf eine emanzipatorische Vision
spannende Phänomene aufzuspüren und ihre Potentiale
kritisch, aber nicht destruktiv abzuklopfen. Damit wird
die konkrete Überwindung des Kapitalismus denkmöglich.

In diesem Spannungsfeld ist sowohl das Warten auf
den großen, alles verändernden Knall, der in negatorischer
Aussichtslosigkeit praktisch nur noch übrig bleibt,
genauso wenig notwendig, wie die Erwartung, dass die
Revolution am nächsten Wochenende endlich statt finden
wird.

Reine Utopie

Wie erwähnt gibt es utopische Elemente in Oekonux. Oekonux
auf eine reine Utopie zu reduzieren, geht allerdings weit an
der Breite der Debatte vorbei. Die utopischen Elemente in
Oekonux sind zudem oft Extrapolationen bereits laufender
Entwicklungen und somit in der Regel an konkret Überprüfbares
gebunden.

Realpolitik

Andererseits beschränkt sich Oekonux aber auch nicht
auf das gerade eben Mach- und Denkbare. Eine generelle
Beschränkung auf das aktuell mögliche ist das Ende jeder
politischen Unternehmung, die eine Veränderung der
Welt zum Ziel hat. Vielmehr beobachtet Oekonux das aktuelle
Geschehen und versucht es zu begreifen. Es ist aber
auch nicht ausgeschlossen, dass Oekonuxis mit ihren
Möglichkeiten zuweilen auch eingreifen.

Im Spannungsfeld zwischen utopischen Elementen
und konkretem Geschehen wird es möglich, Potenzen
und Gefahren zu erfassen und so Orientierung für politisches
Handeln zu finden. Die gegenseitige Rückbindung
von Realität und Utopie verhindert einerseits sowohl ein
Abheben von der als auch ein Versinken in der Realität.

Im Besitz der Wahrheit

Wie schon mehrfach betont, versteht Oekonux sich als
ein lernendes Projekt. Eine irgendwie geartete,
überindividuelle Wahrheit kann nicht das Ziel sein. Vielmehr
geht es darum, dass die Menschen, die mit Oekonux in Berührung
kommen, für je sich Interessantes lernen und für
ihr eigenes Denken und Handeln nutzbar machen.

Theoriefrei

Theoriebildung ist andererseits ein wichtiges Element
des Oekonux-Diskurses. Im Fluss von Gedanken, Ideen
und Argumenten über die Mailing-Listen versuchen die
TeilnehmerInnen Entwicklungen einzuschätzen und
theoretisch zu fassen.

Die Entwicklung einer (neuen) Theorie bildet mit
dem Wunsch zum ständigen Lernen eine Spannung, die
die zentrale Dynamik des Projekts ausmacht.

Wer nun Geschmack am Projekt Oekonux gefunden
hat, ist herzlich eingeladen, sich auf unserer Web-Site
umzusehen oder sich vielleicht sogar aktiv oder passiv in
die Diskussionsliste einzuklinken. Auch für Veranstaltungen
stehen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten gerne
zur Verfügung.

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008