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Kesselberg e.V.

KULTURZENTRUM KESSELBERG, NEU ZITTAU

Ein Projekt als Experiment

Eigentlich wollte ich ja einen Artikel über den Kesselberg schreiben, der die Entwicklung des Projekts und das Leben in der Gemeinschaft beschreibt. Hatte mir vorher alles ganz toll überlegt und dann... ist alles ganz anders als ich gedacht hab (wie immer).

Lea Diekmann, Rabe Ralf - Allein schon die ewig lange S-Bahn Fahrt bis nach Erkner... und dann die Feststellung, dass der Bus nach Neu Zittau erst in einer dreiviertel Stunde kommt. Auf einer Bank sitzend wehte mir der frische Januarwind um die Nase und ich genoss es in der Natur zu sein. Na ja, in Wirklichkeit war's einfach nur arschkalt und das Autohaus gegenüber bot auch nur eine mäßig interessante Aussicht. Also ein heißer Tipp, wenn ihr zum Kesselberg fahrt, unbedingt vorher über die Fahrpläne informieren.

Als ich dann aus dem Bus ausstieg, mich mitten im Wald wiederfand und schließlich auf das Gelände kam, war ich, ehrlich gesagt, etwas irritiert. Ich weiß zwar nicht, was ich erwartet hatte, aber das nicht. Frau merkt dem Gelände seine Stasi-Vergangenheit noch an. Die Wege sind mit formschönen Gehwehplatten ausgelegt und die Betonbauten fügen sich in die reizvolle Waldlandschaft ein. Die Landpunker am Wegesrand machten auf den ersten Blick nicht gerade den Eindruck, als würden sie vor Energie strotzen. Aber der Schein trügt ja bekanntlich.

Bis 1990 war die Stasi auf dem Gelände am Kesselberg bei Neu Zittau südlich von Berlin aktiv. Anschließend begann die Kreuzberger Atlantis gGmbH hier Präsentationsobjekte zu bauen. Beispielsweise Windräder und eine ökologische Lärmschutzmauer. Mehrere Millionen an öffentlichen Geldern sind in dieses Projekt geflossen, doch ist es schließlich an einem Konflikt zwischen Atlantis und der Gemeinde Neu Zittau gescheitert. Mehrere Jahre lag das Gelände brach, bis 1999 eine Gruppe Berlinerinnen (*) das 50 ha große Areal für sich entdeckte. Allerdings zerstritt sich die Gruppe an ihren Theorien, noch bevor sie überhaupt angefangen hatte, das Gelände am Kesselberg zu nutzen.

Heute betreibt das Kulturzentrum eine Gruppe von etwa 45 Menschen, die hauptsächlich aus einem Hausprojekt in der Berliner Brunnenstrasse kommen. 2003 haben sie das Gelände gekauft, mit Spenden, Eigenkapital und geliehenem Geld. Einen Bankkredit wollten sie nicht aufnehmen, um nicht in Abhängigkeiten zu geraten. Verständlich, wenn nicht sogar ausgesprochen klug.

Um das geliehene Geld zurück zu zahlen, arbeiten die Kesselbergerinnen in Gelegenheitsjobs. Zum Leben brauchen sie eigentlich kein Geld, da sie durch Windräder und Solarzellen fast energieautark sind und Lebensmittel containert werden.

So manche wirft der Linken ja gerne vor ihre Idee als die einzig Richtige zu sehen. Wer dies denkt, sollte sich den Kesselberg mal anschauen. Ich habe noch nie eine undogmatischere linke Gruppe getroffen. Es gibt keine gemeinsame Ideologie oder politische Motivation bei dem Projekt mitzuarbeiten. Und das ist auch noch Absicht. Die Kesselbergerinnen sind eine Gruppe, die für jede offen ist. Ein Angebot an alle sozusagen. Sie wollen Raum schaffen, in dem jede nach ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen leben, arbeiten und sich selbst verwirklichen kann. So ist es auch nicht notwendig sich in die Gruppe bzw. Gemeinschaft einzufügen. Es ist auch möglich als Einsiedlerin auf dem Kesselberg zu leben. Die Kesselbergerinnen selbst bezeichnen ihr Projekt als Experiment und den Ort als Experimentierfeld. Um Freiheit zu leben, wie es innerhalb der Gesellschaft nicht möglich ist?

Die Basics fehlen zwar noch, aber der Wille ist da. Als nächstes sollen die Wohnräume, Werkstätten für Holz und Metall sowie Ateliers ausgebaut, eine Heizung und eine Pflanzenkläranlage gebaut werden. Die Grube für die Pflanzenkläranlage gibt es schon, sie wurde in Handarbeit gebuddelt. Außerdem soll der Party- und Konzertraum bald fertig werden, zwei Bibliotheken sollen angelegt und ein Bewegungsraum ausgebaut werden.

Das Projekt steht also sehr am Anfang. Die Kesselbergerinnen sind momentan damit beschäftigt, die grundlegende Infrastruktur zum Betreiben des Kulturzentrums aufzubauen. Die geplante indigene Botschaft, in der alle Naturvölker eine Stimme bekommen sollen, ist im Aufbau, ein Lateinamerika-Festival gab es schon. Doch der weitere Aufbau der Botschaft scheiterte bisher an mangelnden Kontakten zu den indigenen Völkern. Auch das Seminarhaus soll noch stärker genutzt werden. Es steht allen Gruppen offen, im Moment wird es von der Antifa Erkner für Treffen genutzt, ist damit aber lange noch nicht ausgelastet. Ein Tonstudio gibt es auch, in dem unkommerzielle CDs aufgenommen werden können. Auch das A-Camp 2004 fand auf dem Kesselberg statt. Ansonsten beschränkt sich die Verbindung zur Berliner Szene auf persönliche Kontakte.

Auf dem Kesselberg werden politische Ideen nicht mehr zu Theorien und großen Entwürfen verarbeitet, sondern praktisch gelebt. Böswillige Menschen könnten nun sagen, die haben ja bloß keinen Bock zu arbeiten und kriegen ihr Gemeinschaftsleben auch nicht auf die Reihe. Dem würde ich ausdrücklich widersprechen. Wie sehr frau organisiert sein muss, ist sicher Ansichtssache. Ich persönlich denke, eine gewisse Organisation ist für politische Projekte unverzichtbar. Wie sehr politisch motiviert der Kesselberg auch immer ist: Es könnte spannend sein zu sehen, was sich daraus entwickelt.

* In diesem Artikel wird ausschließlich die weibliche Form verwendet. Das ist Absicht, aber natürlich sind damit auch alle geneigten männlichen Leser angesprochen.

Info/Kontakt: www.kesselberg.info

Tel. (0 33 62) 88 73 03 (öfter probieren)

Aus: Der Rabe Ralf, Februar/März 2005 

 

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Stand: 07. August 2008