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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Januar04

Aus dem Inhalt
Hausbesetzung

UMSONSTLÄDEN ALS STARTER FÜR DEMOKRATISCHES (1) WIRTSCHAFTEN

Gegenseitige Hilfe


Berliner Umsonstladen

Früher nannte man es Solidarität. Die macht aber nur
Sinn, wenn sie ganz praktisch gemeint ist. Es gibt sie
kaum noch. Ein harter und kalter Wettbewerb jeder
gegen jeden breitet sich weiter aus. Besonders im
alltäglichen Kampf im Bereich der Erwerbsarbeit wird
durch die Aktivität der beteiligten Menschen der Stress
selbst hervorgebracht, auch wenn viele nicht besonders
glücklich dabei sind.

Hilmar Kunath, Redaktion Hamburg - Wir fragen uns deshalb: Was sollen Menschen machen, die viel Erwerbsarbeit haben, sehr zeitknapp sind, kaum zur Besinnung kommen? Wie könnten sie merken, dass sie weitgehend leben, um diese Art Arbeit zu machen? Was sollen Menschen machen, die diese vielbeschworene Erwerbsarbeit nicht haben? Sie haben meist viel Zeit und wenig Geld, sind häufig auf ungesicherte Jobs angewiesen. Wie können sie ihre Lage praktisch verändern?

Seit fünf Jahren versucht der Arbeitskreis Lokale Ökonomie in Hamburg, Antworten auf diese Doppelfrage zu entwickeln. In direkten Kontakt mit Menschen, die für sich und in Gemeinschaft etwas tun wollen, gehen wir aus von ihren Tätigkeitsideen. Hier, in zusammen gemieteten Räumen, können sie machen, was sie schon immer mal wollten. Daraus ist ein Bündel von Projekten der gegenseitigen Hilfe entstanden, wovon der von uns ausgedachte Umsonstladen das bisher bekannteste ist.

Den Umsonstladen versteht fast jede/r. Menschen bringen die nicht mehr von ihnen benötigten Gegenstände. Sie fangen an, sie als nützliche Dinge, nicht mehr als Waren zu behandeln. Andere, die gerade etwas benötigen, holen sich diese Dinge für den persönlichen Gebrauch. Aktive, die den Umsonstladen betreuen, erklären den häufig eher wertorientierten Menschen, dass sie die Sachen, die sie sich gebraucht gegenseitig weitergeben, nicht neu kaufen müssen. Eine Idee ist, dass, wenn man nicht so viel Geld benötigt, man vielleicht mittelfristig nicht so viel Erwerbsarbeit machen muss. Umweltfreundlicher ist es sowieso, nicht so viele "Wegwerfartikel" herzustellen.

Es gilt im Umsonstladen eine 3-Teile-Regel. Pro Besuch darf jeder bis zu drei nützliche Dinge mitnehmen. Die NutzerInnen können durch diese Begrenzung in der Menge überlegen, was sie wirklich brauchen. Geben und Nehmen sind locker verknüpft: Mal hast du mehr - mal brauchst du mehr. Wer über Wochen und Monate nur nimmt, bringt sich ja immer wieder in Erinnerung. Derjenige wird dann schon mal gefragt, ob er oder sie nicht auch etwas tun oder geben möchte. Die 3-Teile Regel gilt übrigens bewusst auch nach innen: Wer bei uns aktiv ist (im Umsonstladen, oder in einem anderen Teilprojekt), kann sich auch für den persönlichen Bedarf aus dem U-Laden versorgen.

Kleinmöbellager

Der Umsonstladen läuft seit 5 Jahren - mit ca. 20 Aktiven. Was im letzten Jahr gewachsen ist, sind weitere Teilprojekte der gegenseitigen Hilfe, als praktische Kritik der Erwerbsarbeit. Das Kleinmöbellager funktioniert so: Menschen bringen uns ihre überzähligen, funktionsfähigen Kleinmöbel - anstatt sie wegzuwerfen. Wir holen die Möbel auch, je nach Kapazität, mit unserem VW-Transporter ab. Gerade bereiten wir einen kleinen Anfang von Möbelreparatur vor.

NutzerInnen können bei uns Möbel für den persönlichen Gebrauch bekommen, für eine Aufwandsspende, deutlich unter Marktpreisen. Das deckt unsere Unkosten (Auto, Räume). Sinn des Kleinmöbellagers ist es auch, umsonst Kleinmöbel für die Aktiven der gegenseitigen Hilfe bereitzustellen. Im November 2003 hat das Kleinmöbellager einen zusätzlichen Raum bekommen für die Aufstellung der Möbel. Der wurde in gemeinsamer Arbeit renoviert. Die Gruppe besteht jetzt aus 6 bis 8 Leuten.

Fahrrad-Selbsthilfe

Ähnlich funktioniert die Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt: Zur Deckung unserer Unkosten bitten wir die NutzerInnen um eine Aufwandsspende für die intensiven Hilfen bei der Fahrrad-Reparatur. Die Fahrradgruppe unterstützt durch ihre Arbeit den Selbsthilfegedanken. Nur wer überhaupt nichts tun möchte von den NutzerInnen und Aktiven, soll zahlen. Die Aktiven der Projektgemeinschaft bekommen diese Hilfe umsonst, sollen aber bei der Reparatur auch selbst mit anfassen. Einer aus der Fahrradgruppe muss auch seinen Gelderwerb über die Fahrräder decken. Es ist verhandelt, dass er Fahrräder, aus eigenen Teilen zusammengebaut, verkaufen und kompliziertere Reparaturen gegen Bezahlung machen kann. Dafür beteiligt er sich an den Kosten für die Raummiete. Insgesamt ist der Projektgemeinschaft die Förderung der Fahrrad-Mobilität wichtig.

Aktivierung und freiwillige Verantwortung

Von der Gartengruppe (3 Leute plus etliche zeitweilige HelferInnen) wurde bisher ein Pflanz- und Blumengarten neben unserem Stadtteiltreff angelegt. 2004 sollen ein kleiner Kräutergarten und ein Kleingarten für Gemüseanbau für die Projektgemeinschaft dazukommen. Für die Aktiven, aber auch die NutzerInen gibt es noch drei Beratungen: Die Selbstbestimmungs-Beratung, die Beratung Neue Arbeit und die Sozialberatung.

Ein paar weitere Projekte (Frauentreff, Computerbereich, Erwerbsarbeits-COOP) sind noch in der Entwicklung. Ziel ist es, einen Bereich der gegenseitigen Hilfe zu schaffen, in dem die Marktgesetze und -zwänge nicht gelten, in dem es merklich anders zugeht. Darüber hinaus entwickeln wir aber auch Ansätze, uns gegenseitig (durch die Beratungen und durch Projekte außerhalb der Projektgemeinschaft) bei der Bewältigung der noch notwendigen Erwerbsarbeit zu unterstützen.

Mittelpunkt dieser lebendigen Aktivitäten bleibt der Umsonstladen, den wöchentlich über 200 Menschen besuchen. Dort können viele zum ersten Mal Bekanntschaft mit der von uns angestrebten demokratischen Wirtschaftsweise machen. In einem langfristigen Prozess der freiwilligen Aktivierung bedeutet "freiwillig" bei uns, dass Menschen Nähe und Abstand zur Projektgemeinschaft frei gestalten können. Wer mehr mit den anderen in Kontakt ist, bekommt auch mehr. Aber jemand kann auch ganz wenig tun und wird nicht gedrängt, mehr zu tun. Das fällt manchmal gar nicht so leicht. Wir versuchen, eine freiwillige Verantwortung zu entwickeln, also dass die Menschen die selbst zugesagten Tätigkeiten auch machen. "Aktivierung" bedeutet, dass wir ermöglichen wollen, dass in unserem Freiraum Menschen langfristig Lust bekommen, sich einzumischen in das Gemeinschafts- und Gesellschaftsleben. Die Aktivierung soll dazu führen, dass sich im Laufe der Zeit der Anteil von Menschen, die diese Gemeinschaft aktiv gestalten, bestimmen, und das auch können, erheblich erhöht. Wenn wir zum Beispiel eine Radiosendung machen, dann sprechen fünf für uns, aus jedem Projekt eine ...

Dieser Versuch einer Aktivierung als (selbst-)kritischer Prozess und das (oben beschriebene) praktische Ausgehen von den Tätigkeitsbedürfnissen der Menschen unterscheidet uns bisher noch von den meisten anderen Umsonstläden. Wir schlagen hiermit künftigen Umsonstladen-Initiativen vor, anzustreben, nicht einfach nur mit wenigen Aktiven die NutzerInnen zu "bedienen", sondern zu versuchen mehr zu werden, um dort frei weitere Projekte der gegenseitigen Hilfe zu ermöglichen und zu fördern.

1) Hier soll unter demokratischem, selbstbestimmten
Wirtschaften nicht etwa eine sozialpartnerschaftliche,
formaldemokratische Zusammenarbeit zwischen Unternehmern und
Beschäftigten auf privatwirtschaftlicher
Grundlage verstanden werden (siehe die
Wirtschaftdemokratie-Vorstellungen der SPD in der
Weimarer-Republik-Zeit). Es geht uns um eine im jetzigen
Alltag ansetzende
Entwicklung der wirklichen Beteiligung der Menschen
an all ihren Produktionsbedingungen. Gemeint ist eine
Demokratie, in der die Beteiligten lebendig die
Bestimmungskräfte bilden und gegenseitige Hilfe zu
Gemeinschaftsarbeit und Gemeinschaftseigentum
weiterentwickeln.

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008