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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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homogen ?

... von wegen homogen!

Eine kleine Szene-Typologie

In einschlägigen Untersuchungen zur sozialen Zusammensetzung von Wählergruppen, heißt es zum grünen Wählerpotential immer etwas plump: überdurchschnittlich jung, intelligent und kritisch und im Grunde genommen sehr homogen. Ob wir nun wollen oder nicht (wir: die Aktiven aus den selbstverwalteten Betrieben und Projekten), wir werden einfach dazu gezählt. Aber wenn man/frau mal genauer hinguckt, dann bleibt von dieser suggerierten Homogenität nichts übrig. Als wenn der Atomkraft-nein-danke-Aufkleber auf dem Fahrrad, das Taz-Abo oder das ewige Beziehungskistengejammere Indizien für Homogenität seien. Im Gegenteil, innerhalb der Szene haben sich äußerst unterschiedliche Typen herausgebildet, die eher auf einen hohen Grad von Heterogenität schließen lassen.

Da gibt es zum Beispiel den reinen Ökologen, blaß, mager und meistens mit einem und-was-tust-Du-für-die-Natur-Gesicht. Und wehe, Du wirst von solch einem Menschen mit der Plastiktüte in der Hand ertappt. Die dann folgende Öko-Predigt entwickelt sich meist zu einer inquisitorischen Anklage, wo es keine Rechtfertigung mehr gibt. Diese Leute zeichnen sich durch einen moralischen Rigorismus aus, der einem jegliche Lebensfreude nimmt.

Eine völlig andere - jedoch im täglichen Umgang nicht minder schwierige Kategorie — sind die Therapeutics. Meist sehr sensibel, was die eigene Person angeht, oft mit einem missionarischen Drang, auch bei Dir irgendwelche frühkindlich geprägten Komplexe aufzuwühlen. Jedes banale Problem wird zum tiefenpsychologisch hochinteressanten Syndrom hochstilisiert. Man/frau erkennt diese Menschen daran, daß — kaum hat man/frau sie kennen gelernt — sie einem sofort alle ihre Probleme in entsprechender Ausführlichkeit darstellen und dich mit den vielen — für Unbefangene vielfach unverständlichen — inneren Konflikten konfrontieren.

Eine weitere Gruppe sind die Frauen. Nein; nicht alle Frauen, sondern diejenigen, die sich als autonom und feministisch verstehen. Die Frauen, die jedem Mann erst mal ein auch-Du-bist-ein-Unterdrücker ins Gesicht schleudern. Die jeden Kontakt mit Männern im Grunde schon als Verrat an der eigenen Sache begreifen. Im Dialog mit autonomen Frauen wird man das Gefühl nicht los, sich schuldig zu fühlen, für alles Unheil, was Männer an Frauen angerichtet haben. Jeder Versprecher, jede männliche Floskel gilt als Indiz für die Mitschuld.

Kommen wir nun zu einer Gruppe von Leuten, mit denen der persönliche Umgang nicht So stressig ist - weil es nämlich keinen gibt, sondern es geht immer um Politik, um Strategien und Strukturen. Gemeint sind die Polit-Macker. In der extremsten Form werden sie zu rigorosen Brechern, d.h. sie verknüpfen ihr persönliches Schicksal mit dem der Bewegung und schwören mit dieser unterzugehen, wenns sein muß. Ihr Sendungsbewußtsein ist dermaßen groß, daß sie auch noch in den Essenspausen von irgendwelchen Tagungen oder Kongressen volle Überzeugungsarbeit leisten. Kassler und Massenorganisierung, Sauerkraut und Strukturdebatten. Weniger verbissen ist die abgeschwächte Form: der sanfte Politstratege. Meist unscheinbar und konfliktscheu und auch mal für ein persönliches Gespräch zu haben oder einem Gag nicht abgeneigt. Aber: immer und überall präsent. Wo man/frau auch hinkommt, der Politstratege ist schon da. Wenn sich die Ökologen mit den Therapeutics, die Frauen mit den rigorosen Brechern gefetzt haben, bei allen die Wut groß und die Luft raus ist, dann ist der Moment der Politstrategen. Kuhl sachlich werden nochmal alle Positionen zusammengefaßt und ein konsensfähiger Vorschlag vorgetragen, verbunden mit einer pragmatischen Umsetzungsstrategie. Ein sympathischer Typus, aber unheimlich. Wer weiß schon, was solche Leute wirklich im Schilde führen.

Ein ähnlicher Typ ist der Mauschler. Das sind Leute, die jeder kennt und die jeden kennen. Sie haben überall ihre Bekannten, Connections, Verbindungen und Beziehungen. Im Unterschied z.u den Politstrategen verfolgen sie keine erkennbaren Ziele. Sie treten nicht bei öffentlichen Veranstaltungen auf, mauscheln lieber hinter den Kulissen. Sie würden sich nie gegen einen rigorosen Brecher auflehnen, vielmehr verstehen sie es äußerst gut, verschiedene Polit-Macker gegeneinander aufzuhetzen, Fraktionierungen zu initiieren und Pakte vorzubereiten. Im entscheidenden Moment sind sie allerdings weg von der Bildfläche.

Ein in den letzten Jahren nicht mehr so verbreiteter Typ ist der theoretisierende Globalstratege. Ein kleiner Tip, eine kurze Anregung genügt und schon sprudeln diese Leute gesellschaftspolitische Konzepte am laufenden Meter. Räte hier, Aktionsbündnisse dort, man müßte, man sollte, man könnte. Aber, keine Angst: Solche gut formulierten Wortschwälle haben keinerlei praktische Konsequenzen. Allerdings haben solche Leute die besten Karrierechancen; denn gerade für etablierte Institutionen oder Politiker, die ebenfalls keine Ahnung von der Szene haben, sind solcheVerbalprojekte, häufig auch noch kiloweise in Broschüren und Artikeln dokumentiert, eine wahre Fundgrube; um ihrerseits, wieder kiloweise Gutachten zu produzieren.

Das krasse Gegenteil davon sind die proletarisch Bewußten. Diesem Personenkreis ist es meistens recht peinlich, daß die Eltern eher großbürgerlich waren oder sie das eine oder andere Semester an der Uni vergeudet haben. Jedenfalls sind sie jetzt Handarbeiter, ohne wenn und aber. Was zählt, ist das handwerkliche Produkt, das sie mit eigenen Händen geschaffen haben. Meistens sind es sehr sympathische Leute, die allerdings häufig mal ein Gespräch abbrechen weil ihnen ein selbstgebauter Schrank ins Auge fällt. Oder sie schmeißen Dir in einer politischen Auseinandersetzung plötzlich ein Hast-Du-über-haupt-schon-mal-ein-freistehendes-Regal-gebaut an den Kopf.

Die letzte — hier anzuführende — Gruppe sind die ironischen-Spötter. Sie nehmen nichts und niemanden ernst - nicht mai sich selbst. Auch bei der ernsthaftesten Sache fällt ihnen noch ein höhnischer Spruch ein. Ihre Verbissenheit erweist sich als Farce, ihr Rigorismus als Anschauungsunterricht. Die Ökologen halten sie für inkonsequent und opportunistisch, die Therapeutics erkennen sofort das konfliktfeindliche Verdrängungssyndrom, die Polit-Macker halten sie für schlichtweg unpolitisch und die autonomen Frauen werfen ihnen Verschleierung der geschlechtsspezifischen Gegensätze vor, die Mauschler halten sie für unberechenbar, für die Globalstrategen sind sie ein interessantes sozial-psychologisches Phänomen und für die proletarisch Bewußten sind sie einfach nicht handhabbar.

Michael von Hohn & Spott 
Kollektiv für ironische Seitenhiebe

 

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Stand: 24. August 2011