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Gesinnungsjustiz?

BERUFSVERBOT IN BADEN-WÜRTTEMBERG BLEIBT BESTEHEN

Gesinnungsjustiz?

Das erste Berufsverbot für einen Lehrer in Baden-Württemberg seit zwoelf Jahren hat zunächst Bestand: Das Karlsruher Verwaltungsgericht wies am 13. März 2006 die Klage eines Heidelberger Realschullehrers gegen die Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe zurück, das seine Einstellung wegen Zweifels an seiner Verfassungstreue abgelehnt hatte.

Redaktion Heidelberg - Damit folgte das Gericht (Zitate aus der Urteilsbegründung siehe Kasten auf Seite 2) der Argumentationskette des für das "Referat Lehrer- und Personalverwaltung" zuständigen Leitenden Regierungsdirektors, Detlef Brandner. Der ließ es sich nicht nehmen, auf die von "friedliebender" Absicht geprägte "Zivilcourage" des Pädagogen hinzuweisen, um dann trotzdem dessen "Untauglichkeit" für den Beruf als Lehrer zu attestieren - einzig und allein auf Grund seines "Bekenntnisses zur Antifaschistischen Initiative Heidelberg" (AIHD) und zu anderen linken Organisationen wie zum Beispiel der Roten Hilfe e. V.

Er behauptete, dass Michael Csaszkóczy das parlamentarische System (FDGO) diffamieren würde. Und er legte noch darauf : "Ich wollte nicht haben, dass mein Sohn bei ihm in Geschichte oder Gemeinschaftskunde unterrichtet wird." Eigentlich hat Brandner Michael Csaszkóczy und alle anderen Kritiker von unhaltbaren Zuständen in der BRD diffamiert.

Der Lehrer Michael Csaszkóczy soll führendes Mitglied der als linksextrem eingestuften AIHD sein. Im Jahr 2004 verwehrte ihm deshalb das Land Baden-Württemberg den Eintritt in den Schuldienst (siehe CONTRASTE Nr. 234). Das Land Hessen schloss sich 2005 an (siehe CONTRASTE Nr. 255). Bereits vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe hatte der Betroffene angekündigt, dass er notfalls den Weg durch die Gerichtsinstanzen antreten will. Das nächst höhere Gericht wäre der Verwaltungsgerichtshof Mannheim. Darüber steht noch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Der 1972 beschlossene Radikalenerlass war in den 70er Jahren Grundlage für etwa 10.000 Berufsverbote vor allem gegen Lehrer/innen, Postbeamte und Lokführer. Drei Millionen Menschen wurden damals auf ihre Verfassungstreue überprüft. 1995 wurden die Berufsverbote vom Europaeischen Gerichtshof für menschenrechtswidrig erklärt. In Baden-Württemberg gab es zwischen 1983 und 1993 noch zwölf Ablehnungen für Lehramtsbewerber aus politischen Gründen, danach war Michael Csaszkóczy der einzige Fall. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften (GEW) Baden-Württemberg unterstützt ihn bei seiner Klage und will erreichen, dass die rechtlichen Grundlagen des sogenannten "Radikalenerlasses" aus dem Landesrecht gestrichen werden.

Die AIHD hatte in einer älteren Stellungnahme zu dem Berufsverbot über sich selbst geschrieben, es handele sich bei ihr "keineswegs um einen klandestinen, in der Illegalität arbeitenden Zusammenhang, sondern um eine offen auftretende antifaschistische Gruppe, gegen die noch nie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde".

Zum Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe erklärte der baden-württembergische Europaabgeordnete der Linksfraktion (GUE/NGL), der Tübinger Tobias Pflüger: "Das Berufsverbots-Verfahren gegen Michael Csaszkóczy hat mittlerweile die Grenze der Absurdität überschritten. Es ist einfach mehr als sonderbar, dass einerseits sowohl vom Schulamt, als auch vom Gericht dem Lehrer "Friedfertigkeit und Zivilcourage gegen Rechtsextremismus" attestiert wird, und andererseits mit dem Urteil in der gleichen Verhandlung eben wegen dieser Zivilcourage an der undemokratischen Praxis des Berufsverbotes festgehalten wird.

Das Gericht verletzt damit auch das im EU-Vertrag festgeschriebene Recht auf freie Berufswahl und das EU-Diskriminierungsverbot. Zugleich ist das Urteil ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, in der die Berufsfreiheit garantiert ist. Bereits 1995 wurden Berufsverbote vom Europäischen Gerichtshof für menschenrechtswidrig erklärt.

Berufsverbote waren schon in der Hochphase nach dem sogenannten Radikalenerlass ein Skandal, heute sind Berufsverbote mehr denn je völlig fehl am Platz. Es ist ein Weg zurück in eine düstere Vergangenheit. Die heutige Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat sich mit dem Berufsverbotsverfahren gegen Michael Csaszkóczy in Baden-Württemberg in bleibende Erinnerung gebracht, sie ist wesentlich verantwortlich für das Verbauen seiner Lebensperspektiven.

Bei dem, was Michael Csaszkóczy vorgeworfen wird, geht es einzig allein um eine sogenannte Kontaktschuld. Denn das Gericht sieht keinerlei Hinweise für ein irgendwie geartetes Fehlverhalten. Allein sein Engagement in der AIHD wird nun dem Lehrer Michael Csaszkóczy vorgeworfen. Es muss ein für allemal Schluss sein mit der Bestrafung von absolut notwendigem Engagement gegen Faschismus und Rassismus."

Mit diesem Urteil ist der Heidelberger Realschullehrer beruflich weiter in der Schwebe. "Im Windschatten des Prozesses in Karlsruhe hat jetzt auch Hessen ein Berufsverbot gegen mich verhängt", ärgert sich Michael Csaszkóczy. Eine Woche vor der Karlsruher Verhandlung wurde ihm die offizielle Entscheidung zugestellt. Seine Einstellung in der Martin-Buber-Schule in Heppenheim sei letzten Sommer vom Kultusministerium in letzter Minute gestoppt worden - und zwar am Tag der ersten Lehrerkonferenz. "Alle wollten mich in der Schule", sagt er. Nicht zuletzt deshalb will er trotz des erneuten juristischen Rückschlags nicht aufgeben.

Michael Csaszkóczy, der zur Zeit von Arbeitslosengeld II lebt, zweifelt inzwischen daran, dass er Lehrer werden kann. "Politisch ist es aber unglaublich wichtig, weiter zu kämpfen", sagt er. Er sei zwar bisher der Einzige, gegen den ein Berufsverbot verhängt worden sei. Er fürchte aber, dass sein Fall für die beteiligten Kultusministerien nur ein "Testballon" sei.

AUS DER URTEILSBEGRÜNDUNG

Der Tenor wird an folgenden Zitaten deutlich:

Mit Ausführungen wie der der AIHD, die von Kontinuitäten zwischen Nationalsozialismus und BRD sprechen "werden die Grenzen einer legitimen Kritik unseres Staates und seiner Verfassung mit Augenmaß weit überschritten. Hier wird die Bundesrepublik haltlos angegriffen und diffamiert, es wird kaum verhüllt zum Kampf gegen die Grundlagen unseres Staates und die ihn tragende Gesellschaft aufgerufen. (...)

Dies gilt auch auf dem Hintergrund der im gerichtlichen Verfahren angeführten Umstände, die den Kläger als engagierten Streiter gegen Rechts und fuer friedliche Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht schildern. (...)

Auch wer aus übersteigerter Sensibilität für bestimmte positive Prinzipien oder aus lebensfremdem Idealismus heraus unseren Staat und das Handeln seiner Verfassungsorgane wegen stets möglicher Missstände verachtet, grundsätzlich ablehnt und bekämpft, ist als Beamter dieses Staates ungeeignet, weil er die besondere Treuepflicht wegen seiner ablehnenden inneren Einstellung nicht garantieren kann. (...)

Auch wer aus moralischem Rigorismus, Naivität oder Leichtgläubigkeit eine Gruppe unterstützt, von der sich ein Beamter distanzieren müsste, handelt gegen die beamtenrechtliche Treuepflicht."

Der komplette Text ist auf der Homepage zu finden: www.gegen-berufsverbote.de

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008