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Editorial

EDITORIAL

Solidarität mit allen Frauen?!

Frauen mit Kopftuch irritieren mich. Ich kann mir schwer vorstellen, dass eine Frau das, was für mich ganz klar ein Symbol der Unterdrückung ist, freiwillig trägt. Es ist verlockend, diese Irritation mit der Selbstsicherheit christlicher Tradition und westlicher Kultur auf den rückständigen und daher abzulehnenden Islam zurück zu führen. Aber ist es wirklich so einfach?

Im christlichen Abendland wurden im Mittelalter massenhaft Frauen ermordet, denen Hexerei vorgeworfen wurde. Selbst die in der Französischen Revolution deklarierten Menschenrechte galten nur für Männer, so wurde zum Beispiel Olympe de Gouges 1793 für ihre Forderung nach Frauenrechten hingerichtet. Meine Großmutter wurde noch Anfang des letzten Jahrhunderts zwangsverheiratet und erst seit 1957 dürfen Frauen in Deutschland ohne Einwilligung ihres Ehemannes einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Heute liegen die Durchschnittsgehälter von Frauen etwa 23% unter denen von Männern – die vollständige Gleichberechtigung der Frau, die mittlerweile eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, ist auch in Deutschland trotz des grundgesetzlich festgeschriebenen Gleichberechtigungsgrundsatzes noch längst nicht erreicht.

Aber ist das eine Frage der Religion? Wohl jeder Glaube hat das Potential, sowohl eine Quelle der Inspiration für Menschlichkeit und soziales Engagement oder sogar Widerstand gegen Unterdrückung darzustellen, als auch der Legitimation von Macht und Herrschaft zu dienen. Religion von oben – egal ob sie von Familienpatriarchen, politisch Machthabenden oder institutionalisierten Vertretern (seltener Vertreterinnen) höherer Mächte auf Erden ausgeübt wird – ist einem gleichberechtigten Diskurs nicht zugänglich. Sie beruft sich auf etwas, das durch nicht-irdische Gesetzlichkeiten vorgegeben und damit der demokratischen Kontrolle entzogen ist. Letztlich sind es patriarchale Herrschaftsstrukturen, die sich solcherart mit dem Mantel der Nichthinterfragbarkeit und Unangreifbarkeit umgeben.

Umso wichtiger scheint mir eine strikte Trennung von Staat und Religion. Warum muss in einer säkularen Gesellschaft der Staat die Kirchensteuern eintreiben? Was hat Religionsunterricht – egal ob christlich, muslimisch oder welch anderer Glaubensrichtung auch immer – an staatlichen Schulen zu suchen? Und warum werden in Süddeutschland flächendeckend SchülerInnen mit dem täglichen Anblick des Gekreuzigten behelligt? Warum werden aus Steuergeldern konfessionell gebundene Schulen, teilweise mit kopftuchtragenden Nonnen als Lehrerinnen, und Sozialeinrichtungen finanziert, die von ihren MitarbeiterInnen entgegen der grundgesetzlichen Glaubensfreiheit ein christliches Bekenntnis fordern?

Warum kann nicht Religion Privatsache sein? Eine Frau, die ein Kopftuch trägt, hat einen Grund dafür, und diese individuellen Gründe können sehr unterschiedlich sein. Wenn sie dazu gezwungen wird, braucht sie Hilfsangebote und Unterstützung. Wenn eine kopftuchtragende Lehrerin Druck auf muslimische Mädchen ausübt, muss ein solcher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Mädchen verhindert werden. Wenn eine Frau freiwillig das Kopftuch trägt – warum sollte ich ihr das verbieten wollen? Hat nicht jede Frau ein Recht auf Selbstdefinition und Selbstbestimmung? Es gibt muslimische Feministinnen mit und ohne Kopftuch. Ich muss ihre Entscheidung respektieren, egal ob mir das passt oder nicht. »Das Recht glücklich zu sein«, wie es die Zapatistinnen einfordern (Seite 13), steht ausnahmslos jeder Frau zu, und jede kann nur für sich selbst wissen, was sie für dieses Glück benötigt. Das Kopftuch ist nur ein Stück Stoff, entscheidend ist die Frau, die es trägt.

Elisabeth Voß

 

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Stand: 23. Februar 2010