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Editorial

EDITORIAL

Rettungspakete

Erst das Rettungspaket für die Banken, dann für den Euro. Plötzlich ist Geld in unglaublichen Mengen da, wo zunehmend Bruchteile dieser unvorstellbaren Milliardensummen fehlten zur Sicherung von Grundbedürfnissen wie Bildung, Gesundheit oder sozialer Integration. Sind diese Geldmengen schon der Grabschmuck für ein Wirtschaftssystem, das sich in all seiner menschenverachtenden Brutalität am Ende selbst auffrisst? Oder ist es nur ein weiterer Schritt zur Konsolidierung einer Marktwirtschaft, die sich zugunsten einiger Weniger die Ressourcen dieser Erde aneignet und die Masse der Menschen vom Lebensnotwendigen ausschließt? In welche Richtungen weisen diese Zuckungen der kapitalistischen Ökonomie, in der die Mehrheit der Menschen ihrer Existenzgrundlagen beraubt und entweder in Hunger und Elend vergessen, oder als Kriegsmaterial und Arbeitssklaven vernutzt wird?

Das sozialstaatliche Wohlstandsmodell war ein schöner Schein für diejenigen, die an ihm teilhaben konnten, weil sie zufällig in einer privilegierten Region dieser Erde geboren waren. Das gute Leben der Einen in den befriedeten Ländern des globalen Nordens wurde schon immer erkauft mit den Leiden der Anderen in den ehemaligen Kolonien, die mit kriegerischen Mitteln oder mit Entwicklungshilfe und Strukturanpassungsprogrammen zu Rohstofflieferanten degradiert wurden.

Deutschland konnte es sich leisten, nach dem faschistischen Raubzug mit Millionen Toten anschließend mehr als 50 Jahre lang die Rolle eines friedvoll geläuterten Staates zu geben. Und dann kam Rot- Grün. Ausgerechnet diese Mixtur aus Arbeiterbewegung und alternativen Lebensentwürfen beschloss 1999 den ersten Krieg von deutschem Boden aus nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Kurz darauf folgte mit der Einführung der Riester-Rente der Einstieg in den Ausstieg aus der paritätischen Sozialversicherung. Hartz IV und die zunehmende Privatisierung der Daseinsvorsorge folgten.

Es ist ehrenwert, wenn Linke und Gewerkschaften für Arbeitszeitverkürzung und Mindestlohn streiten. Aber es dürfte klar sein, dass ein Zurück zum Sozialstaat des letzten Jahrhunderts weder möglich noch wünschenswert ist. Der große Traum vom kleinen Wohlstand »für alle« (jedenfalls so weit der kleinbürgerliche Blick reicht) ist ausgeträumt, nicht nur für die enteigneten HäuslebauerInnen in den USA oder die RentnerInnen in Griechenland, sondern absehbar für immer mehr Menschen in den reichen Ländern, auch in Deutschland, die bis vor kurzem noch glaubten, sich auf Kosten der Menschen im »Rest der Welt« komfortabel einrichten zu können.

Der »globalen Enteignungsökonomie« kann mensch nicht entgehen. Und ob es am Ende den Wenigen »da oben« gelingt, auf Kosten von Milliarden »da unten« ihre Privilegien zu genießen, kann angesichts von Klimawandel, zunehmenden menschengemachten oder Naturkatastrophen und Terrorismus bezweifelt werden. Denn auch die Schönen und Reichen sind nur sterbliche Menschen, die – ebenso wie alle anderen auch – Schutz und Nahrung für ihren Körper brauchen, und auch Sinn und soziale Bezüge für Geist und Seele. Sie haben erstmal bessere Voraussetzungen als andere, das Lebensnotwendige zu kaufen – aber nur, so lange es käuflich ist.

Die milliardenschweren Rettungspakete deuten bereits an, was Geld letztlich ist: ein schöner Schein, ein vermeintliches Anrecht auf das, was die Märkte hergeben, so lange es einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, wie Kauf und Verkauf an diesen Märkten geregelt sind. Geld an sich ist nichts, es ist Ausdruck sozialer Vereinbarungen und Beziehungen, nicht mehr und nicht weniger. Sobald es als schöner Schein entlarvt und der Konsens über die Käuflichkeit der Welt aufgehoben ist, taugen eingeschmolzene Münzen vielleicht zur Herstellung von Töpfen und Pfannen, Geldscheine ließen sich zu Toilettenpapier recyceln. Nur diese ganzen virtuellen Guthaben und Verbriefungen, mit denen wäre überhaupt nichts mehr anzufangen.

Spätestens wenn der indianische Ausspruch: »Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann!« vom Gedanken zur praktischen Erfahrung wird, wenn es keine Macht mehr gibt, die sich auf Geld und dessen vordergründig zivilisatorische Funktion stützen kann, spätestens dann stellt sich die Frage: »Sozialismus oder Barbarei « (Rosa Luxemburg) noch mal ganz neu und ganz konkret: Regiert dann das Faustrecht der Stärkeren zur Sicherung der überlebensnotwendigen Ressourcen, oder entstehen neue gesellschaftliche Zusammenhänge, in denen basisdemokratische Übereinkünfte zur Nutzung der Gemeingüter getroffen werden?

Es bleibt zu hoffen, dass schon heute möglichst viele Menschen damit beginnen, sich die materiellen und immateriellen Grundlagen ihres Lebens anzueignen und ihren Alltag gemeinsam selbst zu organisieren. Sie schaffen damit sowohl Rettungspakete für sich selbst und ihr soziales Umfeld, als auch Keimformen für ein Leben nach dem Kapitalismus, unabhängig davon, ob dieser schon in 5 oder erst in 500 Jahren zusammenbricht.

Elisabeth Voß

 

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Stand: 24. Mai 2010