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Monatszeitung für Selbstorganisation

 

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Dezember04

Aus dem Inhalt
Prozess

FABRIKBESETZUNGEN IN ARGENTINIEN:

"Wozu einen Chef ?"


Eröffnung des 3.Kongress der selbstverwalteten Fabriken Argentiniens am 15.3.2003. 
Foto: indymedia

Der argentinische Kapitalismus liegt am Boden.
Beinahe zehn Jahre lang hatte sich Carlos Menem, der
ehemalige Präsident Argentiniens, als Musterschüler
des Internationalen Währungsfonds gebärdet:
Er koppelte den argentinischen Peso an den US-Dollar,
privatisierte in großem Stil staatliche Betriebe, baute
Einfuhrbeschränkungen ab, strich die Zahl der
Staatsbediensteten radikal zusammen und dergleichen
mehr. Dank der künstlichen Parität von Peso und Dollar
hatte die Kaufkraft der Mittelschicht quasi über Nacht
zugenommen. Nach dem Motto "Was kostet die
Welt?" konnte sie sich nun endlich lang gehegte
Konsumträume erfüllen und dankte dies ihrem
Präsidenten mit politischer Unterstützung. Und während
Michel Camdessus, der damalige Direktor des IWF, der
Regierung ein Loblied sang und Argentinien dem Rest
der Welt als Modell eines modernen Staats empfahl,
wähnte die herrschende Klasse sich bereits auf dem
Weg in den exklusiven Club der Länder der Ersten Welt.

Von Marco Fernandes - Als Menem dann abtrat, überließ er es seinem Nachfolger Fernando de la Rúa, die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Gewählt, um das Land aus der Rezession zu führen, die die argentinische Wirtschaft seit 1998 lähmte, wird de la Rúa stattdessen als der Präsident, der von der Bevölkerung aus dem Amt gejagt wurde, in die Geschichte eingehen. Seine letzte Amtshandlung sollte sich als politischer Selbstmord erweisen. Eine Abwertung des Peso hatte zu einem Ansturm auf die Banken geführt. Um den endgültigen Kollaps des Finanzsystems zu verhindern, verfügte er, die Konten der Mittelund Oberschicht zu sperren. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die aufgebrachte Mittelschicht schloss sich den wütenden Protesten der Arbeitslosen an, die am 19. und 20. Dezember 2001 die Straßen beherrschten. Das Bild, das von de la Rúa bleiben wird, ist das seiner Flucht. Per Hubschrauber musste er die Casa Rosada, den Sitz des argentinischen Präsidenten, verlassen, um dem Zorn der Massen zu entkommen. 

Der Konsumrausch, der beinahe ein Jahrzehnt angehalten hatte, endete in einer gewaltigen Katerstimmung und einer gesellschaftlichen Krise, wie es sie in der Geschichte der argentinischen Republik noch nicht gegeben hat. Auf geradezu idealtypische Weise versinnbildlicht das Land die Krise der Arbeitsgesellschaft. Von den 14 Millionen, die den wirtschaftlich aktiven Teil der Bevölkerung ausmachen, sind heute 2,4 Millionen arbeitslos, weitere zwei Millionen beziehen Arbeitslosengeld und fast drei Millionen sind im öffentlichen Dienst angestellt. Von den sieben Millionen in der Privatwirtschaft Beschäftigten gelten ca. 20% als "unterbeschäftigt". Der Realwert der Einkommen ist auf das Niveau der 1940er Jahre abgesunken. Die Arbeitslosigkeit ist nur deswegen nicht noch höher, weil seit dem Jahr 2000 mehr als 260.000 Argentinier ausgewandert sind. Um eine Vorstellung von der Größenordnung dieser Migrationsbewegung zu bekommen, muss man sich vergegenwärtigen, dass in den Jahren der blutigen Militärdiktatur (1976-83) nicht einmal 40.000 Menschen das Land verlassen haben.

Selbst nach den offiziellen Angaben der Regierung leben heute von 37 Millionen Argentiniern 21 Millionen unterhalb der Armutsgrenze. Das Ausmaß der Tragödie ist nur deshalb nicht noch größer, weil die Regierung, eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung fürchtend, das Staatssäckel ein wenig aufgeschnürt hat, um den Prozess der absoluten Verelendung zu bremsen. Mehr als zwei Millionen Familien beziehen 150 Pesos aus einem Hilfsprogramm für "Haushaltsvorstände". Kaum mehr als ein Almosen, das nicht einmal ausreicht, um die Grundbedürfnisse einer einzigen Person zu decken. Noch vor einigen Jahren war ein solches Szenario völlig unvorstellbar. In den 70er Jahren war Argentinien ein Land, in dem 75% der Bevölkerung zur so genannten Mittelschicht zählten. Die wirtschaftliche Katastrophe der letzten Jahre hat diesen Anteil auf 30% schrumpfen lassen.

Fortsetzung auf Seite 7

ZUM SCHWERPUNKTTHEMA

Heinz Weinhausen, Redaktion Köln - Argentinien wird seit Jahren von einer schweren gesellschaftlichen Krise erschüttert, ausgelöst durch den finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenbruch. Aber das Leben muss weitergehen ohne business as usual. Verschiedene Formen von Selbstorganisation und Selbstverwaltung haben so sich unter oft schwierigsten Bedingungen durchgesetzt und bis heute Bestand. Unser Schwerpunkt berichtet in erster Linie von den Experimenten der Fabrikbesetzungen. Kein einfacher Weg, da diese sich bei oft ungeklärten Besitzverhältnissen den üblichen Marktbedingungen stellen müssen. Trotzdem blitzt auch Neues auf, was auf die Möglichkeit einer ganz anderen Vergesellschaftung als die der Geldgesellschaft hinweist. Erschienen ist der Artikel "Wind des Südens - Funken eines nicht-entfremdeten Bewusstseins inmitten des argentinischen Zusammenbruchs" von Marco Fernandes in dem auch in der CONTRASTE besprochenem Buch "Dead Men working" (www.krisis.org). Wir danken "Krisis" und dem UnrastVerlag für die Möglichkeit des Nachdruckes. Ebenso danken wir dem "Informationszentrum 3. Welt" für die Bereitstellung einiger Fotos zu Argentinien aus ihrem Internetauftritt (www.iz3w.org).

 

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Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation
Stand: 07. August 2008