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Berufsverbot

DIE REANIMATION EINER SCHON TOTGEGLAUBTEN MAULKORBPRAXIS IN BADEN-WÜRTTEMBERG

Berufsverbot für Lehrer

Das politische Klima in der BRD scheint sich zu verschärfen. Ein historisch einmaliges Überwachungssystem wurde seit dem 11. September 2003 eingerichtet und ein Ende der Maßnahmen des Staates zur Überwachung seiner Bürger ist nicht abzusehen. Den wahren Staatsbürger lässt das kalt, richten sich die Maßnahmen (Lauschangriffe, Telefonüberwachung, Zugangskontrollen, Biometrie, gentic fingerprinting, das Scannen von Autokennzeichen, Videoüberwachung u.v.m) doch nicht gegen Unschuldige und brave Bürger - glauben sie ...

Dieter Poschen, Redaktion Heidelberg - Auch das Recht auf freie Meinungsäußerung wird beschnitten: Demonstrationen werden von einem Riesenaufgebot von Polizisten regelrecht eingekesselt und somit für die anderen unbeteiligten Bürger wahrnehmbar kriminalisiert. Transparente und Fahnenstangen werden im Vorfeld einer Demo beschlagnahmt und Seitentransparente mit Meinungsäußerungen werden verboten, damit die Polizei jederzeit von der Seite her knüppelnd in die Demo eingreifen kann (zuletzt u.a. die Anti-Kriegs-Demo in München oder auch die AZ-Demo in Heidelberg).

Und nun auch noch eine Wiederbelebung der unsäglichen  Berufsverbotspraxis der 70er Jahre? Am 15.12.2003 erhielt der Realschullehrer Michael Csaszkóczy, der sich seit Sommer 2001 auf der BewerberInnenliste für das Lehramt im Bezirk Heidelberg befand, ein Schreiben des Oberschulamtes Karlsruhe. Darin wurde ihm mitgeteilt, dass einschlägige Erkenntnisse des Innenministeriums aus den Jahren 1992-2002 Zweifel daran aufkommen ließen, dass er bereit sei, jederzeit für die "freiheitliche demokratische Grundordnung" einzutreten. Diese könne er allerdings bei einem "vertieften Einstellungsgespräch" ausräumen, bei dem es insbesondere um die "Mitgliedschaft in Parteien oder Gruppierungen" gehen solle, die "verfassungsfeindliche Ziele" verfolgen. Dieses Schreiben bedeutet den Auftakt zu einem Berufsverbotsverfahren, das sich faktisch schon wie ein Berufsverbot auswirkt, da der ursprünglich geplante Einstellungstermin (01.02.2004) bereits verstrichen ist.

Michael Csaszkóczy (auch gelegentlicher CONTRASTE-Autor) ist seit 1989 in Heidelberg politisch aktiv, wo er sich insbesondere in der Antifa- und Antikriegsbewegung sowie für selbstverwaltete  linke Zentren engagiert und dabei auch in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt. Außerdem ist er bundesweit für die Rote Hilfe e.V. aktiv, die als linke Solidaritätsorganisation ebenfalls im Fadenkreuz des Verfassungsschutzes steht.

Der den Berufsverboten zugrunde liegende "Radikalenerlass"
wurde 1972 eingeführt, um politisch aktive Menschen aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten und Gleichgesinnte einzuschüchtern. Zwischen 1972 und 1990 wurden in der BRD 3,5 Millionen Anfragen an diverse Staatsorgane in Sachen Radikalenerlass gestellt, insgesamt gab es 11.000 offizielle Berufsverbotsverfahren mit 1.250 endgültigen BewerberInnen-Ablehnungen, wobei sich einige der Verfahren über 20 Jahre hinweg erstreckten. Von 1979 an wurde dieses Repressionsinstrument jedoch nicht mehr oder nur noch teilweise angewendet; trotzdem ist es in der Gesetzgebung zahlreicher Bundesländer, so auch im "Landesbeamtengesetz Baden-Württemberg", weiterhin verankert. 

Diese Form politischer Einschüchterung ist in Europa einzigartig und wird von vielen internationalen BürgerInnenrechtsorganisationen als klarer Verstoß gegen die Menschenrechte verurteilt. Dementsprechend entschied auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 1995 im Fall einer vom Berufsverbot betroffenen Gymnasiallehrerin. In diesem exemplarischen Urteil  erklärte er die Berufsverbotspraxis der BRD für menschenrechtswidrig, weil sie gegen die Meinungs- und die Vereinigungsfreiheit verstoße, die als Grundrechte in Art. 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert sind.

In Baden-Württemberg ist die seinerzeit übliche "Regelanfrage" beim Verfassungsschutz nicht mehr vorgesehen. Es scheint so, dass in diesem Fall der Verfassungsschutz von sich aus tätig wurde. Denn auf seine telefonische Nachfrage teilte der zuständige Regierungsdirektor dem Lehrer mit, dass ihm bereits seit Sommer 2002 eine Akte des Verfassungsschutzes vorliege. Darüber hätte Michael Csaszkóczy laut Paragraph 3 des Landesverfassungsschutzgesetzes eigentlich informiert werden müssen. Ein für den 23. Dezember 2003 vorgesehener Anhörungstermin war verschoben worden: Wegen angeblich neuer Erkenntnisse des Verfassungsschutzes. Und diese führen dazu, dass Michael auch nach dem geplanten Einstellungstermin immer noch auf sein "Verhör" wartet.

Kontakt: berufsverbot@rotehilfe.de

 

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Stand: 07. August 2008