Kölner selbstverwaltete Betriebe stellten sich vor

Von links-Klaus, Jörg, Alix, Anselm und der Hund Anwalt vor dem Haus Bartleby Foto: Dana Berg

Gemeinsames Wirtschaften in derPraxis


Eine aus sechs Betrieben bestehende Gruppe von Kölner selbstverwalteten Betrieben lud am 15. November 2014 zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung in die Alte Feuerwache in Köln ein. Einem Ort, der selbst viele Züge der Selbstverwaltung hat. An die 70 Interessierte – junge und ältere - kamen, hörten den Berichten aus der Praxis zu, stellten viele Fragen und beteiligten sich an der Gruppenarbeit. Die sehr aufmerksame, dichte Atmosphäre im Raum lässt für mich nur einen Schluss zu: Die Selbstverwaltung – hier überwiegend in ihrer betrieblichen Form - lebt.

Von Martin Esch, Köln »Könnt ihr euch vorstellen, noch mal in einem normalen Betrieb zu arbeiten, also mit Hierarchie von oben nach unten, Profitstreben und all dem?« Die Antworten der auf dem Podium vertretenen Betriebe dem Baukollektiv, der SSM (Sozialistische Selbsthilfe Mülheim) und dem VIA-Planungsbüro (ein Verkehrsplanungsbüro) waren einhellig negativ. Sie spiegelten die Stimmung bei den allermeisten Besucher*innen der Veranstaltung wieder: Wer einmal solch eine gute, menschenwürdige und befriedigende Art und Weise zu arbeiten gefunden hat, der gibt sie – bei allen Schwierigkeiten, die in der Praxis auftreten – so schnell nicht wieder her.



Viel Raum für Fragen und eigene Beiträge

Die zweistündige Podiumsdiskussion trug basisdemokratische Züge. Nach einem Kurzreferat und einigen Statements der Leute auf dem Podium öffnete sich der Raum für Fragen und Diskussion. Erfreulicherweise ging es dabei so gar nicht ideologisch zu. Stattdessen stand die Praxis im Vordergrund: Wieviel verdient ihr? Wie geht ihr mit Konflikten um? Was muss man können, um bei euch anzufangen? Wie entscheidet ihr? Habt ihr Arbeitsteilung oder macht jedeR alles? Eher gemütlich und nahrhaft wurde es in der einstündigen Pause. Bei Suppe und verschiedenen mitgebrachten Buffet-Beiträgen plus Kollektiv-Wein aus Italien entspann sich ein reger Austausch zwischen Teilnehmer*innen, Veranstalter*innen, kreuz und quer. Zu guter Letzt gab es Kleingruppen zu verschiedenen Themen an »Thementischen«. Hier zog der Tisch zu »Besitzverhältnissen, Rechtsformen« das größte Interesse auf sich.


Schafft zwei, drei, viele selbstverwaltete Betriebe

Auf eine Frage aus dem Publikum ans Publikum ergab sich, dass ca. 12 – 15 Menschen sich konkret damit auseinandersetzen möchten, einen selbstverwalteten Betrieb zu gründen. Dies mag oft noch eher ein Wunsch sein und noch weit von einer realistischen Perspektive entfernt. Andererseits zeigt es einen Weg auf, den die Veranstalter gerne unterstützen möchten. Wir werden in nicht allzu ferner Zeit weitere Veranstaltungen anbieten mit dem Ziel, diese Menschen zu unterstützen. Dabei könnte es zum einen um Ideenfindung und Gruppenbildung gehen, zum anderen um Beratung, Tipps und vielleicht auch praktische Unterstützung (Interessierte wenden sich bitte an martin.esch(at)lokotopia(dot)net).

Darüber hinaus war im Saal bei eigentlich allen eine Sehnsucht zu spüren: die Sehnsucht, anders zu leben und zu arbeiten, sich mit Menschen zu verbinden jenseits von Hierarchie und Kapital. Die gelebte Praxis der einladenden Betriebe zeigte, dass so etwas möglich ist.


Ein Drei-Stufen-Modell der Selbstverwaltung

Heinz Weinhausen vom SSM ließ sich zu einer Vision inspirieren:

»Nach Marx sind alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Gut gebrüllt, Löwe, wie aber aus solchen Verhältnissen herauswinden?

Stufe 1: Selbstverwaltete Betriebe wagen einen ersten bedeutsamen Schritt. Dort wird die Knechtung (Abhängigkeit) mittels einer gesetzten Betriebsleitung aufgehoben, in dem alle im Ensemble zu Bestimmer*innen werden oder zumindest ihre Geschäftsleitung wählen und abwählen können. Dennoch bleiben diese selbstverwalteten Betriebe auf Gedeih und Verderb dem Konkurrenz- und Preiskampf und ebenso dem Produktivitätswettlauf mit seinen Investitionszwängen unterworfen.


Stufe 2: Entschärfung der Marktwirtschaft ist möglich durch Ausweitung des Betriebes durch »Neue Arbeit«, durch Verknüpfung von Erwerbsarbeit mit gemeinsamer Selbstversorgung im weiteren Sinne. Wer sich kollektiv Häuser angeeignet hat, etwa durch Besetzung oder durch Selbstbauen einer Siedlung, wer einen großen Garten hat, wer sich in vielen Belangen sozial wie handwerklich/technisch untereinander stützt und hilft, der ist umsatzmäßig und hinsichtlich der Erwerbsarbeitszeit beispielsweise nur noch zu fünfzig Prozent dem Erfolgszwang am Markt unterworfen. Eine Vernetzung solcher Neue Arbeit-Kollektive untereinander vermag die Effekte zu erhöhen.


Stufe 3: Den gewonnenen Freiraum nicht nur für sich als Gruppe nutzen, sondern gleichzeitig für andere neu erkämpfen, den Betrieb in einen offenen Ort von Bewegung umwandeln. Am Ende kann das hinführen zu einer hundertprozentigen Entschärfung von Marktwirtschaft: Leben und Wirtschaften mit- und füreinander, ohne Kaufen und Verkaufen. Weltweit vermittelte selbstorganisierte Strukturen, worin die freien assoziierten Produzent*innen jenseits der Marktzwänge auf gleicher Augenhöhe zu arbeiten vermögen.«

 

Die Kölner Gruppe

Die Veranstaltung in der Alten Feuerwache war das erste Arbeitsergebnis einer Gruppe von derzeit sechs Kölner Betrieben, die sich unter der Überschrift „Selbstverwaltung“ zum ersten Mal Ende 2012 trafen. Das anfängliche erfreute und verwunderte Kennenlernen (wie, ihr versteht euch auch als Kollektiv?) ging über in intensive Diskussionen unseres Selbstverständnisses. Dabei wurden auch innerbetriebliche Probleme angesprochen, die sich aus der Organisationsform des Kollektivs ergeben. Durch Austausch und Feed-back lernten wir viel voneinander.

Die Gruppe hat sich nun zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Die Veranstaltung wurde gemeinsam vorbereitet und durchgeführt. Allein dieser gemeinsame Prozess, der ohne Event-Management und zentrale Planung ablief, wo jedeR das machte, was für sie/ihn passte und doch alles erledigt wurde, allein dieses Erlebnis lebendiger Kooperation war es für mich wert, meine Zeit hierfür investiert zu haben.

Meine persönlichen Highlights

Die Veranstaltung hat mich auch darüber hinaus sehr persönlich berührt. Das fängt an bei der sehr respektvollen, unideologischen und ehrlichen Art des Umgangs miteinander. So wurde es möglich, über das Thema der Lohnhöhen offen und unverkrampft zu sprechen. Dabei wurde zweierlei deutlich: Zum einen verdient man in aller Regel in einem selbstverwalteten Betrieb nicht viel, manchmal sogar ziemlich wenig. Die einzige Ausnahme, die Projektkultur, musste letztes Jahr aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten schließen. Zum anderen bedeutet aber »wenig Geld« nicht unbedingt arm. Nein, alle, die zu diesem Thema zu Wort kamen, sprachen davon, genug zum Leben zu haben, Freiräume zu haben – eben kein Gefühl von Mangel, sondern eher von einem gewissen Reichtum.


Die vertretenen Firmen variieren stark – in vielerlei Hinsicht. Es gibt eher klassische Betriebe, deren Mitglieder zwar durch die Selbstverwaltung voneinander abhängig sind und das in Notzeiten auch spüren, die aber eher wie klassische Arbeitnehmer nach Feierabend ihr eigenes Ding machen. Und dann gibt es die Betriebe, die als Lebensgemeinschaften oder Freundesgruppe funktionieren, was die Dinge nicht einfacher macht, andererseits aber den Gestaltungsspielraum der Gruppe deutlich erweitert. Mich hat besonders die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM) beeindruckt, die es ja zusätzlich zur Selbstverwaltung und der Organisation des gemeinsamen Lebens auch noch schafft, sozial ausgegrenzte Menschen aufzunehmen und zu integrieren. Hier existiert in Köln eine Zuflucht, die konkret Menschen »rettet«.


Von den Schwierigkeiten der Selbstverwaltung und des gemeinsamen Wirtschaftens war eher wenig die Rede. Dennoch war für alle zu sehen, dass die Vertreter*innen der selbstverwalteten Betriebe völlig normale Menschen sind mit allen denkbaren Ecken und Kanten. Sie strahlen Würde aus, weil sie mehr Freiheit genießen und über ihr Arbeitsleben in hohem Maße selbst bestimmen können. Aber die Mühen der Ebene führen auch zu so manchem Frust. Das tagtägliche Aufeinander-Zugehen und das Miteinander-Anpacken müssen gelebt, ausgetragen und ausgekämpft und immer wieder aus dem überkommenen Egoismus heraus in Solidarität umgewandelt werden. Bei diesem aus meiner Sicht lebenslangen Prozess sind Konzepte und Ideologien eher hinderlich. Worum es geht, ist, Dinge konkret anzupacken und anders zu machen. Selbstverwaltung in dieser bodenständigen, pragmatischen und doch engagierten, von Werten getragenen Form lebt – und wird gesucht.

Mailingliste

Einfach hier eintragen:
lists.contraste.org/sympa/info/contraste-liste

Die Umgangsfomen zwischen den NutzerInnen dieser Liste haben wir in einer Netiquette festgelegt.


Schnupperabo

CONTRASTE kann einmalig zum Sonderpreis von 9 € drei Monate lang "beschnuppert" werden. Dieses Schnupperabo endet automatisch und muss nicht gekündigt werden. Hier bestellen ...


Lest Contraste

CONTRASTE kostet im Abo 45 Euro (europ. Ausland 51). Oder Ihr könnt Fördermitglied werden: Mindestbeitrag 70 Euro. Hier abonnieren oder beitreten.


Lexikon der Anarchie

Was bedeutet eigentlich Selbstverwaltung?
Hier könnt ihr es nachlesen.