Ein Selbstgespräch

Der passende Sticker für Ihre nächste Vereidigung – einfach auf Klebeetikett kopieren und sichtbar auf die Kleidung kleben

Gestaltung (cc)-by-sa: Christoph Chrom

 

» … Dann bekommt der Staat in den Augen der Kinder Dread Locks«

Beispiel Referendar_innen: Sie erfahren ihre Situation oft als überfordernd und fühlen sich ohnmächtig in den täglichen Versuchen, ihre Grenzen zu wahren. Das Interview über sein eigenes Referendariat führte Christoph Chrom mit sich selbst.

Contraste: Herr Chrom, sie sind seit Februar Lehramtsanwärter …

CC: Ich fände es weniger blöd, mich Referendar zu nennen, denn ich habe nie aktiv eine Anwartschaft für ein Amt übernommen. Und die Entscheidung, ob ich nach meiner Ausbildung als Lehrer arbeiten will, möchte ich mir offen halten.

Gut. Sie sind also seit Februar sogenannter Referendar an einer Schule. Was Schule und was Unterricht ist, ist den meisten von uns bekannt. Aber wie lernt Mensch eigentlich unterrichten?

Ich weiß nicht genau, ob es dazu ein Konzept gibt. Viele fühlen sich ins kalte Wasser geworfen. Ihnen wird gesagt: ,Vergessen Sie, was Sie in der Uni gelernt haben‘. Zu welchem Thema und in welcher Klassenstufe sie dann unterrichten sollen, erfahren sie hingegen erst an dem Tag, an dem sie die Schule betreten – und das ist mitunter auch ihr erster Unterrichtstag. Nach einigen Wochen erhalten wir zwei erste relevante Feedbacks mit Schwerpunkt auf unserer ,Lehrerpersönlichkeit‘. In den ersten Wochen habe ich das Referendariat deshalb auch als Angriff auf meine Integrität erfahren. Das findet seinen Ausdruck auch in diesem Feedback. Mein Fazit ist: Mindestens genauso sehr wie auf das Unterrichten zielt das Referendariat auf die Veränderung meiner Persönlichkeit.

Welche Mittel hat die Institution, auf ihre Persönlichkeit einzuwirken?

Also zunächst halte ich jegliches Ansinnen staatlicher Akteur_innen, auf die Persönlichkeit der Menschen durchzugreifen, für totalitär. Es hat in einer demokratischen Gesellschaft nichts zu suchen. Mir fallen aber auf Anhieb gleich vier solcher Methoden ein, mit denen ich selbst konfrontiert war. Einmal ist da die Konstruktion eines Beamt_innenverhältnisses auf Zeit, das mit einer Vereidigung beginnt. In unserem Seminar haben zwar die meisten nicht mitgesprochen, und einige sind dazu sogar nicht einmal aufgestanden. Aber ein Eid ist ein Appell an unser erlerntes Verhältnis zur Aufrichtigkeit, das im Grunde auf Loyalität zu Vorgesetzten hinausläuft. Ich selbst bin mir bewusst, dass mir der Eid aufgezwungen wurde, und daher nehme ich meine eigenen Überzeugungen nach wie vor als oberste Entscheidungsgrundlage und nicht den ,Amtseid‘. Allerdings wird mit seiner Hilfe auch ein Statuswechsel konstruiert. Uns wurde während des Rituals gesagt, dass wir jetzt etwas Anderes seien, als zuvor. Die erste Woche war dann angefüllt mit dem Erlernen der mit dem neuen Status verbundenen Pflichten. Damit ist auch verbunden, dass unsere Ausdrucksweisen von Persönlichkeit – in allgemeiner Form – im Seminar zur Diskussion gestellt werden. Zum Beispiel haben wir anhand eines Zeitungsartikels über erwünschte und unerwünschte Kleidungsstile diskutiert. Dabei waren es Stimmen aus der Gruppe, die in überraschender Rigorosität konformes Verhalten eingefordert haben.

Eine dritte Methode sind die Halbjahresbeurteilungen. Eine Seminarleiterin attestierte mir darin eine ,grundsätzliche Unsicherheit bei der Verortung der eigenen Stellung im Kontext der Anforderungen des Lehrerberufs‘ und verlangte von mir eine ,sorgfältige Reflexion der eigenen Rolle, Motivation und Zielsetzung […] unter dem Gesichtspunkt, ob es sich nur um eigene »Anpassungsbemühungen« handelt.‘ Das verstehe ich so, dass ich nicht bloß formal, sondern aus innerer Überzeugung heraus ihre pädagogische Haltung übernehmen soll.

Ein vierter Eingriff zielt auf den Körper. Körpersprache ist sowohl Inhalt der Feedbacks zum Unterricht als auch Gegenstand von Workshops, die im Rahmen des Referendariats angeboten werden. Meiner Erfahrung nach wird darauf Wert gelegt, eine Körpersprache vorzustellen, die Machtunterschiede herstellt und reproduziert. Ich weiß, dass mich eine solche, dominante, Sprache und Körpersprache in der Vergangenheit unfähig gemacht hat, sinnvoll in selbstorganisierten Zusammenhängen zu kooperieren und wünsche mir natürlich, dass es zu keinem Rückfall kommt.

Das ist ja ein ziemlich umfangreiches und tiefgreifendes Repertoire. Warum vermuten Sie, sind derart aufwändige Mittel entwickelt worden, um auf ihre Persönlichkeit einzuwirken? Warum nimmt die Institution dies offenbar so wichtig?

Dazu muss mensch bedenken, woraus die Institution Schule besteht und wie sie ihre gesellschaftliche Wirkung entfaltet. Natürlich ist da das Schulgebäude mit seinen Klassenräumen – eine Architektur, die bestimmte soziale Praxen begünstigt und andere erschwert. Viel wichtiger aber sind meiner Meinung nach die Zeugnisse für die Wirkung der Institution: Sie sind zusammen mit der Schulpflicht quasi ihr Dreh-und-Angelpunkt, die Währung des Systems Schule, mit dem sie uns ausstattet mit zukünftigen Möglichkeiten – oder eben auch nicht. Allerdings wird ihr Gewicht meiner Meinung nach maßlos überinterpretiert.

Irgendwo zwischen Architektur und Zeugnissen steht das pädagogische Personal. Gebäude ermöglichen, Zeugnisse sind Währung, die Lehrer_innen gestalten Lernprozesse. In ihnen tritt der Staat den Kindern und Jugendlichen als Bildungsträger und Behörde gegenüber und macht sie zu Schüler_innen. Daher kann es dem Staat nicht egal sein, wie ich angezogen bin. Wenn ich Dreads auf dem Kopf habe, dann – so die Befürchtung – bekommt der Staat in den Augen der Kinder Dreads (und wertet damit ,Randgruppen‘ auf, oh Untergang des Abendlands und so). Ich meine, dies ist einer der tieferen Gründe, warum es aus Sicht der Institution diese starke Tendenz gibt, unsere persönlichen Integritäten zu überrennen und normierend auf unser Verhalten und alle Äußerungsformen unserer Persönlichkeit einzuwirken. Teilweise finde ich diese Tendenz verständlich und denke daher, dass der Staat der falsche Akteur ist, um allgemeine Bildung anzuregen. Es würde sich eher anbieten, allgemeine Bildung als ›Common‹ zu organisieren.

Gut, aber das steht auf einem anderen Contraste-Blatt … Wie gehen eigentlich die anderen Referendar_innen mit solchen Erfahrungen um? Ist denen das überhaupt bewusst?

Von einer befreundeten Psychologin weiß ich, dass viele das Referendariat tatsächlich als fundamantal verletzend erfahren. Bei allen ist der Umgang mit den eigenen Grenzen ein wichtiges Thema, viele kommen mit dem Gefühl in die Therapie, dass ihre Grenzen täglich von verschiedenen Akteur_innen regelrecht überrollt werden. Die Psychologin versucht dann, mit ihnen eine Haltung der Distanziertheit zu entwickeln, und so ihre Persönlichkeit zu schützen. Das Zitat aus meiner Halbjahresbeurteilung zeigt aber, dass Vorgesetzte auch offene Distanziertheit als Mangel etikettieren, so dass man sich bei Beibehaltung der Distanziertheit damit bedroht sieht, durch die Abschlussprüfung zu fallen. Mittlerweile habe ich auch mit einigen Menschen gesprochen, die möglicher Weise aufgrund einer ähnlichen Konstellation ihr zweites Staatsexamen nicht bestanden haben. Es scheint mir also ein ziemlicher Balanceakt zu sein, einen Weg der Distanzierung zu finden, zumal einem immer wieder Bekenntnisse abverlangt wurden. Meine Halbjahresbeurteilungen werden mir nicht nur überreicht, sondern ich werde dann auch gebeten, mich live unter vier Augen dazu zu Positionieren. Genauso ist es bei Nachbesprechungen zu meinem Unterricht. Andere – Möglicherweise bilden sie die Mehrheit – versuchen, so weit es geht ohne viel nachzudenken das zu tun, was verlangt wird und den Geist möglichst erst nach zwei Jahren wieder einzuschalten. Da besteht allerdings meiner Meinung nach die Gefahr, dass mensch dann feststellt, dass er_sie wirklich ein_e andere_r geworden ist. So sieht dann die Selbstverwirklichung im Beruf aus: Dass die Institution widerstandslos durch eine_n durchmarschiert. Das halte ich bei 1,7 Millionen Beamt_innen(1) für demokratiegefährdend.

Für welchen Weg haben Sie sich entschieden?

Ich versuche, eine klare Sprache zu sprechen. Ich will zum Ausdruck bringen: ›Dies ist es, wozu ihr mich zwingt. Ich Mache dir persönlich keinen Vorwurf, möchte aber möglichst aufrichtig zu mir selbst bleiben.‹ Diese Haltung hat mir schon das Missverständnis eingebracht, ich würde meine Tätigkeit hassen. Aber so ist es nicht: Ich will sie nur anders. Ich kooperiere gerne mit Menschen und glaube an die Kraft der Kommunikation auf Augenhöhe. Das sind beste Voraussetzungen, um mit Lust und Leidenschaft Bildungsarbeit zu machen. Aber der Rahmen, den ich dazu vorgefunden habe, ist dafür nicht geeignet.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Herzlichen Dank für Ihre, äh … meine Zeit. Es ist doch immer wieder schön, in sich hineinzuhorchen …

Anmerkungen:

(1) Zahl von Juni 2013. Quelle: Statistisches Bundesamt, www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/OeffentlicheFinanzenSteuern/OeffentlicherDienst/Personal/Tabellen/Beschaeftigungsart.html

 

 

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