Von Christoph Chrom und Anne Seeck, Redaktion Berlin – In der CONTRASTE-Community gibt es Landkommunen, Lebensgemeinschaften und Hausprojekte, die Repressionserfahrungen teilen und sich einig sind in Gesellschafts- und Konsumkritik. Kommunard_innen betreiben einen Mix aus Saftpressen, Backstuben und anderen »kleinen geilen« GbRs oder arbeiten klassisch als Angestellte in der nächsten Stadt. Sie haben oft ein »self-made«-Selbstbewusstsein und es gelingt ihnen, ein Großteil ihrer Zeit selbstbestimmt und mit angenehmen Menschen zu verbringen, die aber auch täglich hart dafür arbeiten – und das nicht immer mit der Gewissheit, dass sie sich damit ein unbesorgtes Altern sichern können. Phasenweise arbeiten Sie nach dem Motto »Ich kenne keinen Feierabend«.
Andere bilden Netzwerke und organisieren sich genossenschaftlich, um öffentliche Güter – »Commons« – zu schaffen statt alles dem Staat zu überlassen oder dem Markt zum Fraß vorzuwerfen. Natürlich schafft das nicht grundlegend andere Arbeitsverhältnisse, wenn das nicht von vornherein erklärtes Ziel der Menschen war, die Wohnprojekte, Schulen, öffentliche Aufgaben oder Unternehmen jeder Art in ihre eigenen Hände nehmen.
Einen dritten Teil unserer Community sehen wir in politischen Aktivist_innen und Freiraumschaffer_innen, die Lohnarbeit oder Arbeitslosengeld als existenzielle Voraussetzung ihres Aktivismus verstehen, und sich so weit wie möglich materiell einschränken, damit möglichst wenig Zeit für Überlebensnotwendigkeiten »draufgeht« und sie viel von ihrer Energie für Flüchtlingsarbeit, Umweltaktivismus und Protestcamps einbringen können.
Von den vielen Unternehmer_innen in eigener Sache und von denen, die in klassischen Arbeitsverhältnissen stehen und dort versuchen, ihren unangepassten Weg zu gehen, möchten wir natürlich auch nicht schweigen. Ihnen ist die Seite 12 geschuldet, in denen Christoph Chrom seine Kritik der Berufsarbeit mit Innenansichten des Lehrberufs unterfüttert.
Trotzdem sind für eine Zeitung, die den »Anders-Arbeiten-Kongress« mit organisiert hat und dem Gedanken der Solidarischen Ökonomie während einer relativ unbeachteten Geburt beigestanden hat, all die Ansätze interessanter, in denen es darum geht, nicht individuelle, sondern kollektive Perspektiven zu entwickeln. Darum eröffnet Elisabeth Voß auf Seite 11 auch unseren Schwerpunkt mit einer nachdenklichen Rückschau auf den Kongress »Anders arbeiten – oder gar nicht« und die politischen Entwicklungen, die seither in eine so ganz andere Richtung gehen. Auf Seite 13 geht es um zwei Perspektiven, die die Dramatik des Problems Arbeit verständlich machen: Robert Ulmer unterstreicht die Befehlslogiken, die der Arbeit innewohnen und zeichnet nach, wie Elias Canetti deren individuelles und gesellschaftliches Zerstörungspotential beschrieb, während Wolfgang Ratzel in dem Phänomen des »Burnout« ein Vorzeichen einer kommenden Implosion des Systems ausmacht. Endlich mal ein ermutigendes Beispiel findet ihr auf Seite 14, wo Peter Nowak von der geglückten Gründung einer Gefangenengewerkschaft berichtet.
Arbeit ist die Form, in der Menschen zu ihrer Gesellschaft in Beziehung treten. In unserer Gesellschaft eifern wir der Fiktion nach, der oder die Einzelne sei dafür verantwortlich, ihre Existenz zu sichern. Die Geschichte zeigt aber, dass Einzelne niemals dazu in der Lage waren, isoliert ihre Lebensgrundlagen zu schaffen. Dazu waren immer mächtige Kollektive notwendig. Hören wir also auf, in der Illsion zu leben, jede_r könne und müsse es alleine schaffen. Wir haben unsere Lebensgrundlagen weltweit kollektiv geschaffen und sollten sie daher auch solidarisch und rücksichtsvoll bewirtschaften. Arbeiten heißt, sich unter den Willen eines Anderen unterordnen, um die Lebensgrundlagen zu »verdienen«, die uns zuvor vorenthalten wurden. Arbeit ist Erpressung. Das haben wir nicht verdient.