September 2014 - Kritik der Arbeit

Tut dir deine Arbeit gut?

Dynamischer Marsch durch die Institutionen bei der Aktion 48 Stunden Neukölln im Idanowhere Foto: Dominik Vogel

 

Angesichts der Radikalisierung der Arbeitsverhältnisse fragen wir heute, »Tut dir deine Arbeit gut?« Anhand der Antworten werden wir vermutlich feststellen: Die CONTRASTE-Community ist ein sehr spezielles Häufchen.

Von Christoph Chrom und Anne Seeck, Redaktion Berlin – In der CONTRASTE-Community gibt es Landkommunen, Lebensgemeinschaften und Hausprojekte, die Repressionserfahrungen teilen und sich einig sind in Gesellschafts- und Konsumkritik. Kommunard_innen betreiben einen Mix aus Saftpressen, Backstuben und anderen »kleinen geilen« GbRs oder arbeiten klassisch als Angestellte in der nächsten Stadt. Sie haben oft ein »self-made«-Selbstbewusstsein und es gelingt ihnen, ein Großteil ihrer Zeit selbstbestimmt und mit angenehmen Menschen zu verbringen, die aber auch täglich hart dafür arbeiten – und das nicht immer mit der Gewissheit, dass sie sich damit ein unbesorgtes Altern sichern können. Phasenweise arbeiten Sie nach dem Motto »Ich kenne keinen Feierabend«.

Andere bilden Netzwerke und organisieren sich genossenschaftlich, um öffentliche Güter – »Commons« – zu schaffen statt alles dem Staat zu überlassen oder dem Markt zum Fraß vorzuwerfen. Natürlich schafft das nicht grundlegend andere Arbeitsverhältnisse, wenn das nicht von vornherein erklärtes Ziel der Menschen war, die Wohnprojekte, Schulen, öffentliche Aufgaben oder Unternehmen jeder Art in ihre eigenen Hände nehmen.

Einen dritten Teil unserer Community sehen wir in politischen Aktivist_innen und Freiraumschaffer_innen, die Lohnarbeit oder Arbeitslosengeld als existenzielle Voraussetzung ihres Aktivismus verstehen, und sich so weit wie möglich materiell einschränken, damit möglichst wenig Zeit für Überlebensnotwendigkeiten »draufgeht« und sie viel von ihrer Energie für Flüchtlingsarbeit, Umweltaktivismus und Protestcamps einbringen können.

Von den vielen Unternehmer_innen in eigener Sache und von denen, die in klassischen Arbeitsverhältnissen stehen und dort versuchen, ihren unangepassten Weg zu gehen, möchten wir natürlich auch nicht schweigen. Ihnen ist die Seite 12 geschuldet, in denen Christoph Chrom seine Kritik der Berufsarbeit mit Innenansichten des Lehrberufs unterfüttert.

Trotzdem sind für eine Zeitung, die den »Anders-Arbeiten-Kongress« mit organisiert hat und dem Gedanken der Solidarischen Ökonomie während einer relativ unbeachteten Geburt beigestanden hat, all die Ansätze interessanter, in denen es darum geht, nicht individuelle, sondern kollektive Perspektiven zu entwickeln. Darum eröffnet Elisabeth Voß auf Seite 11 auch unseren Schwerpunkt mit einer nachdenklichen Rückschau auf den Kongress »Anders arbeiten – oder gar nicht« und die politischen Entwicklungen, die seither in eine so ganz andere Richtung gehen. Auf Seite 13 geht es um zwei Perspektiven, die die Dramatik des Problems Arbeit verständlich machen: Robert Ulmer unterstreicht die Befehlslogiken, die der Arbeit innewohnen und zeichnet nach, wie Elias Canetti deren individuelles und gesellschaftliches Zerstörungspotential beschrieb, während Wolfgang Ratzel in dem Phänomen des »Burnout« ein Vorzeichen einer kommenden Implosion des Systems ausmacht. Endlich mal ein ermutigendes Beispiel findet ihr auf Seite 14, wo Peter Nowak von der geglückten Gründung einer Gefangenengewerkschaft berichtet.

Arbeit ist die Form, in der Menschen zu ihrer Gesellschaft in Beziehung treten. In unserer Gesellschaft eifern wir der Fiktion nach, der oder die Einzelne sei dafür verantwortlich, ihre Existenz zu sichern. Die Geschichte zeigt aber, dass Einzelne niemals dazu in der Lage waren, isoliert ihre Lebensgrundlagen zu schaffen. Dazu waren immer mächtige Kollektive notwendig. Hören wir also auf, in der Illsion zu leben, jede_r könne und müsse es alleine schaffen. Wir haben unsere Lebensgrundlagen weltweit kollektiv geschaffen und sollten sie daher auch solidarisch und rücksichtsvoll bewirtschaften. Arbeiten heißt, sich unter den Willen eines Anderen unterordnen, um die Lebensgrundlagen zu »verdienen«, die uns zuvor vorenthalten wurden. Arbeit ist Erpressung. Das haben wir nicht verdient.

Schwerpunktbeiträge September 2014

Elisabeth Voß, Redaktion Berlin - 15 Jahre sind seit dem Kongress vergangen. Anders arbeiten - oder gar nicht?! Ganzen Artikel lesen

Christoph Chrom, Redaktion Berlin - Ein Selbstgespräch. "...Dann bekommt der Staat in den Augen der Kinder Dread Locks." Ganzen Artikel lesen

Christoph Chrom, Redaktion Berlin - Für Gott, Staat, Revolution. Für etwas höheres als mich selbst.

Interview - Theater coacht Referendar_Innen. Ungleichheit herstellen. - Fragen für CONTRASTE stellte Christoph Chrom.

Wolfgang Ratzel, Berlin -Burn out als Vorzeichen der Implosion der kapitalistischen Leistungsgesellschaft. Die Qual des Umsonst.

Robert Ulmer, Berlin - Elias Canetti und unsere Arbeitsgesellschaft. Jeder Befehl, den du ausführst, bleibt als Stachel in dir.

Interview mit Christel T. - Auch der gesellschaftliche Umgang mit Arbeitslosigkeit definiert unser Verhältnis zu Arbeit. "Hartz IV ist eine Gewaltspirale." - Fragen für CONTRASTE stellten Anne Seeck und Joachim Maiworm

Peter Nowak, Berlin - Auf dem Weg zu einer bundesweiten Gefangenengewerkschaft. Eine Zellenrazzia sorgt für Aufmerksamkeit.


Aus dem Inhalt


13haFreiheit – Wohnprojekt in Mannheim

Seit dem Kauf Mitte Juni durch Hausverein und Mietshäuser Syndikat ist in Mannheim ein erstes Gebäude mit künftig knapp 30 Wohneinheiten auf Dauer dem spekulativen Markt entzogen.


Degrowth-Beiträge

Im Vorfeld der 4. Degrowth-Konferenz sprach CONTRASTE mit der Programmkoordinatorin Nina Treu vom Mitveranstalter Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V. Ganzen Artikel lesen

Für immer mehr Menschen und Initiativen sind Prinzipien wie Selbstorganisation und Basisdemokratie wichtiger als wirtschaftliches Wachstum und Profit. Ganzen Artikel lesen

Wachstumskritik, Decroissance oder Degrowth, Postwachstum oder Entwachstum - die Diskurse kommen aus unterschiedlichen inhaltlichen und politischen Richtungen, aber sie kratzen alle an dem fast schon religiösen Glauben, nur eine wachsende Wirtschaft sei eine gute Wirtschaft. Und die Frage bleibt: Gesellschaft transformieren, aber wie? Ganzen Artikel lesen


Archiv der sozialen Bewegungen Bremen

Foto: Privat

Im Dezember 2014 jährt sich die Gründung des Archivs der sozialen Bewegungen Bremen zum fünfzehnten Mal. Unter dem Motto »Von der Bewegung – für die Bewegung« wird Material aus den vielfältigen Widerstands- und Protestbewegungen der letzten Jahrzehnte zusammengetragen und bewahrt. Ganzen Beitrag lesen


Solar-Bürger-Genossenschaft aus Freiburg

Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Ausbildung zur Projektentwicklung Energiegenossenschaften vor dem TWIKE, eines der preisgünstigsten E-Mobile in Deutschland Foto: Solar-Energiebürgergenossenschaft Freiburg eG

Die Solar-Bürger-Genossenschaft ist eine unabhängige, von engagierten Menschen gegründete Energiegenossenschaft mit Sitz in Freiburg. Sie verfolgt das Ziel, die Demokratisierung der Energiewirtschaft und die Entwicklung hin zu einer nachhaltigen, dezentralen und fairen Energieversorgung mit Bürgerbeteiligung voranzubringen.

Politische Krimis

Hamburgs unabhängige Krimi- und Noir-Verlage haben sich jetzt zusammengetan und mit vier Stadtteilbuchhandlungen eine weitere spannende Veranstaltungsreihe zum Politischen Krimi entwickelt. Hinzu kommt eine spannende Rezension des Krimis "London Calling"

Volxküche aus Hannover

Die mobile VoKü beim Refugee Camp in Hannover; Auf arabisch steht dort: Bitte die Küche nur zum Kochen betreten.
Foto: Pia Kühnemann

Die mobile Volxküche aus Hannover unterstützt politische Veranstaltungen und aktuell das Refugee-Camp in Hannover. Die Küche sorgt dabei nicht nur für das leibliche Wohl der Protestierenden, sondern ist vor allem ein zentraler Ort. Die Gruppe ist auf helfende Hände angewiesen.

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Was bedeutet eigentlich Selbstverwaltung?
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