Interview mit dem Cafékollektiv Komşu Kafe aus Istanbul - Ein Café für die Nachbarschaft

Sind sind zu sechst: Ali, Ali, Ercan, Melike, Ufuk und Nora - Sie sind das Kollektiv "Komşu Kafe" aus Istanbul. Sie sind unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft. Ihr Alter ist zusammengerechnet 218 Jahre, eine Menge Erfahrung, die sie in ihr Café einbringen können. Ihre Sprachen sind Französisch, Deutsch, Türkisch, Arabisch, Spanisch und Englisch. Ihre Herkunft lässt sich ihrer Ansicht nach nicht durch den Eintrag im Pass bestimmen. Die Fragen stellte für CONTRASTE Ulrike Kumpe, Redaktion Hannover.

Komşu Kafe liegt im Istanbuler Stadtteil Kadikoy. Vom Fähranleger nur wenige Minuten zu Fuß den Berg hinauf, in einer der vielen Seitenstraßen liegt es. Schon am Eingang ist die Atmosphäre gemütlich. Man fühlt sich sofort gut aufgehoben und willkommen. Im schmalen Erdgeschoss fällt der Blick als erstes auf die Theke auf der linken Seite und das Manifest des Kollektivs auf der rechten Seite, dass als großes Plakat in türkisch und englisch aufgehängt ist. Lässt man den Blick durch den Raum schweifen, bleibt man an den Menschen haften, die sich im hinteren Bereich bewegen - Gemüse schnippeln, braten und kochen. Es ist alles unkompliziert. Manche holen sich ihr Essen selbst, andere bekommen es an den Tisch gebracht, nicht danach differenziert, wer es sich leisten kann sondern wem was besser gefällt oder wer sich hier bereits sicherer bewegt. Am Ende des Raumes liegt eine Treppe, die in den ersten Stock führt. Es gibt eine große Sofa Ecke mit Backgammon Spiel und Büchern in unterschiedlichen Sprachen. Dahinter erstreckt sich eine große Fläche, die mit Teppichen ausgelegt ist.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen ein Kollektivcafé zu eröffnen?

Solidarische Ökonomie war uns allen schon vorher vertraut und etwas, was wir alle ausprobieren wollten. Wir wollten alle etwas zu einer solidarischen Küche in Istanbul beitragen. Beim Soli-Camp in Foca im September 2013 experimentierten wir mit insgesamt 20 Leuten, die kochten und Essen verkauften. Zurück in Istanbul wollten wir schnell mit der Planung für das Kollektiv beginnen.

 

Was ist das Konzept eures Cafés?

Wir wollen ein Café ohne Chefs oder Hierarchie. Es sollen alle Entscheidungen im Konsens getroffen werden. Es soll hier keine festen Preise geben nur Beispiele dafür, was bezahlt werden könnte. Für mehr Erklärungen lest einfach unser Manifest.

 

Ein Manifest hängt bei euch im Café an der Wand. Respektieren eure Gäste die im Manifest angesprochenen Umgangsformen?

Bis jetzt scheint es so, dass alle unsere Prinzipien respektieren. Wenn wir das Gefühl haben, dass etwas schief läuft versuchen wir erst Mal mit den Leuten zu reden.

 

Welche Relevanz hat es für euch selbst?

Unser Manifest formuliert keine Regeln, aber es bildet unser Ziel ab, einen Ort des respektvollen Umgangs miteinander zu schaffen. Wir haben das Manifest an die Wand gehängt, als ein Weg unsere politischen Ideen auszudrücken und Diskussionen anzustoßen.

 

Arbeitet ihr alle zur gleichen Zeit hier? Wie organisiert ihr eure Arbeit?

Wir haben drei Schichten an einem Tag. Abhängig von den Bedürfnissen und den Kräften entscheidet jede/r selbst wie viele er oder sie in der Woche übernimmt. Einmal in der Woche ist Plenum und einmal im Monat machen wir ein längeres.

 

Seid ihr in der Lage euch selbst zu bezahlen?

Ja, wir haben uns von Anfang an einen festen Schichtlohn ausgezahlt. Und abhängig von der finanziellen Situation versuchen wir den besten Kompromiss zu finden.

 

Ist das Café jeden Tag geöffnet?

Ja, abgesehen vom ersten Donnerstag im Monat, weil an diesem Tag unser großes Plenum stattfindet.

 

Welche Intention hattet ihr das Café zu eröffnen?

Wir wollen ohne Ausbeutung leben und einen tatsächlich öffentlichen Ort schaffen im Sinne von Commons. Und wir wollen andere Kollektive und Solidarische Ökonomien ermutigen.

 

Was für Gäste habt ihr - Studierende, türkische Linke, Nachbarn?

Die Mehrheit der Menschen, die zu uns kommen sind aus Kadikoy, aber es kommen genauso Menschen von überall auf der Welt hierher, mit unterschiedlichen Ideen, unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Beschäftigungen oder Berufen.

"Komşu Kafe" bedeutet Nachbarschaftscafé sind es wirklich vor allem Nachbarn die kommen mögen sie euer Café?

Ja, es sind wirklich viele Leute aus der Nachbarschaft, die herkommen und da sie wiederkommen gehen wir davon aus, dass sie das Café mögen. Sie sind auch neugierig auf das Café.

 

Habt ihr auch Veranstaltungen hier oder verkauft ihr nur Kaffee?

Wir kochen hervorragend! Manchmal bringen Leute auch Essen her oder kochen mit uns. Wir haben aber auch viele Veranstaltungen: Parties, Treffen finden hier statt, Filmabende, Workshops. Wir machen auch Spezialitätenabende, dann kochen wir Essen aus anderen Regionen.

 

Auf welche Weise seid ihr aktuell politisch involviert?

Wir versuchen die alternativen Ökonomien in die aktuellen politischen Auseinandersetzungen einzubeziehen und bemühen uns auch neue Kollektive zu ermutigen. Wir wollen mehr als nur ein Netzwerk bilden. Alle von uns sind beteiligte und auch betroffene von Migration und städtischer Politik und das ist der Grund dafür, das diese Perspektiven immer eine Rolle spielen.

 

Seid ihr verbunden mit anderen kollektiven Projekten in der Türkei oder auch international?

Ein Beispiel dafür ist, dass wir uns bemühen unsere Waren von anderen Genossenschaften und Kooperativen zu beziehen. Wir versuchen uns auch am internationalen Netzwerk für den Verkauf von zapatistischen Kaffee zu beteiligen. Es gibt bei uns im Café auch eine Spendendose mit der wir jeden Monat andere Projekte unterstützen. Wir haben jemanden von ECOS eingeladen, einem Solidaritätsnetzwerk von Kollektiven aus dem spanischen Katalonien, um unsere Erfahrungen auszutauschen.

 

Was schätzt ihr an eurer Arbeit im Café?

Da sind tausend Sachen. Um nur einige zu nennen, ohne Chef aber dafür mit Freunden zu arbeiten, das Kochen und Erfahrungen mit all den neuen Situationen, die wir hier zusammen erleben.

Vielen Dank für das Interview und alles Gute für eure weitere Arbeit.

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