357 - Juni 2014 - Ausgekohlt

Von Waldrettern und Klimakillern

 

Es sind extrem ungleiche Kontrahenten: die Waldretter_innen und der Klimakiller Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk (RWE) mit seinen Braunkohletagebauen und –kraftwerken im Rheinland.

Wiesenbesetzer auf der Demo in Jülich März 2012 Foto: Herbert Sauerwein

Von Ariane Dettloff, Redaktion Köln Die Leute auf dem Wiesencamp beim Hambacher Forst in der Nähe von Köln, der demnächst einer tiefen Kohlegrube weichen soll, sind ein sehr spezielles Völkchen mit tribalistisch anmutendem Outfit, voller Piercings und Tattoos, mit bunt flatternden Third-Hand-Klamotten oder schwarz in schwarz gewandet. Umgangssprache in ihrem internationalen Camp ist mal Deutsch, mal Englisch und auch schon mal Spanisch.

Von einem "Urwald" am Rand des Tagebaus Hambach sprechen die Wald- und Wiesenbesetzer_innen. Das erklären sie mit ihrer Sympathie für die Zapatistische Bewegung im mexikanischen Chiapas, die in "Botschaften aus dem lakandonischen Urwald" ihren Widerstand gegen die Ausbeutung indigener Ressourcen durch neoliberale Konzerne begründete. "Heute ist eine Ware, was früher keinen weiteren Wert hatte als den gemeinsamen Nutzen der Menschen" erklärte Subcomandante Marcos, die Stimme der Zapatistas 2007. In diesem Geist erklären die Wiesenbesetzer_innen des Hambacher Forsts: "Bäume sind keine Ware!" und versuchen sie vor der Rodung zugunsten des Braunkohle-Abbaus durch RWE zu schützen, u.a. indem sie sie bewohnen. Die spektakulärste Aktion, die viel Medien-Aufmerksamkeit brachte, war eine Verschanzung in einem Tunnel unter dem Wald, so dass die Polizei vier Tage brauchte, um den Besetzer herauszubekommen.

Die Waldretter_innen versuchen auch, ihr Leben im Camp selbstorganisiert und herrschaftsfrei zu gestalten. Dabei helfen auch "Normalos" aus der Umgebung, indem sie die Besetzer_innen zum Beispiel mit Lebensmitteln versorgen und ihre Wäsche waschen. Die Campbewohner_innen in Hambach versuchen, Geldgeschäfte möglichst zu vermeiden. Sie setzen auf Selbstversorgung, Eigenarbeit und Solidarität. Sie gärtnern und containern, stellen Salben und Tinkturen aus Wildkräutern her, bauen Solarkocher, Windräder und Holzhütten. Und sie bilden Netzwerke. Im Bündnis mit den verschiedenen Initiativen und Gruppen vor Ort und darüber hinaus versuchen sie, dem Goliath RWE die Stirn zu bieten.

Der allerdings entwirft Gegenstrategien, die mit viel Geld und Raffinesse versuchen, die Bevölkerung des Reviers für sich zu gewinnen. "Cluster" sollen gebildet werden. Dazu gehört die angeblich konstruktive Zerstörung vorhandener Strukturen und die Neuformierung einer ganzen Region. So wird im Braunkohlerevier zwischen Aachen, Düren und Köln eine der aufgrund ihrer Lössböden äußerst fruchtbare Agrarlandschaft umgemodelt. Die "Sophienhöhe", der vom größten Bagger der Welt zusammen gescharrte größte künstliche Berg der Welt, wurde hier aufgeschüttet. Diese rekultivierte Abraumhalde wird nun als Naherholungsgebiet genutzt. Gastronomie und Unterhaltungsbetriebe wurden angesiedelt - so etwa ein "Forum Terranova" mit "Infozentrum für Rekultivierung" und "Fußball-Golf", das die RWE Power AG sich vier Millionen Euro kosten ließ.

Indessen werden weiter massenhaft Schadstoffe produziert - nicht nur das Treibhausgas CO2, sondern auch radioaktiver Feinstaub, Quecksilber, Arsen und Stickoxide. Und der Grundwasserspiegel sinkt und sinkt. Bis nach Köln wirkt sich das aus. Statt Eifelwasser müssen die Großstädter, bedingt durch das Abpumpen der Braunkohlegruben, Rheinuferfiltrat als Trinkwasser schlucken.

Lobbyverbände spielen beim "Cluster" eine große Rolle. Für RWE ist das der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). An seiner Spitze steht seit 2008 Hildegard Müller. Damals gelang der deutschen Kohlewirtschaft ihr größter Coup: der BDEW warb Kanzlerin Angela Merkel eine ihrer engsten Vertrauten ab. Hildegard Müller hielt im Rang einer Staatsministerin im Kanzleramt für Merkel die Fäden zum Bundesrat und den Ländern in der Hand. Wie wertvoll der Wechsel an die Lobbyspitze der deutschen Kohlewirtschaft sein sollte, zeigte sich nach der Wahl 2013: Das Programm der "GroKo" trägt energiepolitisch Müllers Handschrift. Die in Aussicht gestellten Subventionen für RWE und das Rheinische Braunkohlerevier bezüglich der "Bereitstellung von Grundlast-Kapazitäten" erfreute auch die neue Partnerin, die "Kohle-SPD". Im März verkündete dann Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft überraschend, der Tagebau Garzweiler werde verkleinert und zehn Jahre früher als geplant beendet. Soll so der wachsende Widerstand beschwichtigt werden? Kann die Bewegung gegen die Braunkohle-Industrie einen kleinen Erfolg feiern? Oder ist der Teilrückzieher sinkenden Strompreisen geschuldet? Es bleibt der Pferdefuß, dass gleichzeitig mit dem Fortbestand des beinahe schon aufgegebenen Dorfs Holzweiler auch die Notwendigkeit des Braunkohle-Abbaus für die nächsten 20 - 30 Jahre betont wurde.

Ob das Rheinische Braunkohlerevier zum neuen Wendland wird, wie CONTRASTE-Autor Emilio Weinberg hofft, ist noch nicht absehbar. Was dort derzeit passiert und wie es dazu kam, davon vermittelt unser Schwerpunkt einen - hoffentlich spannenden - Eindruck.

Schwerpunktbeiträge Juni 2014

Alfred Emilio Weinberg, Köln; Der Goliath, dem die Widerstandsbewegung gegen Braunkohle trotzt. Dreckschleudern im Rheinland

Alfred Emilio Weinberg, Köln; Zur Geschichte des Widerstands im Rheinischen Braunkohle-Revier. GERMANY'S NEXT WENDLAND?

Julius Reubke, Köln; Hambach-Indien. Globalisierung der radikalen Vernunft

Skillsharing-Praxis im Hambacher Forst. Tipptopp Clownsworkshop

Ariane Dettloff, Redaktion Köln; Das Camp am Hambacher Forst. "Jetzt aufbäumen!"

Debatte im Wiesencamp. Was ist Gewalt?


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