Eine Genossenschaft aus Berlin will Online-Diskussionen besser strukturieren

Brabbl statt brabbeln


Im Netz wird viel geplappert. Um zumindest Diskussionen übersichtlicher zu machen, haben ein paar Freunde ein Tool entwickelt, mit dem Argumente nach Wichtigkeit, Brisanz oder Aktualität sortiert werden können: brabbl. Sie hoffen, dass sich damit mehr Menschen mit Spaß über gesellschaftlich relevante Themen austauschen. Um Mitbestimmung nicht nur zu predigen, sondern selbst zu praktizieren, ist brabbl kein normales Unternehmen, sondern eine Genossenschaft. Mitglieder werden jetzt per Crowdfunding gesucht.



Von Hanna Reiter, Berlin Samad Berdjas, Jan Philipp und Carsten Cielobatzki stehen mit einer Flipchart am Eingang zum Tempelhofer Feld in Berlin, dort, wo früher ein Flughafen war. Der Berliner Senat will das Grundstück zum Teil bebauen – Wohnungen sollen hier entstehen und eine Bibliothek. Eine Bürgerinitiative kämpft hingegen dafür, dass das Feld das bleibt, was es heute ist: ein riesiger Park mit Kleingärten, Hochsitzen, Slalom-Parcour für Skater, Elektroparties am Wochenende und vor allem viel Platz, ohne dass die Jugger mit ihren gefährlich aussehenden Ketten und Schlägern den spielenden Kindern in die Quere kommen. Mit einer Unterschriftenaktion hat die Initiative es erreicht, dass die Frage über die Bebauung am 25. Mai parallel zur Europawahl in einem Volksentscheid zur Abstimmung stehen wird.


»Das Tempelhofer Flugfeld sollte zu 100 Prozent unbebaut bleiben. Meinen Sie das auch?«, fragt Samad einen Mann, der gerade in den Park einbiegen möchte. Mit der Frage ist auch das Meinungsbarometer auf der Flipchart überschrieben. Es reicht von "Nein, nur über meine Leiche", bis zu "Ja, ich bin voll dafür". Dorthin klebt der Mann seinen blauen Punkt, den Samad ihm gegeben hat und wo bereits die meisten anderen Punkte kleben. Unter dem Meinungsbarometer stehen Argumente für und wider die Bebauung, die Parkbesucher aufgeschrieben haben. Das brabbl-Tool im Offline-Einsatz.


Es ist später Sonntagnachmittag, Samad, Jan und Carsten klappen die Flipchart wieder zusammen, für heute ist es genug. Bevor sie gehen, zeigen sie das eindeutige Ergebnis den Unterschriftensammlern von der Bürgerinitiative, die am Eingang zum Tempelhofer Feld einen Stand aufgebaut haben.


Im Internet kann weiter diskutiert werden: brabbl ist eigentlich ein Online-Tool, das die drei zusammen mit ein paar Freunden entwickelt haben. Der Arbeitstitel lautete anfangs noch »discuss it«, denn genau das soll das Tool: Diskussionen im Web ermöglichen. Weil ihnen der alte Name zu akademisch klang, heißt die Anwendung jetzt »brabbl« – ein bisschen selbstironisch, denn genau das wollen sie nicht: brabbeln. Diskussionen sollen strukturiert und übersichtlich ablaufen, doppelte Aussagen vermieden und Argumente nach Wichtigkeit, Brisanz oder Aktualität sortiert werden. Die Gründer wollen so mehr Spaß an der Diskussion im Internet schaffen und eine Alternative zum Frust bieten, den die Debatten in Foren, Blogs und Kommentarspalten häufig erzeugen.


Dafür bieten Carsten, Samad, Jan und Co. eine offene Online-Plattform an, auf der Diskussionen wie die zum Tempelhofer Feld geführt werden. Genau so, wie mit Hilfe von Doodle Arbeitstreffen und Kinobesuche vereinbart werden, ist brabbl ein Werkzeug sowohl für gesellschaftliche Fragestellungen als auch für private Entscheidungen. "Freunde können damit über das nächste Urlaubsziel diskutieren oder über das Geburtstagsgeschenk für einen Kumpel abstimmen", sagt Carsten. Die Gründer hinter brabbl bestimmen nicht, wer worüber auf ihrer Plattform diskutiert. Einen Wunsch haben sie aber doch: »Unser Ziel ist es, dass mit brabbl über fast alle gesellschaftlichen Themen online diskutiert wird«, sagt Carsten.


Die Idee für brabbl entstand aus einer Gruppe von Berliner Linguisten, Grafikdesignern, Juristen, Volkswirtschaftlern, Programmierern und Kommunikationswissenschaftlern, die ein gemeinsames Projekt starten wollten. Seit fast drei Jahren werkeln sie schon an brabbl, im Mai 2013 gründeten sie eine Genossenschaft. „brabbl soll seine Unabhängigkeit behalten, und wenn es durch die Decke geht, nicht plötzlich an der Börse landen“, erklärt Carsten die Motivation. »brabbl soll den Menschen gehören.« Deshalb können alle, die die Idee unterstützen, Mitglied der Genossenschaft werden und so Anteile am Unternehmen halten. Damit können sie über die Zukunft auch des Unternehmens mitbestimmen. Und wenn es dann Gewinne einbringt, werden die Genossen an der Ausschüttung beteiligt.


Bis dahin arbeiten die meisten nebenher für brabbl und lassen sich dafür sogenannte Founding Points gutschreiben. Auch darüber werden sie später am Gewinn beteiligt. Eine Stunde Arbeit sind 25 Punkte. Das haben sich die brabbl-Initiatoren beim neuen Online-Marktplatz fairnopoly mit Sitz in Berlin abgeguckt, der ebenso als Genossenschaft konzipiert ist.


Und woher soll der Gewinn dann kommen? Neben der freien Nutzung auf der Internetseite von brabbl sollen beispielsweise Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen brabbl auf ihrer Homepage einbinden können – kostenpflichtig. Entweder, um thematisch passende öffentliche Diskussionen auf der eigenen Webseite anregen zu können. Oder aber, um interne Diskussionen mit Mitarbeitern oder Mitgliedern zu führen und so die Entscheidungsfindung zu verbessern. Beispielsweise kann darüber diskutiert und abgestimmt werden, welchen Themen sich die Organisation künftig zuwenden sollte oder auch welche Anschaffung als nächstes ansteht. Samad meint dazu: »Mit brabbl wird es leicht für Organisationen und Unternehmen Mitglieder und Mitarbeiter in die Entscheidungsfindung einzubeziehen – auch über große Distanzen.«


Das brabbl-Team selbst nutzt das Tool für dessen Weiterentwicklung. Von ganz allgemeinen Fragen wie »Wie können wir brabbl verbessern« über technische Details wie »Der Zurück-Button sollte eine Hierarchieebene höher führen«, bis zu inhaltlich-öffentlichkeitswirksamen Fragen wie »Welchen Claim sollten wir auf der Internetseite führen?« können alle Besucher der Seite an der Verbesserung des Projekts mitarbeiten.


Um die nächsten Schritte auch tatsächlich technisch umsetzen zu können, hat das Team eine Crowdinvesting-Kampagne gestartet. Wie beim Crowdfunding werden Gelder von Unterstützern gesammelt. Allerdings investieren diese tatsächlich in das Unternehmen: Wer zahlt, entschließt sich gleichzeitig, Mitglied der Genossenschaft zu werden. So können auch die Geldgeber über die Zukunft des Unternehmens mitbestimmen und werden am späteren Gewinn beteiligt. Die Hierarchieebenen sollen bei brabbl möglichst flach bleiben. Wie für Genossenschaften vorgeschrieben, gibt es zwar einen Vorstand. Der besteht aber aus mindestens drei Mitgliedern und wird außerdem alle drei Jahre aus den Reihen der Genossenschaft neu gewählt. So kann jeder Genosse die Entwicklung des Unternehmens mitbestimmen. Vielleicht sogar mittels brabbl selbst: »Wir planen, unsere Generalversammlung auch online abzuhalten«, sagt Carsten. Das würde auch noch der Umwelt nutzen.


Weitere Informationen: www.brabbl.de

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