355, April 2014: Schwerpunkt: Geld...

Geld - Verführung und Zwang

Seit einigen Monaten findet sich im Impressum der CONTRASTE die Fachredaktion "Kritik der Geldlogik". Mit diesem Schwerpunkt tritt sie erstmals inhaltlich in Erscheinung. Geld ist heute so selbstverständlich, dass wir gar nicht mehr merken, wie sehr unser ganzes Leben von seiner Logik durchdrungen ist.

Foto: Uli Frank

Von Uli Frank, Redaktion Kritik der Geldlogik.

Es soll hier um eine Kritik der Logik des Geldes gehen. Das ist nicht zu verwechseln mit einem der vielen Versuche, das Geldsystem zu reformieren, zum Beispiel mit Schwundgeld, Regiogeld, oder anderen frei erfundenen Währungen. Es geht auch nicht um eine Kritik kapitalistischer Auswüchse wie Krisen, Finanzkapital oder Spekulation, sondern um das Gesellschaftssystem der Neuzeit, das durch die Herrschaft des Geldes charakterisiert ist.

Oft hört man von Berufsökonomen, dass Geld auf Vertrauen basiere - was dem Geld eine sehr menschenfreundliche Qualität bescheinigt. Abgesehen davon, dass offensichtlich dieses "Vertrauen" von einem Arsenal waffenstarrender Exekutivorgane hergestellt und garantiert werden muss, zeigt doch die Alltagserfahrung, dass eher Misstrauen zwischen Menschen wächst, sobald Geld ins Spiel kommt.

Wenn Menschen Geld benutzen, sagen sie damit indirekt zweierlei: Erstens, unsere Bedürfnisse sind eigentlich grenzenlos. Wenn nicht alles seinen Preis hätte, könnten wir sie nicht in einem angemessenen menschenwürdigen Rahmen halten. Und zweitens, wir sind eigentlich zu bequem um zu arbeiten. Wenn wir nicht Geld verdienen müssten, könnten wir uns nicht zu nützlichen Tätigkeiten aufraffen. Wenn Menschen sich vom Geld regieren lassen, stellen sie sich also auch selbst ein schlechtes Zeugnis aus: Sie vertrauen nicht auf ihre sozialen Fähigkeiten zur Selbstorganisation, sondern lassen sich durch den Zwang und die Verführung der Geldlogik beherrschen.

In der Geschichte gab es auch andere Motivationen als Geld, etwa die schiere Not, soziale Kontrolle, Angst vor der Peitsche des Sklavenaufsehers oder der Macht der Herrschenden. Gegenüber solchen Zwängen erscheint Geld als wahrer Segen: Es hat Individualismus, relative Freiheit, Selbstbestimmung und Chancengleichheit gebracht. Trotzdem ist und bleibt Geld ein Herrschaftssystem, dem sich alle im Handeln, Denken und Fühlen unterordnen müssen. Nichts geht, wo Geld fehlt; vieles Wünschenswerte ist nicht "finanzierbar"; Wichtiges wird unterlassen, weil es sich nicht rechnet. Geld macht Menschen egoistisch und gierig und setzt sie zueinander in Konkurrenz, weil alle gezwungen sind, isoliert von den anderen auf eigene Rechnung zu handeln. Diese individualistische, ungesellschaftliche Logik widerspricht dem Erfolgsrezept der Menschheit, die ihren Aufstieg der Tatsache verdankt, das sie immer feinere soziale Fähigkeiten entwickelte.

Heute, in der Zeit der automatisierten Massenproduktion und der weltweiten Vernetzung von Wissen und Information, hätte die Menschheit alle Möglichkeiten, nach 400 Jahren Erziehung zu Arbeit und Leistung, zu einer neuen gesellschaftlichen Logik fort zu schreiten, die die Herrschaft des Geldes überwindet. Wir haben inzwischen genügend Erfahrung und Wissen, um das Prinzip "Selbstorganisation" an die Stelle der Fremdbestimmung durch die scheinbar alternativlose "Sachlogik" des Geldes zu setzen. Die jahrhundertelange Dominanz der Geldlogik lässt Selbstorganisation jedoch als schwierig und mühsam erscheinen. Die dazu notwendigen Fähigkeiten werden in der Sozialisation kaum mehr gelernt, die bestehenden Strukturen behindern sie eher, als sie zu unterstützen.

Das Schwerpunktthema beschäftigt sich (noch) nicht mit der großen Transformation, sondern mit der Analyse der Geldlogik als Voraussetzung dafür. Es beginnt mit dem Märchen von der Erfindung des Geldes. Dann wird die Logik des Geldes aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und ihre Funktion als gesellschaftliches "Betriebssystem" untersucht. Interviews mit dem Informatiker Stefan Merten und Heidemarie Schwermer, der "Frau, die ohne Geld lebt", ergänzen den Schwerpunkt.

Schwerpunktbeiträge April 2014

Uli Frank, Redaktion Kritik der Geldlogik; Märchen und Wirklichkeit. Wie das Geld erfunden wurde

Interview mit Heidemarie Schwermer; 17 Jahre Leben ohne Geld. Persönliches Experiment mit politischer Komponente

Uli Frank, Redaktion Kritik der Geldlogik; Perspektiven auf Geld als Logik I. Geld als Einschluss- und Ausschlussmedium

Uli Frank, Redaktion Kritik der Geldlogik; Perspektiven auf Geld als Logik II. Geld als gesellschaftliches Betriebssystem

Interview mit Stefan Merten; "...sehr spannende Zeiten...". Freie Software als Modell für materielle Produktion


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