352, Januar 2014: Krieg um die Köpfe

Initiativen für Zivilklauseln an deutschen Hochschulen

„Military Studies“, „Sonderforschungsbereich 700“, „Netzwerk Interventionskultur“ – die Militarisierung der deutschen Hochschullandschaft in Forschung und Lehre hat viele Facetten. Der Widerstand dagegen auch. Einige Schlaglichter werden im Folgenden darauf gerichtet. Den Rahmen dafür bildet eine deutsch-europäische Politik, die „uns“ weltweite Zugriffsrechte auf Waren, Rohstoffe und Märkte anmaßt – durchaus auch mit militärischen Mitteln - und zugleich die Flüchtenden aus den betroffenen Ländern des Südens abwehrt.

Foto: Giovanni Lo Curto

Von Ariane Dettloff, Redaktion Köln

Eine Zivilklausel an deutschen Universitäten? Keine Forschung mit Drittmitteln vom Militär? Der Kieler Professor und Politologe Joachim Krause hält gar nichts davon. Für ihn sind die Interventionskriege der Bundeswehr Friedensmissionen: „Die oft zitierte Friedensorientierung des Grundgesetzes ist keinesfalls – das haben Verfassungsgericht und Bundestag wiederholt festgestellt – ein Plädoyer für radikalen Pazifismus und Entmilitarisierung, sondern für aktive Mitwirkung Deutschlands an internationalen Bemühungen der Friedenswahrung.“ Krause ist einer derjenigen deutschen Professoren, die erhebliche Mittel für ihre Forschungen von der Bundeswehr beziehen. Er möchte die bestehenden Zivilklauseln abschaffen und neue verhindern.

An 14 deutschen Hochschulen gibt es bereits eine „Zivil-“ oder „Friedensklausel“, durchgesetzt von überwiegend studentischen Initiativen. Der Unterschied zwischen beiden: Mit einer „Friedensklausel“ wird immer wieder von Interessenvertretern auch Militärforschung gerechtfertigt, dienen doch ihrer Ansicht nach die Auslandseinsätze der Bundeswehr dem Frieden. Eine „Zivilklausel“ dagegen wendet sich gegen jede Zusammenarbeit mit dem Militär und dessen Institutionen. Und ohne Offenlegungspflicht bleiben beide Varianten „Papiertiger“.

An der Universität Tübingen gibt es seit 2009 eine durch die  Bildungsstreikbewegung erkämpfte „Friedens- und Nachhaltigkeitsklausel“. Dennoch wurde 2012 eine Honorarprofessur für Wolfgang Ischinger eingerichtet. Ischinger veranstaltet jährlich die Münchener „Sicherheitskonferenz“, eine Drehscheibe für internationale Akteure der Kriegspolitik und Kriegsindustrie, die auch in diesem Februar wohl wieder starken Protest der Friedens- und antimilitaristischen Bewegung hervorrufen wird.

Die Zivilklauselbewegung wird dabei sein. Sie hat sich mittlerweile gut vernetzt. Im Zusammenhang „Lernen für den Frieden“ arbeitet sie gemeinsam mit der Initiative „Schule ohne Bundeswehr“ für eine militärfreie Bildung. Dieser „Contraste“-Ausgabe liegt ihre Unterschriftenliste bei, die der Kultusministerkonferenz übergeben werden soll.

Im November 2013 kam zutage, dass deutsche Hochschulen sogar für das Pentagon tätig sind. Infolge niedriger Grundfinanzierung und Lehrstuhlstreichungen
nimmt manche Uni eben gerne eine „Finanzspritze“ an. Die Debatte um Zivilklauseln ist nicht nur an den Hochschulen, sondern auch in der Öffentlichkeit heftiger denn je entbrannt.

Unser Contraste-Schwerpunkt stellt vor allem selbstorganisierte Gruppen der Zivilklauselbewegung und deren Kämpfe vor. Initiativen dafür haben sich an einigen Dutzend Hochschulstandorten gebildet. Über Motivation, Organisation und Aktivitäten verschiedener Initiativen berichten die Contraste-Autor_innen ebenso
wie über Schwierigkeiten, Widerstände und Hürden. So bekam die Whistleblowerin Irma Kreiten bei ihrer Arbeit im „Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrungen“ an der Universität Tübingen es mit Behinderungen und Eingriffen zu tun, die sie als Mobbing bezeichnet. Eine schwere Stresserkrankung war für die Historikerin und Ethnologin die Folge.

Das Verteidigungsministerium hat 2013 rund 4,8 Millionen Euro für Forschungsprojekte an Hochschulen ausgegeben und schafft so einen finanziellen Anreiz für die Bildungsstätten. Der Protest gegen die Militarisierung der Universitäten und wissenschaftlichen Institute aber wächst. An der Humboldt-Universität in Berlin konnte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere im vergangenen April seine Rede nicht halten: Zwischenrufe des Publikums wie: „Noch ein Krieg!“ und lautstarke „Buhs“ übertönten schon die Ankündigung seines Auftritts durch den Uni-Präsidenten.

2014 jährt sich zum 100. Mal der Beginn des Ersten Weltkriegs. An seinem Ende stand eine Zivilklausel. Artikel 177 des Friedensvertrags von Versailles hatte für Deutschland bestimmt: „Erziehungsanstalten, Universitäten (...) dürfen sich mit keinerlei militärischen Dingen beschäftigen.“

Schwerpunktbeiträge Januar 2014

Ariane Detloff; Redaktion Köln: Embedded Sciences - Unis auf Kriegskurs

Gespräch mit Volker Eick: "Eine Unterscheidung zwischen ziviler und militärischer Forschung wird gar nicht gewünscht..."

Hartwig Hummel, Düsseldorf: Plädoyer eines Professors - Für eine Zivilklausel an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Dietrich Schulze, Karlsruhe: Ironien der Geschichte - Entwicklung der Ziviklausel-Initiativen

Felix von Massenbach, Angela Lux und Vera Hölscher, AK Zivilklausel Köln: Freiheit zum Krieg? Die Rechtfertigungen der Zivilklausel-Gegner

Interview mit Thomas Gruber, "Friedliche Uni Augsburg": Kein Rüstungspark neben der Uni

Andreas Lineal, AK Zivilklausel Kassel: Unileaks - Kampfum eine Zivilklausel an der Universität Kassel

Markus Gross, Köln, Initiative "Bundeswehr wegtreten": Henry-Kissinger-Professur in Bonn - "Geburtstagsgeschenk" für einen Kriegsverbrecher

Christian Harde, Tübingen: Zoff im DGB-Workshop - "... waren immer gegen Aufrüstung, Militarismus und Krieg"

Interview mit Irma Kreiten: Whistleblowing - Friedensforschung für den Krieg?

LeserInnenbrief zum Schwerpunkt Zivilklauseln


Aus dem Inhalt:


Selbstorganisation in Griechenland

Selbsthilfe im neu eingerichteten Gemeinschaftsgarten, Foto: AG SPAK - Bücher

Solidarische und kooperative Projekte im Griechenland der Krise beschreibt Lisa Mittendrein in einem Buch von AG-SPAK. Wir veröffentlichen Appetithappen, die Lust machen weiter zu lesen.

Solidarisches Europa

In Stuttgart findet vom 31. Januar bis zum 2. Februar das Eine-Welt-Festival Stuttgart Open Fair statt. Zu Gast sind Referent_innen aus aller Welt, so auch aus Brasilien und Ägypten.

Aktuelle Aktionen gegen Gentrifizierung in Hamburg

Esso-Häuser in Hamburg Sankt-Pauli, Foto: Irene Bude

Bei einer Demonstration gegen Gentrifizierung und für Flüchtlingsrechte kam es am 21.12. zu massiven Übergriffen der Polizei, die linken AktivistInnen wurden jedoch kriminalisiert. Die Artikel machen sichtbar, was derzeit wirklich geschieht.

Foto: Giovanni Lo Curto

Café-Kollektiv-Kabale Göttingen

Cafe Kabale Göttingen, Foto: Michael Hoetzel DGPh

Das studentische Kollektiv organisiert Blackjack und Poker, gespielt wird mit Schokochips. Mitarbeiter_innen der Ausländerbehörde werden gegebenenfalls vor die Tür gesetzt.

Chancen des demographischen Wandels

Die Tagung Senioren(stützende)genossenschaften war mit 60 hochinteressierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgebucht. Foto: Sonja Menzel

Wie genossenschaftliches Engagement perspektivisch noch stärker alten und kranken Menschen zugute kommen kann. Aktivist_innen der Genossenschaftsbewegung entwickeln neue Ansätze.

Spielerische Selbsterkenntnis

Das „Wesenskernspiel“ von Christine Jung ist inspiriert von der „Neuen Arbeit“. Es bringt die MitspielerInnen auf die Spur ihrer Neigungen und Herzenswünsche.

Her mit dem guten Leben

Wie indigene Ansätze und Praxen des Buen Vivir in Bolivien und Ecuador verankert und gesellschaftlich umgesetzt werden. Auch Möglichkeiten der Vergesellschaftung in Europa werden in diesem Beitrag thematisiert.

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