Metamorphose zur Genossenschaft

Foto: Gärtnerei Ulenburg eG

Bei der Gründung der Gärtnerei Ulenburg vor rund 40 Jahren konnte niemand der Beteiligten erahnen, was sich tatsächlich über die Jahre entwickeln würde. Der Bioanbau bekam einen rechtlichen Rahmen in ganz Europa. Der Anbauschwerpunkt verlagerte sich vom Gewächshaus ins Freiland. Die Anzahl der Mitstreiter und die bebauten Flächen vermehrten sich.

Guntram Sauermann, Löhne

Die Grundidee der Gärtnerei Ulenburg, einen Betrieb basisdemokratisch als Kollektiv zu betreiben, bestand von Beginn an und blieb über alle Veränderungen hinaus bestehen. Die Kollektivgruppe bestimmt, wohin sich der Betrieb entwickelt, wer eingestellt wird, welche Investitionen getätigt und welche Löhne bezahlt werden. Das Prinzip blieb immer: Ein Mensch, eine Stimme!

Wer mitmachen will, muss kein Geld einbringen. Wer mitarbeitet, bekommt Stundenlohn! Wer sich verabschiedet, bekommt kein Geld mit auf den Weg. So verbleibt die wirtschaftliche Grundlage auch bei Fluktuation und Generationenwechsel im Betrieb. Über viele Jahre konnte das verwirklicht werden, obwohl der gärtnerische Betrieb als landwirtschaftliches Einzelunternehmen gegründet wurde. Eine Person fungierte somit formell nach außen als Eigentümer und Zeichnungsberechtigter.

Keine verwertbare Blaupause

Die Diskrepanz zwischen dem real gelebten Kollektiv und dem formellen Außenauftritt erwies sich allerdings als unbefriedigend. Sie wurde spätestens mit dem anstehenden Generationswechsel zu einer zu lösenden Herausforderung. Nachdem in der Gruppe verschiedenste Rechtsformen durchleuchtet worden waren, wurde klar, eine Genossenschaft würde die Arbeits- und Lebensweise am besten abbilden.

Schnell stellte sich heraus, dass für den Übergang eines Betriebes der Form »landwirtschaftlicher Einzelbetrieb« in eine Genossenschaft keine verwertbare Blaupause existierte. Welche Seminare die Kollektivmitglieder auch besuchten, welche Berater und Rechtsgelehrten sie befragten, stets lautete die Antwort: »Das klingt sehr spannend, da müsste ich mich mal einarbeiten!« Also arbeiteten sie sich selbst ein.

Alle Beteiligten an einen Tisch

Das wichtigste Element, das die Verwandlung ermöglicht hat, ist einfach, einleuchtend und doch immer noch ungewöhnlich: »Alle Beteiligten an einen Tisch.« Im Fall der Gärtnerei Ulenburg waren das: eine kompetente Steuerberatung, eine interessierte Steuerkanzlei, die Gründungsberatung des Genossenschaftsverbandes, das Finanzamt, das für Schenkungsfragen zuständig ist, das Finanzamt, das für Betriebsübergaben zuständig ist, die Notarkanzlei und die Kollektivmitglieder.

Der Tisch war in Wirklichkeit ein E-Mail-Verteiler. Jede Information wurde geteilt und sinnvoll kommentiert. Alle Beteiligten haben ihr Wissen und ihre Wissenslücken eingebracht, haben voneinander gelernt und durch Beharrlichkeit den Weg durch den Paragraphendschungel beschreitbar gemacht. Die wichtigsten Schritte waren:

Zusammen mit der Steuerberatung wird das Anliegen bei den Finanzämtern vorgestellt.

Zusammen mit der Steuerberatung, der Steuerkanzlei und der Genossenschaftsberatung wird ein denkbarer Ablauf der Umwandlung erarbeitet.

Die Steuerkanzlei formuliert den Ablauf und reicht bei den Finanzämtern jeweils eine »verbindliche Auskunft« ein. Die Antworten sind verbindlich und die Grundlage des weiteren Vorgehens.

Aus den Antworten ergeben sich die Details zur Gründung der Genossenschaft, der Einbringung des landwirtschaftlichen Einzelunternehmens und weitere Dinge, die zu beachten sind.

Die Genossenschaft wird gegründet, vom Notar in das Genossenschaftsregister eingetragen, und das Einzel­unternehmen eingebracht – fertig!

Steuerliche Problematik lösen

Die Gründungsberatung des Genossenschaftsverbandes kümmert sich in erster Linie um die Rechtmäßigkeit der Satzung und prüft den Business­plan. Hier wird festgelegt, wie die Firma in Zukunft nach innen und nach außen funktionieren wird. Ohne Beratung zum Thema »Steuern« hätten im krassesten Fall zwei Drittel des Betriebsvermögens an die Finanzämter überwiesen werden müssen. Ein Totalschaden, den es zu verhindern galt. Bei dieser Betriebsübergabe mussten zwei steuerliche Problembereiche sauber gelöst werden:

Schenkungssteuer: Das Einbringen eines Betriebes in die Genossenschaft erfolgt gegen die Gewährung eines Genossenschaftsanteiles (in unserem Fall entspricht das 100 Euro). Das Finanzamt betrachtet das als Schenkung an alle Genossenschaftsmitglieder. Für Schenkungen unter Dritten gilt ein Freibetrag von 20.000 Euro. Daher wurde der eingebrachte Betriebswert durch 20.000 Euro geteilt und somit ermittelt, wie viele Mitglieder benötigt werden, um unter dem Strich schenkungssteuerfrei zu bleiben. Da die Zahl höher war als die aktiven Kollektivmitglieder, wurden weitere »investierende Mitglieder« dazugewonnen. Sie werden zur Generalversammlung eingeladen, haben aber keine Stimme. Damit bleibt ein wichtiges Konzept erhalten: Nur wer im Kollektiv arbeitet, hat eine Stimme!

Stille Reserven: Die Beendigung eines Betriebes hat immer zur Folge, dass die stillen Reserven aufgedeckt und besteuert werden. Das Finanzamt betrachtet einen Betrieb auch als beendet, wenn er von anderen übernommen und weitergeführt wird. Eine Abschätzung über die Höhe der stillen Reserven ist schwierig. Im Ernstfall stellt das Finanzamt Berechnungen an, die verbindlich sind. Im speziellen Fall der Gärtnerei Ulenburg wurde der Betrieb in eine andere Rechtsform überführt. Unter der Voraussetzung, dass der Betriebseinbringer die Mitgliedschaft sieben Jahre lang hält und auch kein weiteres Mitglied in diesen sieben Jahren die Genossenschaft verlässt, werden die stillen Reserven nicht aufgedeckt und die potentielle Besteuerung nicht durchgeführt.

Vierjähriger Entwicklungsprozess

Um dieses Risiko zu minimieren, wurde in der Satzung eine Kündigungsfrist von fünf Jahren festgelegt. Nun sind bereits zwei Jahre vergangen und somit besteht die Gefahr einer Besteuerung nicht mehr. Die Mitgliedschaft in der Genossenschaft hat zunächst nichts mit einem Arbeitsverhältnis zu tun. Alle Mitarbeitende sind angestellt und können das Arbeitsverhältnis jederzeit kündigen. Nach sieben Jahren soll die Satzung dahin gehend geändert werden, dass die Mitgliedschaft an ein Arbeitsverhältnis geknüpft wird. Eine Kündigung der Mitgliedschaft soll dann jederzeit ohne Kündigungsfrist möglich sein. Diese »Verfahrenskröte« musste die Gruppe schlucken, um die Unwägbarkeiten auf ein Minimum zu reduzieren.

Von den ersten ernsthaften Überlegungen der Betriebsumwandlung bis zur tatsächlichen Einbringung des Betriebes in die Genossenschaft sind gut vier Jahre vergangen. Die letzten eineinhalb Jahre waren sehr arbeitsintensiv und nervenzehrend. Allerdings gelang es auf diese Weise, eine Betriebsvariante zu entwickeln, die ohne weitere Umstrukturierungen solange fortbestehen kann, wie Menschen sich darin wohl fühlen.

Nachwort: Der Genossenschaftsanteil in Höhe von 100 Euro am Betrieb ist keine Altersversorgung! Um diese muss sich während seines Arbeitslebens jedeR selbst kümmern.

Link: https://www.ulenburg.de/

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