GRENZENLOSE SOLIDARITÄT

Foto: Regine Beyß

Selbstorganisation rund um Flucht

Als im langen Sommer der Migration 2015 die europäischen Staaten unvorbereitet mit einer großen Zahl an flüchtenden Menschen konfrontiert waren, erlebte die Zivilgesellschaft ihre große Stunde. Staunend beobachteten viele das große Engagement, mit dem ganz unterschiedliche Menschen sich in eine große Hilfewelle einbrachten.

Brigitte Kratzwald, Redaktion Graz

Es folgten Begegnungsfeste, Wohnraumbeschaffung, Fussballspiele, Deutschkurse, Rechtsberatung, erste Schritte in die Arbeitsmarktintegration – bis schließlich, etwa ab 2018, Asylwerber*innen wie Unterstützer*innen mit zunehmender Repression, Abschiebungen und der Kriminalisierung von Solidarität konfrontiert waren.

Aber was genau ist hier eigentlich geschehen? Waren das emanzipatorische Prozesse der Selbstorganisation oder eher systemstärkende? Ging es wirklich um Solidarität oder dominierte ein patriarchales Hilfeverständnis? Parallel zur Willkommenskultur kam es zu massiven Verschärfungen im Asylrecht, was dazu führte, dass sich Teile der Zivilgesellschaft plötzlich in der Rolle fanden, elementare Menschenrechte gegen ihre Regierungen verteidigen zu müssen. Wie hängt das alles zusammen? Wem nützte das Ganze schließlich? Wirklich den Menschen auf der Flucht oder eher den Rechten, die die Situation gekonnt zur Mobilisierung instrumentalisierten? Es waren solche Gedanken, die der Ausgangspunkt für diesen Schwerpunkt waren. Natürlich kann dieser nicht die Antwort auf all diese Fragen geben, aber es ist ein erster Schritt der Reflexion, dem weitere folgen können.

Die Recherche für den Schwerpunkt ergab, dass bereits viele junge Wissenschaftler*innen, die häufig selbst in der Flüchtlingshilfe engagiert waren, sich ähnliche Fragen gestellt und eigene Beobachtungen mit wissenschaftlichen Methoden reflektiert haben. Ihre Forschungsergebnisse sowie eigene Erfahrungen der Autorin sind in einen eher theoretischen Text eingeflossen, der am Ende des Schwerpunkts auf Seite 12 zu finden ist.

Auf Seite 9 lassen zwei österreichische Aktivist*innen, die bereits 2015 an der Grenze zu Slowenien dabei waren, dann immer wieder in verschiedenen Kontexten versucht haben, Menschen auf der Flucht zu unterstützen, bis zu einem Einsatz an der bosnisch-kroatischen Grenze 2019, diese Zeitspanne aus ihrer Perspektive Revue passieren.

Der Beitrag auf Seite 10 stellt die Initiative »You can‘t evict solidarity« vor, die über die zunehmende Repression gegen Menschen auf der Flucht in Griechenland und entlang der Balkanroute berichten. Einen weiteren Aspekt spricht der Beitrag auf Seite 11 an: die Selbstorganisation von Menschen mit unterschiedlichem Rechtsstatus, »Sans Papiers« und migrantischen Communities, in diesem Fall in Marokko.

Spricht man von Selbstorganisation mit Blick auf Flucht und Migration, gilt es, eben diese Bereiche zu unterscheiden: Organisieren sich Menschen der Aufnahmeländer, um bessere Unterstützung anbieten zu können oder organisieren sich die betroffenen Menschen selbst? Dazwischen gibt es das weite Feld der selbstorganisierten Initiativen, die sich gemeinsam mit Menschen auf der Flucht hierarchiefrei zu organisieren versuchen, wie etwas im »No-border-Movement«. Hier ist immer ein politischer Anspruch enthalten, eine grundsätzliche Kritik an Nationalstaat und Kapitalismus. Mit den Spannungsverhältnissen, die sich aus den real bestehenden Privilegien und Machtunterschieden ergeben, reflektiert umzugehen, ist in all diesen Kontexten eine große Herausforderung, die manchmal auch die Grenzen der Selbstorganisation aufzeigt.

Schwerpunkt im Juni

Seite 9

Brigitte Kratzwald, Redaktion Graz, im Gespräch mit Mira und Lie (Hofkollektiv Wieserhoisl): Helfen - Ein Thema voller Widersprüche

Seite 10

You can't evict solidarity-Kollektiv: Repressionen gegen den Widerstand von Geflüchteten auf der Balkanroute und in Griechenland

Seite 11

Alexander Behr, Afrique-Europe-Interact: ARCOM - Die Stimme der Stimmlosen

Seite 12

Brigitte Kratzwald, Redaktion Graz: Die »Willkommenskultur« als Praxis der Selbstorganisation - Zwischen Konflikten und Lernpotenzial

Aus dem Inhalt


Seite 3 – Nachrichten

1. Mai in Erfurt

Seite 4 – Projekte

Museum für queere Künste (Athen)

AG Beratung

Seite 5 – Projekte

Treffen der Ökonomie der Arbeiter*innen, Italien

Seite 6 – Bewegung

Cecosesola, Venezuela

Seite 7 – Genossenschaften

Bergische Bürgerenergiegenossenschaft

Lösungen für die Energiewende

Seite 8 – Theorie

Einführung in die GfK

Seite 9 – Schwerpunkt

Helfen: Ein Thema voller Widersprüche

Seite 10 – Schwerpunkt

Repressionen gegen Geflüchtete

Seite 11 – Schwerpunkt

ARCOM – Stimme der Stimmlosen

Seite 12 – Schwerpunkt

»Willkommenskultur« als Praxis der Selbstorganisation

Seite 13 – Biotonne

Ackerbesetzung, Witzenhausen

»20 Wochen für 20 Bomben«, Büchel

Seite 14 – Kunst & Kultur

Bücherdorf Wünsdorf

»Kinder des Sisyfos« reloaded

Seite 15 – Rezensionen

Wirtschaftsdemokratie

Das gute Leben für alle

Die offene Gesellschaft

Mit dem Elektroauto in die Sackgasse

Protest regieren

Seite 16 Termine, Kleinanzeigen, Impressum

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