Gemeinschaft in Gründung – eine ganz besondere Erfahrung

Blick auf das Gebäudeensemble, das die Gemeinschaft Sonnenwald Schernbach beziehen wird. Foto: Annette Keimburg

Die Gemeinschaft Sonnenwald Schernbach wird zum 1. Januar 2019 eine ehemalige Behinderteneinrichtung und ca. 40 Hektar landwirtschaftliche Fläche oberhalb der Nagoldtalsperre, 80 km südwestlich von Stuttgart, kaufen. Ein Projektbericht.

Gabriele Gack-Thomas, Schernbach

»Wir verändern die Dinge nicht, indem wir gegen die bestehende Wirklichkeit kämpfen. Um etwas zu verändern, müssen wir ein neues Modell entwickeln, das das alte Modell überflüssig macht.« Wir von der Gemeinschaft Sonnenwald Schernbach sind also unter die Entwickler*innen gegangen, weil wir genau wie der oben zitierte Architekt Buckminster Fuller ticken. Einen Weltverbesserer und Wahnsinnigen nennen ihn die einen, Poet und Kosmologen die anderen.

Denn wir glauben, dass das Modell vom gemeinschaftlichen Leben, Arbeiten und Wirtschaften, Teilen, Tauschen und Schenken, das ›alte Paradigma‹ ablösen wird. Welches in Form des Patriarchats über Jahrtausende das Verhältnis zwischen den beiden Hälften der Menschheit und schließlich auch das Leben mit der Erde (als weibliches Prinzip) ad absurdum geführt hat und jetzt unsere Lebensgrundlagen zerstört.

Und wir wissen deshalb, dass wir gerade etwas Neues entwickeln, weil es uns an unsere Grenzen bringt. Im Gemeinschaftsprozess funktionieren manch’ lieb gewonnene Denk- und Verhaltensmuster einfach nicht mehr. Das Neue sorgt für Verunsicherung und macht, je nach Temperament und/oder eigener Lebensgeschichte, mal aggressiv, hilflos oder sogar Angst. Wir sind wieder zu Anfänger*innen geworden, stellen uns ungeschickt an. Der einzige Kampf, den wir auf diesem Entwicklungsweg kämpfen ›wollen‹, ist der gegen den inneren Schweinehund: alte, leider meist unbewusste Gewohnheiten.

Vom Modell zur Wirklichkeit

Aus der im Jahr 2015 gegründeten »Planungsgemeinschaft Schernbach« ist inzwischen eine Genossenschaft in Gründung geworden, die unser Wunschobjekt zum 1. Januar 2019 kaufen wird. Hervorgegangen sind die heute 20 Aktiven aus einem großen Projekt im Stuttgarter Einzugsbereich, das dann an einen Spekulanten verkauft wurde und jetzt weiter verfällt. Auch ein Symptom des herrschenden Paradigmas und bald ein Relikt aus alter Zeit? Zurück zur Wirklichkeit

Wir kommen überwiegend aus sozialen, therapeutischen und pädagogischen Berufen, vereinzelt sind auch Handwerker und Energiearbeiter*innen dabei und immerhin ein Poet! Das Dorf Schernbach mit aktuell ca. 50 Einwohner*innen, liegt im Nordschwarzwald auf einer sonnigen Ebene rund 650 Meter hoch. Unten im Tal fließt die Nagold, die dort zu einem See gestaut wurde, den wir in seinen vielen zauberhaften Stimmungen genießen.

Eine Landstraße durchtrennt das Dorf. Oberhalb davon befindet sich unser Objekt, »Oberer Hof« genannt, eine Behinderteneinrichtung, wo in den besten Zeiten über 100 Menschen mit Handicap betreut wurden. Es gibt dort mehrere Wohn- und ein großes Werkstattgebäude. Das so genannte »Zentrum« beherbergt die Großküche sowie eine licht gebaute Cafeteria und eine Turnhalle, die als Erweiterung zum Essbereich hin geöffnet werden kann. Es entsteht ein schöner, heller Raum auch für große Zusammenkünfte.

Unterhalb davon liegt der »Untere Hof« mit den landwirtschaftlichen Gebäuden und dem behindertengerechten Ferien-»Haus Sonnenwald«. Dazu gehören knapp 40 Hektar Acker-, Grünland und Wald. In unserem künftigen »Bio-Energie-Dorf« gibt es also mit ca. 3.000 qm Wohn- und 5.000 qm Nutzfläche Platz genug für weitere 30 bis 50 Erwachsene plus Kinder!

Wahnsinn oder Weltverbesserer?

Wir sind zumeist Städter und werden nicht nur hinter vorgehaltener Hand Spinner genannt. Jedoch viele aus dem Dorf, wo sich zehn von uns bereits eingemietet haben, unterstützen unser Vorhaben ebenso wie der Gemeinderat. Dieser hat unseren (Um-)Bauplänen zugestimmt und versorgt uns mit Informationen hinsichtlich Fördermöglichkeiten u.a. zu nachhaltiger Lebens- bzw. Bauweise, biologischer Landwirtschaft und zur Stärkung des ländlichen Raumes. Übrigens, den Begriff der Nachhaltigkeit hat der eingangs zitierte Fuller lange vor der Politik geprägt und auch so gemeint.

Die Genossenschaft ist die Rechtsform, die wir uns gegeben haben und damit nach Außen wirken. Unser eigentliches Herzstück aber ist das Plenum, die Dorfgemeinschaft selber. Hier werden alle Entscheidungen im sechs-stufigen Konsens getroffen. Denn von einer fairen, partizipatorischen und transparenten Entscheidungskultur hängt, so Diana Leafe Christian, unser Gelingen ab; als einem von sieben Merkmalen für erfolgreiche Gemeinschaften, die sich dadurch von den 90 Prozent(!) der Gründungen unterscheiden, die scheitern.

Spreche ich mit Nachbarn im Dorf oder anderswo über den Konsens, bewölkt sich die Stirn meines Gegenübers. »Ist das effektiv? Ihr habt doch jetzt 1.001 Entscheidungen zu treffen?« sind Fragen, die sofort kommen. Ich widerspreche nicht. Denn es kann dauern, bis eine Entscheidung zur Beschlussreife gelangt. Vergaß ich oben etwa die Ungeduld zu erwähnen, ein weiterer Schweinehund, der uns immer wieder auflauert?

Kosmologie und Bewusstsein. Aber integrativ, bitte

In welcher Welt wollen wir leben? »Nach dem bewussten Ja taucht früher oder später der entsprechende Schattenaspekt auf (...) etwas in uns sträubt sich dagegen, zweifelt oder hat es lieber wie immer – angenehm – oder kriegt einen Wutanfall über die Irrationalität solcher Träumereien«, schreibt Annette Kaiser in ihrem Büchlein »Ein Traum wird Wirklichkeit«. Allen Kindern gewidmet.

Was verlangt dieser ganze Kosmos neuer Möglichkeiten von uns? Uns bewusst zu werden über unsere »Hintergedanken«, unsere »geheimen« Bedürfnisse und Strategien (anerkannt, geliebt, zugehörig, selbstwirksam usw. usw. sein zu dürfen), kurz: »Schattenarbeit«. Und welche innere Haltung setzt die Konsens­entscheidung voraus? Den Willen und Wunsch zu Kooperation und Einigung: Integration anstelle von Ausgrenzung in jeder (persönlichen, gesellschaftlichen, globalen) Hinsicht. Vertrauen und die Fähigkeit zuhören zu ›können‹ und auch verstehen zu ›wollen‹, andere(n) ›und‹ uns selber. Unterschiedliche Sichtweisen zuzulassen und zu respektieren bringt uns oft an unsere Grenzen. Denn die Zeit drängt, unsere persönlichen Ressourcen werden knapper, die Stimmung wird angespannter. Und schließlich und endlich geht es immer wieder um Verantwortung, für das was ich einbringe oder auch ›nicht‹, was ich tue oder auch ›nicht‹.

Wenn es stimmt, dass auf der Ebene, auf der die (Welt-)Probleme entstanden sind, keine Lösungen gefunden werden können – und da diese nun mal im (geld-)wirtschaftlichen und ökologischen Ungleichgewicht liegen, – dann kann der Ausweg nur ein kooperativ-integrierendes Miteinander der Menschen als einer Menschheit, das friedliche Miteinander mit allen (Lebe-)Wesen sein. Oder: Himmel auf Erden. Fangen wir an mit einem weiteren, wie die Gemeinschaft Tamera sich nennt, »Heilungsbiotop« für alt und jung!

Alle Infos unter:

www.gemeinschaft-sonnenwald.de

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