Kein Tag ohne AZ Köln!

In Köln findet derzeit eine regelrechte Verdrängung linker Projekte statt. Betroffene sind Gemeinschaftsgärten, Begegnungszentren, besetzte Cafés und Uniräume, Bauwagenplätze sowie das Autonome Zentrum. Wenn es nach der Stadt geht, wird es Ende dieses Jahres kaum mehr Räume geben, die eine selbstverwaltete und unkommerzielle Alternative zu den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen bieten.

Molli Schwarz, Köln

Ende 2018 will die Stadt Köln das Gebäude des Autonomen Zentrums (AZ) abreißen. Dabei gehört dieser Freiraum zu den wenigen Orten, die noch einen Gegenpol bilden, in einer Zeit, in der Rechtsextremismus wieder einen Aufschwung erlebt und Menschen an Grenzen vor Stacheldrahtzäunen festgehalten werden. Solche Orte sind es, die noch versuchen, standhaft zu bleiben, die gegen eine rassistische Politik kämpfen, während Abschiebungen für manche bereits zum Alltag gehören und Parlamentarier*innen das Holocaust-Denkmal als einen »Schandfleck« beschimpfen. Gegen die Verherrlichung von Volk und Nation und für ein partizipatives und emanzipatorisches Miteinander versuchen diese Orte, für eine echte Alternative einzustehen.

Hierarchiefrei und achtsam

Das AZ setzt sich aus vielen unterschiedlichen Menschen zusammen und bietet mitten in Köln die Möglichkeit, sich selbstverwaltet zu organisieren. Egal ob Kunst, Kultur, Sport, Soziales oder linke Politik. Einzelpersonen schließen sich für die Verwirklichung ihrer Ideen und Projekte zu Gruppen zusammen; unabhängig von dem eigenen Kontostand, der sozialen Herkunft, des Aussehens, der Sexualität, dem Pass oder dem Aufenthaltsstatus werden in diesem Freiraum die gesellschaftlich konstruierten Hierarchien aufgehoben, indem gemeinsam und gleichberechtigt alle Entscheidungen getroffen werden.

Das AZ hat keinen Platz für Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und alle wweiteren Arten von Diskriminierung. Solch ein Schutzraum wird in dieser Art in Köln sonst nirgends geboten. Den Nutzer*innen des AZ ist es wichtig, für ein solidarisches Miteinander ein Bewusstsein zu schaffen. Es geht darum, die Strukturen und Denkmuster hinter Diskriminierungen offenzulegen und dadurch zu bekämpfen. Selbstorganisierte Veranstaltungen und Vorträge behandeln beispielsweise Themen der Ausgrenzung und Unterdrückung und versuchen so, zu deren Überwindung beizutragen. Dies findet bereits im alltäglichen Umgang der Nutzer*innen miteinander Anwendung, indem jede Person sich kritisch mit den eigenen Privilöegien und Diskriminierungserfahrungen auseinandersetzt. Das ist besonders auch im gegenseitigen Respekt zu spüren, den mensch hier antrifft.

So sind beispielsweise auf Partys Awareness-Strukturen fest etabliert. Diese sollen durch Ansprechpartner*innen sichern, dass jede Person die Veranstaltung möglichst angenehm erleben kann und Konflikte gemeinsam gelöst werden können. Dazu gehört auch eine Sensibilisierung im Vorhinein, die verhindern soll, dass Menschen ihre persönlichen Grenzen überschritten sehen.

Konsumdruck entgegenwirken

Abgesehen von dem bewussten Umgang miteinander gibt es zahlreiche Beispiele, die zeigen, wie essentiell das AZ für die Stadt Köln ist: Drei Mal in der Woche gibt es, wie der »Kölner Stadtanzeiger« sie nennt, die »Autonome Tafel«. Dieser Umsonst-Supermarkt ist für jede Person zugänglich. Ohne Prüfung der »Bedürftigkeit« basiert er auf der Selbsteinschätzung der Einkaufenden. So funktioniert die Essensausgabe ohne Ausgrenzung von Menschen, und das bereits seit Jahren.

Ähnlich funktioniert auch der Umsonstladen des AZ. Dort steht ein Sortiment an Büchern, Klamotten, CD's und vielem mehr für alle zur Verfügung. Und wie der Name schon zu erkennen gibt: Kostenlos. Dem Konsumdruck soll entgegengewirkt werden, auf der Grundlage einer generellen Achtsamkeit jeder einzelnen Nutzer*in des Umsonstladens. So sortiert jede Person, die ihre gebrauchten Dinge dort zur Vefügung stellt, diese selbstständig ein und jede*r, die etwas nimmt, achtet darauf, den Laden instandzuhalten.

Diese Zusammenarbeit ist auch in der Fahrrad-Selbsthilfe-Werkstatt zu finden. Dort kann jede*r ihr oder sein Fahrrad reparieren. Der Unterschied zu einem normalen Laden liegt darin, dass gemeinsam mit Zweiradexpert*innen repariert wird und üblicherweise teure Ersatzteile je nach Geldbeutel kostenlos oder gegen eine Spende erworben werden können. Menschen geben dort ihr Wissen weiter und alles, was nötig für eine Reparatur ist, steht zur Verfügung. Immer mit der Möglichkeit, Unterstützung zu erfahren und mehr dazuzulernen kann dort selbstständig ein Fahrrad repariert oder von Grund auf neu zusammengebaut werden.

Selbst in den angebotenen sportlichen Aktivitäten fällt sofort auf, dass hier eine Utopie, frei von Hierarchie, angestrebt wird. So werden in manchen Kursen die einzelnen Stunden immer von unterschiedlichen Nutzer*innen geleitet und jede*r Mensch kann die Stunde nach eigenen und gemeinsamen Vorlieben gestalten. Auch was Kunst angeht, füllt das AZ eine Lücke der Stadt. Es gibt in Köln zu wenige öffentliche Flächen, an denen Kunst großflächig ausgelebt werden kann, ohne dass die Frage nach ihrem Verkaufswert gestellt wird. Das AZ mit seinem offenem Atelier und der Möglichkeit, jede Wand zu verschönern, stellt etwas dar, was sonst nur auf illegalisiertem Weg – beispielsweise durch Graffiti und Streetart – umgesetzt werden kann. Der Fokus des AZ liegt auf der Auseinandersetzung mit politischen Themen, gleichzeitig mit der direkten Umsetzung des Angestrebten in einer gerechteren Gegenwart. In allen Projekten des AZ ist dieser Wunsch nach struktureller Veränderung zu spüren.

Auch außerhalb des Freiraums

Diese angestrebte Utopie verweilt nicht nur in den vier Wänden des Freiraums. Proteste und Aktionen werden aus dem AZ heraus organisiert, um produktiv an dem gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen und um hierarchie- und diskriminierungsfreie Alternativvorschläge einzubringen. Ob die Blockade des AfD-Parteitags, der Support der Kampagne: »Kein Schlussstrich unter den NSU-Komplex« oder Demonstrationen gegen Hogesa, Pro Köln und die Verhinderung der Etablierung eines Pegida-Ablegers in Köln – stets war und ist das AZ ein zentraler Ort der Vernetzung, Planung und Durchführung gesellschaftlich notwendigen Protests.

Was bisher geschah

Diesen Ort der ständigen Veränderung, welcher geradezu dazu auffordert, mitzugestalten, gab es in Köln nicht immer. Der Start des Autonomen Zentrums begann mit der »Kampagne Pyranha für ein Autonomes Zentrum *mit Tanzfläche«. Die Forderung an die Stadt, einen offenen Raum für Kunst, Kultur und Politik zur Verfügung zu stellen, wurde jedoch nicht gehört. So kam es 2010 zur Besetzung einer jahrelang leer stehenden ehemaligen Werkskantine, damals im Besitz der Sparkasse, in Köln-Kalk. Von dort musste das AZ nach drei Jahren dann aufgrund eines geplanten, nach fünf Jahren aber immer noch nicht gepflanzten Grünstreifens weichen.

Nach aufreibenden Verhandlungen wurde schließlich der heutige Alternativstandort an der Luxemburgerstraße 93 von der Stadt zur Verfügung gestellt. Doch das nun so vielfältig genutzte Gebäude darf auch hier nicht bleiben. Schon wieder soll es für einen Grünstreifen abgerissen werden. Das Megaprojekt »Parkstadt Süd« sieht vor, Rollrasen durch die Stadt bis zum Rhein zu ziehen, wodurch die Mieten in den agrenzenden Wohnquartieren durch die Decke schießen werden. Grünstreifen oder Raum für Diskussion, Kunst, Sport, Politik? Die Bürger*innen Kölns wollen beides. Wieder einmal spielt die Politik Interessen gegeneinander aus, anstatt beidem, Natur und Mensch, Raum zu geben. Die Nutzer*innen des AZ haben der Stadt einen Vorschlag zur Öffnung und Integrierung des Kulturzentrums in den Grünstreifen vorgelegt. Er wurde schlicht ignoriert.

Städtische Scheinangebote

Die Pläne der Stadt stehen – doch nicht so fest, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Es gibt eklatante Widersprüche. Ein Parkhaus des Amtsgerichts, welches auf der Planungsfläche der Parkanlage steht, erhält ironischerweise Bestandsschutz. Soziale, kulturelle, politische Projekte, welche einen großen Mehrwert für die Stadt darstellen, erhalten ihn jedoch nicht.

Bei dem zurückliegenden Umzug des Zentrums in den jetzigen Standort wurde mit der Stadt vereinbart, dass vor Auslauf des Nutzungsvertrages gemeinsam ein geeigneter und vergleichbarer Alternativstandort gefunden werden soll. Dieser Zeitpunkt ist längst gekommen. Doch es passiert in dieser Hinsicht nichts. Die Stadt bricht ihre Versprechungen. Angeboten werden Brachflächen, welche mit Containern bestückt werden könnten. Andere Flächen liegen weit außerhalb, am Rande der Stadt. Und um die Absurdität auf die Spitze zu treiben, sind die bisher angebotenen Grundstücke nicht einmal im Besitz der Stadt Köln. Wie soll dies ab Ende des Jahres den Weiterbestand des Autonomen Zentrums garantieren? Das ist keine gemeinsame Suche nach Alternativstandorten. Das ist Verdrängung.

Tanzdemos und Cornern

Und genau deshalb, weil das Autonome Zentrum kein Umzugsprojekt ist und auch nicht in Schiffscontainer passt, gehen Menschen nun auf die Straßen. Am 21. April besetzten rund 300 Menschen den zentral gelegenen Heumarkt und störten anschließend in einer Spontandemonstration den Verkehr und trugen ihre Botschaft in die Stadt hinein: »Wir sind da, wir sind viele, wir sind entschlossen – mit uns zu verhandeln ist gut, uns zu ignoieren, sicher nicht!“

Unter dem Motto: „Wir kämpfen! Heute noch tanzend…« zogen am elften Mai Menschen für den Erhalt ihrer Freiräume mit einer Nachttanzdemonstration durch die Straßen Kölns. Der Bass der Soundanlagen ließ manch geparkte Nobelkarosse im Beat vibrieren, bis die Alarmanlagen der Fahrzeuge in die Melodie „Kein Tag ohne Autonomes Zentrum“ einstimmten.

Mit regelmäßigem »Cornern« - das ist das gemeinsame Beisammensein und Trinken an einer Straßenecke - soll die Stadt in Kenntnis gesetzt werden, dass »wir viele sind und uns notfalls den Raum nehmen, wenn er uns nicht gegeben wird«. Das Ziel ist, laut zu sein und zu zeigen, dass die Menschen das AZ brauchen.

Es geht darum, zu bleiben. Es geht darum, Raum zu haben, diesen füllen zu können und nicht immer wieder durch Umzüge von vorne beginnen zu müssen. Das Autonome Zentrum muss genau dort bleiben, wo es jetzt steht, um Menschen die Möglichkeit zu geben, es weiter gestalten zu können. Es ist jetzt an der Zeit für alle, denen das Autonome Zentrum und auch alle anderen Projekte am Herzen liegen, sich einzusetzen und zu zeigen, dass wir uns nicht immer wieder verdrängen lassen! Ganz nach dem Motto: »Auf die Plätze… fertig… los… Für ein Autonomes Zentrum!«

Molli Schwarz gehört zu den Unterstützer*innen des AZ

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