Die List der Kunst

Christa Morgenrath koordiniert seit 2009 die »Stimmen Afrikas«, ein Bildungs- und Literaturprojekt des Allerweltshaus Köln. Contraste-Redakteurin Ariane Dettloff ist über eine Radiosendung im Rahmen von »alleweltonair«, dem Bürgerfunk aus dem Allerweltshaus, auf das von Morgenrath initiierte, selbst organisierte Projekt aufmerksam geworden und ließ sich von ihr über dessen Aktivitäten informieren.

Ich habe einige Jahre in Westafrika gelebt, in Gambia und auch im Senegal.

Die Lust auf Afrika ist bei mir mit durch die Literatur entstanden. Ich habe sehr viel gelesen, was es damals in den 90er Jahren so gab. Ich wollte mit persönlichem Leben erfüllen, was ich mir angelesen hatte. Es war auch die Lust, sich dieses Europa mal von außen anzugucken und zu spüren, wie sich das anfühlt, wenn man draußen ist in der Welt, die sich nicht für den Nabel der Welt hält, und auch, wie es sich anfühlt, »fremd« zu sein.

Wie hat es sich angefühlt?

Sehr reizvoll, sehr spannend. Sehr anstrengend war es aber auch, zu verstehen - wenn man ein tieferes Verständnis bekommen wollte von Kultur und Alltagsvorgängen auf dem anderen Kontinent. Dann kam ich zurück nach Deutschland, hatte ein Kind und keinen Job erst einmal. Zuvor hatte ich am Theater an der Ruhr gearbeitet, als Dramaturgin, auf internationalen Festivals und in internationalen Projekten.

Wie ging es dann weiter?

Mit einem kleinen Kind ist eine Berufstätigkeit nicht einfach. Man sagte Ah! und Oh! Du warst in Afrika? Wie interessant! Aber ich merkte, dass es die Leute gar nicht weiter interessierte. Ich fand die Erfahrung natürlich besonders, sie hat mein Leben stark geprägt und verändert. Nun ja, dann ergab sich diese Gelegenheit im Allerweltshaus, ein literarisches Projekt zu initiieren, und wir – zwei Freundinnen und ich – dachten: Das probieren wir einfach mal. Da konnte ich meine Interessen und meine Neigungen und auch meine Fähigkeiten bündeln, ohne zu ahnen, dass daraus langfristig ein größeres Projekt entstehen würde. Aber als wir gemerkt haben, dass es einen Zuspruch gibt und dass diese Kulturvermittlung  tatsächlich einen wichtigen Bereich der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit darstellen kann, haben wir angefangen das auszubauen, das heißt, wir haben angefangen Fördergelder dafür zu suchen, um ein kontinuierliches Programm zu machen.

Wo habt ihr Fördermittel gefunden?

Bei der Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW. Sie hat uns sehr geholfen über mehrere Jahre. Auch von der Stadt Köln gab es Zuschüsse.

Welche Veranstaltungen möchtest du als Beispiele für das Wirken der »Stimmen Afrikas« nennen?

Wir haben unter anderem auch Ausstellungen gemacht und Podiumsdiskussionen  zu politischen Themen organisiert. Ein zentrales Format sind aber weiterhin unsere Autoren-Lesungen. Wir laden Schriftsteller*innen unabhängig von ihrem Wohnort ein. Es ist allerdings auch immer eine Kostenfrage – sie kommen also eher selten aus Kapstadt oder Dakar, sondern beispielsweise aus Paris oder aus London oder aus den USA, wenn sie zufällig gerade in Europa sind.

So hatten wir 2014 auch das Glück, Chimamanda Ngozi Adichie gemeinsam mit dem Literaturhaus einladen zu können. Sie ist eine großartige Erzählerin aus Nigeria, die in den USA lebt. Sie lässt sich nicht unterkriegen in dieser männerdominierten Welt, auch in diesem Trump-Amerika nicht. Für afrikanische Frauen in vielen Teilen der Welt ist sie eine wichtige Identifikationsfigur. Sie erzählt unter anderem Geschichten von Frauensolidarität auch über ein soziales Gefälle, über religiöse Grenzen hinweg, und insofern leistet sie Bedeutendes in der Vermittlung zwischen den Kulturen.

Worauf kommt es euch bei euren Lesungen besonders an?

Wichtig ist es uns immer, die Inhalte des Werks zu präsentieren, aber auch, das Gespräch unmittelbar mit den Künstler*innen und Intellektuellen zu vermitteln. Denn so sind wir Menschen, glaube ich, gestrickt: dass es für einen bleibenden Eindruck sorgt, wenn man einer starken Persönlichkeit begegnet und die Möglichkeit hat, Fragen zu stellen. Unsere Haltung ist immer die gewesen: Ihr Europäer habt immer so tolle Rezepte und Ratschläge für die Menschen aus dem globalen Süden –  jetzt hört ihr einfach mal zu, was sie selbst zu sagen haben! Dabei glaube ich persönlich auch an die List der Kunst: in dem Moment, wo das auch in einer schönen Form geschieht, hilft das, sich auf etwas anderes einzulassen. Wenn mir jemand etwas gut und einfühlsam erzählt, bietet das eine Chance, mich dem anzunähern.

Welche Autorenlesung war dafür ein besonders einprägsames Beispiel?

Der 1970 geborene Kameruner Patrice Nganang hat einen sehr starken Eindruck hinterlassen. Er las Passagen aus seinem Roman »Zeit der Pflaumen«. Darin erzählt er das turbulente Schicksal von Bewohnern eines Dorfs im Süden Kameruns. Für sie beginnt der Zweite Weltkrieg im August 1940. Wie sie in die Ereignisse des Krieges hineingeraten, wie sie im Verborgenen ihre Ideen von Protest und Unabhängigkeit vorantreiben, erzählt Nganang in einer sehr bilderreichen Sprache.

In Kamerun mussten die Menschen ja drei Kolonialmächte ertragen: Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Patrice Nganang ist ein brillanter Erzähler mit einem irrsinnigen Humor. Mit ihm waren wir auch an einer Kölner Schule. Denn wenn das Geld dafür da ist und sich der Aufenthalt so bauen lässt, besuchen wir mit unseren Autoren sehr gerne Schulen. Die Schüler*innen reagieren immer ganz begeistert. Denn es ist absolut selten, dass sie Autor*innen aus fernen Ländern kennenlernen können und Geschichten erfahren, die leider im normalen Lehrplan nicht vorkommen.

Welche Aktivitäten unternimmt Stimmen Afrikas außerdem noch?

Wir haben zum Beispiel kürzlich zusammen mit der Afrika-Kooperative Münster ein Buch herausgegeben: den Essayband »Dekolonisierung des Denkens« des kenianischen Schriftstellers Ngugi wa Thiong´ó, der bis dahin nur auf Englisch vorlag. Es geht darin um Sprachpolitik. Wa Thiong´ó war auf seinem gesamten Bildungsweg auf die englische Sprache getrimmt worden. Er fragt sich: Für wen schreibe ich? und plädiert dafür, dass Afrikaner*innen in afrikanischen Sprachen schreiben. Er hat in diesem Essayband darauf aufmerksam gemacht, was die koloniale Sprachpolitik in den Köpfen der Afrikaner*innen bewirkt hat. Der Nigerianer Chinua Achebe dagegen plädierte dafür, das Englische »afrikanisch« abzuwandeln und  anzureichern, so dass es in die afrikanische Umgebung passt und doch ein Weltpublikum erreicht.

Es gibt jetzt eine junge Generation, die das Problem wieder aufgreift. Bei unserer Buchvorstellung entspann sich darüber eine spannende Diskussion, in der zum Beispiel Rémi Tchokothe, ein junger Kameruner, klagte: »Man muss sich das mal vorstellen: Wir haben als Kinder in der Schule Weihnachtsgedichte aufsagen müssen mit Schnee und Tannen etc. Wir mussten die Marseillaise singen und – viel schlimmer noch: Wenn Kinder auf dem Schulhof dabei erwischt wurden, dass sie in ihren Muttersprachen redeten, wurden sie geschlagen oder gedemütigt oder bekamen ein Schild umgehängt mit der Aufschrift: »Ich bin ein Idiot.« So etwas passiert manchmal selbst heute noch!

Wie komplex und wichtig diese Thematik ist, zeigen fünf zeitgenössische Autor*innen, die wir dazu eingeladen haben, einen Beitrag in dem Essayband zu schreiben.

Wie war denn das Medienecho auf Eure Veranstaltungen?

Durchweg positiv. Neben Besprechungen und gelegentlichen Interviews in Printmedien gab es auch Rundfunksendungen - über den Deutschlandfunk, den WDR und die Deutsche Welle bis zu »alleweltonair«, dem Radioprojekt des Allerweltshauses. Über das große Poesiefestival, das wir 2014 zusammen mit dem Literaturhaus Köln organisiert haben, wurde sehr breit berichtet. Dafür hatten wir hiesige und afrikanische Autor*innen zusammen auf die Bühne gebracht.

Gibt es weitere Kooperationspartner

Ja, Kooperation ist für uns enorm wichtig. Neben dem Literaturhaus Köln, der Volkshochschule und der Stadtbibliothek ist zum Beispiel das ethnologische Rautenstrauch-Joest-Museum ein wichtiger Partner. Aber auch mit anderen Afrika-Initiativen in Köln und NRW sind wir vernetzt. Mit dem africologne-Festival 2016 konnten wir zum Beispiel eine Bildungstournee mit dem Theaterstück »Coltanfieber« speziell für Schulen in neun NRW-Städten organisieren und dafür Materialien zur Coltan-Thematik, den damit zusammenhängenden Menschenrechtsfragen und der Ressourcenpolitik etc. erarbeiten.

Welchen Preis habt ihr dafür berechnet?

Wir machen das nicht kommerziell, unsere Preise sind sehr niedrig, zwischen drei und acht Euro. Wir wollen diese Bildungsarbeit auch weiterhin niedrigschwellig anbieten, um sie möglichst breit zugänglich zu machen.

Mir ist es wichtig, dass Kunst nicht nur als luxuriöses Beiwerk betrachtet wird, sondern als etwas Elementares, das uns als Menschen ausmacht, das uns bewegt und begeistert - und zwar nicht nur die, die es sich leisten können, sondern alle, die in die Gesellschaften hinein wirken wollen.

Infos unter: www.stimmenafrikas.de

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