Ein Dach für eine vielfältige Bewegung

Vom 26. - 29. Oktober fand das Nyeleni-Herbsttreffen, das österreichische Forum für Ernährungssouveränität, in Graz statt. Ein Ort für all jene, denen die Themen Ernährung und Landwirtschaft wichtig sind, um sich besser kennen zu lernen, sich zu vernetzen und gemeinsame Strategien und Aktivitäten zu planen.

Brigitte Kratzwald, Redaktion Graz

Beim 1. Treffen für Ernährungssouveränität in Mali 2007 wurde der Name einer malischen Bäuerin gewählt, um eine ganze Bewegung zu bezeichnen. »Nyeleni ist«, erzählt Julianna von La Via Campesina und eine der Hauptorganisatorinnen des Treffens, »eine Ikone des kleinbäuerlichen Widerstands. Eines Widerstands, der auch feministisch ist, eben kein weißer Widerstand ist, und der vielen Vorurteilen, wie eine soziale Bewegung denn auszusehen habe, widerspricht«. Der Name wurde zum Programm der Bewegung für Ernährungssouveränität, die sich durch eine große Vielfalt an beteiligten Organisationen und Personen sowie auch an Themen auszeichnet.

Das Konzept Ernährungssouveränität wurde von La Via Campesina geprägt als Gegenentwurf zum Begriff der Ernährungssicherheit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), der es nur um ausreichende Mengen an Nahrung geht. Die hier Versammelten setzen sich dafür ein, dass diejenigen, die das Essen produzieren, verteilen und konsumieren, darüber auch mitbestimmen können. Neben La Via Campesina, dem globalen Zusammenschluss von Kleinbauern und -bäuerinnen, LandarbeiterInnen, Landlosen und Frauenorganisationen, sind im Nyeleni-Forum auch andere Personen und Initiativen entlang der Versorgungskette vertreten, die sich gegen die industrielle Landwirtschaft stellen. Da finden sich AktivistInnen der Essensretter, Menschen aus Foodcoops, umweltbewegte Menschen und solche aus feministischen Zusammenhängen. Zudem geht es um die Organisierung von Menschen, die im industriellen Lebensmittelsystem arbeiten, etwa Frauen in Supermärkten oder ErntearbeiterInnen, die sogenannten Sezonieri, denen bei diesem Forum ein spezieller Schwerpunkt gewidmet war.

Im DIY-Demokratie-Repair-Café ging es um die grundsätzliche Frage: Wer macht wie Agrarpolitik und warum machen wir die nicht selbst? Die Bewegung für Ernährungssouveränität fordert eine transparente, partizipative Agrarpolitik und ein Grundrecht nicht nur auf gesunde Ernährung sondern auch auf Teilhabe an der Gestaltung. Ein wichtiges Thema bei diesem Forum war auch die aktuelle politische Situation in Österreich, wo die Grünen, als bisher wichtigster Ansprechpartner der Bewegung, nicht mehr im Nationalrat vertreten sind.

Im Workshop »Milch und Macht« waren die aktuelle Milchkrise und das durch sie bedingte Bauernsterben Ausgangspunkte, um die Machtverhältnisse in der globalen Landwirtschaft zu analysieren und nach der eigenen Handlungsmacht zu fragen. Milchproduzierende Bauern und Bäuerinnen können sich nicht so leicht organisieren, weil sie zweimal täglich im Stall stehen müssen. Wie lässt sich unter diesen Bedingungen solidarisch handeln? Eine Lösungsmöglichkeit wurde in der neu aufkeimenden Genossenschaftsbewegung gesehen. Eine genaue Recherche aktueller Entwicklungen, Bildungsarbeit und die Schaffung von Räumen, wo Bauern, Bäuerinnen und AktivistInnen zusammenkommen können, wurden als weitere Handlungsoptionen genannt.

Ein anderer Workshop befasste sich mit der Idee von Ernährungsräten in Städten. Das sind Foren, die verschiedene AkteurInnen zusammenbringen: ErzeugerInnen, VermarkterInnen, GastronomInnen, KonsumentInnen, Initiativen ebenso wie Einzelpersonen. Die Frage der Nahrungsmittelproduktion und -verteilung soll damit auf die lokale Ebene heruntergebrochen, Herausforderungen benannt und langfristige Pläne entwickelt werden, die sowohl die soziale als auch die ökologische Perspektive einbeziehen. Das Konzept der Ernährungsräte kommt aus den USA und ist im deutschsprachigen Raum noch relativ neu. Der erste Ernährungsrat wurde 2015 in Köln gegründet, inzwischen gibt es auch einen in Berlin und einige mehr sind – ebenso wie der in Wien – in der Aufbauphase. Ernährungsräte richten sich an die Politik, auch als Gegenpol zum Konzernlobbying. In Köln sind auch Mitglieder der Stadtverwaltung im Ernährungsrat vertreten.

Eine Diskussion unter dem Motto »Who cares?«, in der Probleme der Pflege im ländlichen Raum diskutiert wurden, rundete den breiten Themenreigen ab. Wer wollte, konnte auch an einer Exkursion zu einer Solawi oder an einem Treffen in einem Stadtteilzentrum teilnehmen, wo mit Bezirks­politikerInnen und BewohnerInnen des »Grätzls«, eine Bestandsaufnahme der ernährungsbezogenen Infrastruktur vorgenommen und neue Ideen entwickelt wurden.

Nach drei ereignisreichen Tagen zeigt sich einmal mehr: Ernährungssouveränität kann einen Raum für die verschiedenen Gruppen, die in sehr unterschiedlichen Feldern arbeiten, bieten, um die gemeinsame Vision nicht aus den Augen verlieren. Es gebe da zwar nicht unbedingt konkrete Ergebnisse, resümiert Julianna, »aber über die Jahre hinweg merken wir, dass das irrsinnig viel Kraft gibt, den einzelnen Akteuren und Bewegungen, weil jeder weiß, ich bin nicht alleine auf weiter Flur, sondern da sind noch viele andere Menschen mit unterwegs«.

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