Abflug in die Zukunft

Ehemaliges Flughafengebäude umnutzen

In Berlin will eine Initiative den stillgelegten Tempelhofer Flughafen zu einem demokratischen Ort machen, wo eine zukunftsfähige urbane Lebensweise entwickelt wird.

Annette Jensen, Berlin

Als der Tempelhofer Flughafen gebaut wurde, war das Gebäude mit 300.000 Quadratmetern das größte auf dem Planeten – heute steht ein großer Teil der Hallen und Hangars, Büros, Werkstätten, Küchen und Kantinen, Lagerräume und Garagen leer. Keine Metropole Europas hat so viel Frei- und Leerraum in zentraler Lage. Die Initiativgruppe Tempelhof sieht darin eine riesige Chance: Sie plädiert dafür, das mit autonomer Wasser- und Energieversorgung angelegte Gebäude in ein gemeinwohlorientiertes Reallabor für eine zukunftsfähige urbane Lebens- und Versorgungsweise zu verwandeln. Kompass für den Praxis-, Lern- und Forschungsort sollen die 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung sein, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDG). Zugleich soll das in der Nazi-Zeit errichtete Gebäude transformiert werden zu einem Ort der Demokratie von unten: Berlin hat eine überaus vielfältige Bewohnerschaft und eine sehr engagierte Zivilgesellschaft, dazu zahlreiche international vernetzte Institutionen und Organisationen, die sich mit Zukunftsfragen beschäftigen. Sie alle sollen eingeladen werden, sich an der geplanten Bürgerstiftung zu beteiligen und das Tempelhofer Flughafengebäude mitzugestalten. Das Flugfeld ist seit einem Volksentscheid 2014 bereits Gemeingut und darf nicht bebaut werden.

Entstehen soll eine kleinteilige, ressourcenschonende und bedarfsorientierte Kreislaufwirtschaft, bei der vieles gemeinsam genutzt wird, während Ideen und Erfahrungen weltweit geteilt werden, so die Vision der generationsübergreifenden Gruppe. Gerade weil es so viel Platz gibt, kann vieles neben- und miteinander entstehen, sich vernetzen und in seinen Wechselwirkungen erforscht werden.

Die Initiative hat einen Bürgerplan erarbeitet und bemüht sich gerade um erste Räume im Gebäude. Dafür zuständig ist die Tempelhof Projekt GmbH. Das Tochterunternehmen des Landes verwaltet die Liegenschaft, seit der Flugbetrieb vor neun Jahren eingestellt wurde. Offizielles Leitbild ist ein »Stadtquartier für Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft.« Ab und zu findet hier ein Event statt, einige Räume sind vermietet, der größte Nutzer ist die Berliner Polizei. Bis zu ihrer Pleite fand hier die Modemesse Bread & Butter statt, was sich letztlich als Zuschussgeschäft für Berlin herausstellte. Auch die unwürdige Unterbringung von Flüchtlingen in einem Hangar wird bald der Vergangenheit angehören. Wer heute durch die zahlreichen Höfe des Gebäudes streift, trifft fast niemanden. Kein Wunder: Es gibt nirgendwo auch nur einen Kaffee. Mieter berichten von einem gnadenlos langsamen Internet, jedes Jahr kostet das Gebäude Berlin mehrere Millionen Euro an Heizkosten.

Die Initiative schlägt vor, die zahlreichen Innenhöfe thematisch zu gestalten. Projekte und Betriebe, die sich um Fragen der Ernährung, Gesundheit, Demokratie und Friedensförderung, Geschlechter- und Generationengerechtigkeit, Stadtplanung und -versorgung oder Produktionsweisen kümmern, beziehen und bewirtschaften gemeinsam einen Themenhof. Parallel sollen neuartige Bildungseinrichtungen in das gesamte Gebäude integriert werden wie eine Bürger:innenhochschule und eine innovative UN-Universität, in der junge und alte Wissenschaftler:innen im engen Austausch mit der Praxis zusammenarbeiten. Auch Ateliers, Bühnen-, Ausstellungs- und Probenräume sind vorgesehen, die je nach Bedarf von Tanzenden, Theatergruppen, Chören, Bands, Aktionskünstler:innen und Orchestern, aber auch bildenden Künstler:innen oder transmedialen Projekten genutzt werden. Dringend benötigter günstiger Wohnraum könnte hier ebenfalls enstehen. Die rot-rot-grüne Landesregierung will das Gebäude partizipativ entwickeln, heißt es im Koalitionsvertrag; dazu passt das Konzept der Initiative bestens.

www.thf.vision

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