Rebellische Städte gegen Rassismus und Patriarchat

Fearless Cities: Konferenz in Barcelona im Juni 2017

Die Idee des Munizipalismus wird zur Praxis: Soziale Bewegungen erobern die Rathäuser und versuchen dort eine Politik zu machen, die sich in klarer Abgrenzung von Trumpismus und Brexit, Rechtsruck, Rassismus und zunehmender sozialer Ungleichheit an den Bedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung orientiert. Die Konferenz in Barcelona war der Beginn eines globalen Netzwerks dieser furchtlosen und rebellischen Städte.

Elisabeth Voß

Vom 9. bis 11. Juni 2017 kamen in Barcelona 700 Menschen aus 180 Städten in 50 verschiedenen Ländern zur Konferenz »Fearless Cities« zusammen. In einer Welt, in der autoritäre staatliche Politik versagt, wollen furchtlose und rebellische Städte die Verantwortung für ihre Lebensverhältnisse selbst in die Hand nehmen. Sie verteidigen Menschenrechte, Demokratie und Gemeingüter, denn »Demokratie ist aus der lokalen Ebene geboren, und dort können wir sie wieder zurückgewinnen.« Dieser neue Munizipalismus strebt eine Verbindung von sozialen Bewegungen mit politischen Institutionen an. Die Intention der Konferenz: »Angesichts von Hass, Mauern und Grenzen, wollen wir globale Netzwerke der Solidarität und Hoffnung zwischen Rathäusern und Bürger*innen aufbauen.« Eingeladen hatte Barcelona en Comú, die aktivistische, basisdemokratisch ausgerichtete Plattform, die 2015 die Kommunalwahl in Barcelona gewonnen hat. Mit Ada Colau stellt sie eine Bürgermeisterin, die aus der Recht-auf-Wohnen-Bewegung kommt.

Grundlage des Munizipalismus sind starke soziale Bewegungen, der Austausch und die persönlichen Beziehungen in den Nachbarschaften. Auch und gerade dann, wenn – wie in Barcelona – die Stadt-Regierung übernommen werden kann, ist diese Basis weiterhin unabdingbar notwendig um sicherzustellen, dass sich in der Politik nicht über kurz oder lang doch wieder überwiegend abgehobene und selbstsüchtige Karrierist*innen an den Trögen der Macht tummeln. So war ein Thema der Konferenz die Korruption, und wie ihr mit Transparenz und Kontrolle entgegen gewirkt werden kann.

Von den Veranstalter*innen wurde vehement betont, dass es um eine Feminisierung der Politik geht, und so war es folgerichtig – und doch für eine solche Konferenz außerordentlich bemerkenswert – dass kein einziges Panel männlich dominiert war. Von 83 Referent*innen waren 52 weiblich und 31 männlich. Jedoch war der Stil der Veranstaltungen ganz überwiegend patriarchal-frontal gehalten, was noch dadurch verschärft wurde, dass die Vielsprachigkeit – Konferenzsprachen waren Englisch und Spanisch – große Konzentration erforderte, und sehr viele Referierende nacheinander auf den Podien sprachen.

Eine kleine Auswahl

Das Programm war prall gefüllt. Der Eröffnungsabend fand auf einem öffentlichen Platz, der Plaça dels Àngels vor dem Museum MACBA, statt. Dort sprachen die Bürgermeister*innen und Stadträt*innen, nicht nur aus etlichen spanischen Städten, in denen Plattformen die Regierung stellen, sondern zum Beispiel auch aus Grenoble (Frankreich), Neapel (Italien) und der Region Attica (Griechenland), aus Berkley (Kalifornien), Vancouver (Kanada), Rosario (Argentinien) und Belo Horizonte (Brasilien).

Die Veranstaltungen an den beiden folgenden Tagen fanden in der Universität statt, unter anderem zu »Municipalism for Dummies«, Urban Commons, Mobilität, Wohnen, und zu vielen Aspekten munizipalistischer Plattformen. Die Journalistin Debbie Bookchin betonte, dass ökologische Probleme letztlich soziale Probleme seien, und nicht gelöst werden könnten, wenn nicht die Frage der Hierarchie gelöst würde. Zur Überwindung des Neoliberalismus sei eine egaltiäre Gesellschaft notwendig. Sie knüpfte damit an die Arbeit ihres 2006 verstorbenen Vaters Murray Bookchin an. Der US-amerikanische Autor entwickelte mit seinem Konzept des Kommunalismus Ideen für eine selbstorganisierte Gesellschaft auf der Basis von gemeinschaftlichem Wirtschaften und neuen munizipalistischen Formen von Politik. Auch der Demokratische Konföderalismus der autonomen Kurdischen Region Rojava in Nordsyrien beruft sich auf Bookchin. Aus Rojava war Sinam Mohamad vertreten, die berichtete, wie es unter den erschwerten Bedingungen von Kämpfen und Gewalt doch gelingt, eine solidarische, multi-ethnische und multi-religiöse Gesellschaft aufzubauen, die sie dort als weibliche Revolution bezeichnen.

Ein politischer Skandal begleitete die Konferenz, als bekannt wurde, dass der spanische Staat der stellvertetenden Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Regionen (DBP) Kurdistans, Emine Özmen, die Einreise versagt hatte. Sie hätte als Referentin in einem Workshop über den Aufbau munizipalistischer Plattformen sprechen sollen. Dieser Vorfall zeigt eine Grenze globaler Vernetzung auf der Basis städtischer Selbstorganisation auf, denn die Staatsmacht besteht ja weiter.

Kali Akuno von der Cooperation Jackson in Mississippi berichtete über dieses Netzwerk Solidarischer Ökonomie, das aus einer Initiative von Afrikaner*innen in Amerika entstanden ist. Aus Hong Kong sprach Ivan Lam Long-Yin von der neuen Partei Demosisto, die aus der Protestbewegung von Schüler*innen und Studierenden gegründet wurde. Sie wendet sich gegen die politischen und ökonomischen Vormachtansprüche Chinas.

Die Ökofeministin Yayo Herrero klagte leidenschaftlich die extraktivistische Ausbeutungsökonomie an und betonte die Notwendigkeit einer Wirtschaft jenseits von Kapital und Patriarchat. Dafür erntete sie Standing Ovations, ebenso wie Vandana Shiva, die dazu aufrief, endlich den Krieg gegen die Natur zu beenden.

Munizipalistische Bewegungen in Deutschand?

Munizipalismus im engeren Sinne meint soziale Bewegungen, die anstreben, die Rathäuser zu übernehmen. Daher empfiehlt Barcelona en Comú in einem Leitfaden zum Aufbau munizipalistischer Plattformen, dass es in jeder Stadt nur eine solche Plattform geben sollte. Für einen Überblick über die weltweite Bewegung gibt es auf der Fearless-Cities-Website eine Google-Map, die der globalen Vernetzung dienen soll. Bislang wurden nur die Herkunftsorte der Konferenz-Teilnehmenden eingetragen, für Deutschland sind das Berlin und Frankfurt, ohne weitere Informationen.

In einer Rundmail nach der Konferenz luden die Veranstalter*innen ein, ihnen Informationen über munizipalistische Bewegungen zu schicken, die in Regierungsverantwortung, in der Opposition, im Wahlkampf, oder außerhalb der Institutionen arbeiten. Diese sollen gemeinsame Ziele teilen: »Garantie der Grundrechte, Schutz der Commons, Politik feminisieren, Korruption beenden, Ungleichheit reduzieren, Demokratie radikalisieren …«, ebenso wie gemeinsame Arbeitsweisen: »lokal autonom, offen, geführt durch Bürger*innen, horizontal und partizipatorisch«. Die Konferenz-Gruppe will diese Meldungen prüfen und in die Karte aufnehmen, weist jedoch darauf hin, dass sie die Aufnahme in die Map nicht garantieren kann. Hilfreich sei es, Referenzen von anderen Bewegungen beizufügen. Diese Überprüfung und gegenseitige Referenzierung ist sicherlich hilfreich, um das Mapping nicht für selbsternannte Heilsbringer, Splittergruppen oder kommerziell ausgerichtete Gruppen zu öffnen. Welche Bewegungen aufgenommen werden, kann mit Spannung erwartet werden.

So gibt es zum Beispiel in Berlin zahlreiche stadtpolitische Initiativen und Gruppen, von einer großen munizipalistischen Bewegung kann jedoch nicht die Rede sein, Vernetzungsbemühungen gestalten sich ausgesprochen schwierig. Zwei Referenten aus Berlin waren in Barcelona vertreten. Der kurzzeitige Staatssekretär für Bauen und Wohnen, Andrej Holm, der seine Tätigkeit an der Humboldt-Universität nun zwecks Beratung der rot-rot-grünen Landesregierung unterbrochen hat, berichtete über die Wohnungssituation und Wohnungspolitik in Berlin. Daniel Gutiérrez von der Interventionistischen Linken (IL), die eine treibende Kraft im Bündnis Solidarity City Berlin ist, stellte unter anderem das Vorhaben eines Anonymen Krankenscheins für Illegalisierte vor, für dessen Einführung sie sich beim Senat einsetzen (mehr zu Solidarity City im Beitrag »Solidarische Verschwiegenheit und furchtlose Partizipation« von deren Osnabrücker Gruppe in CONTRASTE 394/395). Im Rückblick auf die Konferenz stellt Daniel fest: »Fearless Cities hat eine unglaubliche Gelegenheit geboten, sich mit anderen Aktivist*innen und Organizer*innen über die Möglichkeiten und Grenzen des Arbeitens auf kommunaler Ebene auszutauschen. Angesichts der kritischen politischen Umstände – auf globaler Ebene – ist es notwendig, alle möglichen Wege zu erforschen. Die Bewährungsprobe für munizipalistische Bewegungen liegt in ihrer Fähigkeit, sich zu etwas zu verbinden, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Fearless Cities war ein Schritt in diese Richtung.«

Auch VertreterInnen der Berliner Initiative Stadt von Unten waren als Teilnehmende bei der Konferenz vertreten. Im September 2015 gelang es der Initiative (damals noch als Bündnis organisiert), in Kooperation mit Senat und Bezirksamt die Privatisierung des 4,7 Hektar großen sogenannten Dragonerareals – eines ehemaligen Kasernengrundstücks in bester Kreuzberger Innenstadtlage – zu verhindern. Solidarity City Berlin und Stadt von Unten sind zwei wichtige Akteure in der stadtpolitischen Landschaft Berlins, jedoch bei weitem nicht die einzigen.

Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft?

Am gleichen Wochenende wie die Fearless Cities Konferenz in Barcelona, fand in Athen der 4. Europäische Solidarische Ökonomie Kongress UNIVERSSE statt, organisiert von Ripess Europe, das zum Interkontinentalen Netzwerk zur Förderung der Sozialen Solidarischen Ökonomie RIPESS gehört (RIPESS = Réseau intercontinental de promotion de l’économie sociale solidaire). Dort wurde unter anderem ein Commons-Festival vom 7. bis 9. Oktober 2017 verabredet, sowie weitere Vernetzung und Zusammenarbeit.

Für eine globale Transformation von unten wäre es hilfreich und notwendig, wenn beide Bewegungen – die munizipalistische und die solidarökonomische – zusammen fänden, gemeinsam kämpfen und sich gemeinsam organisieren würden, so wie dies auf lokaler Ebene teilweise bereits geschieht.

Konferenzwebsite: http://fearlesscities.com und Video-Mitschnitte (Kurzlink): http://bit.ly/2ueyti5

Stadtpolitische Gruppen aus Berlin, zum Beispiel: http://solidarity-city-berlin.org und https://stadtvonunten.de

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