Freies Lernen – Kollektiv und Selbstbestimmt

Nicht wenige Schüler*innen leiden unter Leistungsdruck, Konkurrenzprinzip und Adultzentrismus in den allgemeinbildenden Schulen. Regelmäßig werden in diesen Anstalten persönliche Entfaltung sowie solidarisches Denken und Handeln einer Vorbereitung auf eine Gesellschaft geopfert, die gar niemand will. Insofern können Freie Schulen alternative Lernbedingungen bieten, in denen sich nicht zuletzt auch das Demokratieverständnis sowie Selbstorganisationsfähigkeiten besser entwickeln. Die Schule »Freies Lernen – Kollektiv und Selbstbestimmt (FLeKS)«, die 2017 in Hamburg eröffnet, will dies ermöglichen. Contraste Redakteur Johannes Dietrich sprach mit Initiator Sebastian.

Johannes Dietrich, Redaktion Elbsandstein Gebirge

Wer sind die Initiator*innen der Schule »Freies Lernen – Kollektiv & Selbstbestimmt (FLeKS)« und was verbindet sie?

Gestartet wurde das Projekt von Julia und mir. Wir haben uns zu Uni-Zeiten in einer Arbeitsgruppe zum Thema Freie Schulen kennengelernt und waren anschließend mehrere Jahre in der InSeL für selbstbestimmtes Lernen aktiv. Wir hatten somit schon viele gemeinsame Auseinandersetzungen und Erfahrungen im Themenbereich »selbstbestimmtes Lernen – Selbstorganisation – Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Positionen und Privilegien in Gruppen und Gesellschaft – Konflikt- und Bedürfniskommunikation – konsensuale Entscheidungsfindung – Theorie und Praxis freier Schulen« im Gepäck. Im Zuge unserer Erfahrungen an staatlichen und freien Schulen kam die Idee auf, diese Perspektiven mit in die Gründung und Organisation einer Schule zu nehmen. Der Wunsch war, Menschen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen und Erfahrungen für unser Projekt gewinnen zu können und gemeinsam einen Lern- und Lebensort zu planen und zu gestalten, der nicht nur für das »Standard-Alternativschul-Publikum« geschaffen ist, sondern auch Menschen ganz unterschiedlicher Hintergründe erreicht. Gerade, da wir die Schule in einem Stadtteil eröffnen, in welchem Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensrealitäten wohnen.

Und tatsächlich haben wir sowohl wundervolle Menschen gefunden, die in das Gründungskollektiv eingestiegen sind und ab der Eröffnung diesen Sommer als Lernbegleiter*innen arbeiten, als auch Unterstützer*innen welche das Projekt aus Begeisterung und Überzeugung supporten.

Wie unterscheidet sich das Konzept der FLeKS von der Praxis staatlicher Schulen und warum?

Die FleKS soll ein Lern- und Lebensort sein, der von allen Mitgliedern der Schule gemeinsam organisiert wird. Alle Beschlüsse des Schulalltags werden in einer Schulversammlung getroffen, welche ein bis zwei mal die Woche tagt.

Entgegen der Praxis anderer demokratischer Schulen treffen wir Entscheidungen hier nicht nach dem Mehrheitsprinzip, sondern nach dem Konsenprinzip mit Hilfe der soziokratischen Entscheidungsfindung. Die Schüler*innen und Lernbegleiter*innen entscheiden somit unter Einbezug aller gemeinsam über Regeln, die Gestaltung und Nutzung der Räumlichkeiten, die Verwendung eines Teils des Schulbudgets, den Inhalt und die Art von Kursen und Projekten, Ausflüge und Reisen oder die Organisationsstruktur. Wichtig ist neben der Schulversammlung noch der Mediationskreis als Ort der Konfliktbearbeitung. Hier können die Mitglieder der Schule begleitet durch andere Mitglieder der Schulgemeinschaft ihre Konflikte angehen. Welche weiteren Gremien oder Arbeitsgruppen zur Organisation der Schule wir brauchen, werden wir dann sehen, wenn es im Sommer los geht.

Und die Zeit die wir nicht mit der Organisation der Schule und Klärung unserer Gruppenprozesse verbringen, verbringen wir mit anderen Dingen die uns (auch) Spaß machen und die wir (auch noch) lernen wollen. Und wie wir das machen, sieht dann auch wieder ganz anders als in der staatlichen Schule aus: Wir schauen, an welchen Inhalten und welcher Form von Auseinandersetzung Interesse besteht und planen dann gemeinsam mit allen Interessierten die Umsetzung: Somit kann es Menschen geben, die sich eine Zeit lang zweimal die Woche treffen um Orte im Stadtteil zu erkunden, andere können sich eine Woche zusammenschließen, um alles über Delfine zu lernen. Andere wiederum wünschen sich einmal die Woche einen Vortrag über die Mathe-Inhalte, welche sie brauchen um den Ersten Schulabschluss (ehemals Hauptschulabschluss) bestehen zu können, während andere sich weniger regelmäßigen Verabredungen anschließen und jeden Tag aufs neue schauen, worauf sie Lust haben. Und wir als Lernbegleiter*innen begleiten und unterstützen die Schüler*innen bei Bedarf, ihre Ideen umzusetzen, sich mit ihren Konflikten mit sich selbst und der Schulgemeinschaft auseinander zusetzen.

Neben der gemeinsamen Organisation der Schule und dem selbstbestimmten Lernen und Leben ist für uns die Schaffung eines achtsamen und möglichst diskriminierungs- und gewaltfreien Miteinanders zentral. Wir wollen mitdenken, dass strukturelle Barrieren und gesellschaftlich konstruierte Rollenbilder und Zuschreibungen ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben und Lernen erschweren. Wir wollen einen Raum schaffen, in dem wir uns dies gemeinsam bewusst machen können und junge Menschen Kraft und Vertrauen in sich und für die individuell bedeutsamen Träume entwickeln können.

Wie seid ihr bei der Gründung vorgegangen?

Auf schulorganisatorischer Ebene haben wir uns bemüht viele Erfahrungen anderer Schulen in unseren Gründungsprozess einzubeziehen. Dabei konnten wir sowohl auf Erfahrungen von der Arbeit oder von Praktika an freien Schule zurückgreifen, als auch durch die direkte Unterstützung von anderen Schulen und Einzelpersonen aus den Netzwerken der Schulverbände EUDEC und BFAS.

Zentral für unseren Gründungsprozess war die Zusammenstellung des Gründungs/Lernbegleiter*innen-Teams. So war eine Diversität innerhalb des Teams Voraussetzung für uns als Initiator*innen. Uns war klar, dass, wenn wir einen Lernraum für Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Lebensrealitäten und Positionen in der Gesellschaft schaffen wollen, in dem sich diese in Begleitung durch sensible Lernbegleiter*innen mit ihren Privilegien und_oder Diskriminierungserfahrungen auseinandersetzen können, der Raum auch von Menschen gegründet werden muss, die ebenfalls unterschiedliche Positionen und Erfahrungen erleben. Somit haben Julia und ich (als weiße, deutsche) zu Beginn des Gründungsprozesses beispielsweise festgelegt, dass die dritte und vierte Person denen wir für das Lernbegleiter*innen-Team zusagen, eine People of Colour oder Schwarze Person sein muss. Aus der sich daraus ergebenen Diversität im Team ergibt sich für uns die spannende Herausforderung, beständig Raum für kritisch-konstruktive Auseinandersetzungen mit Privilegien in unserer Teamstruktur zu schaffen. Glücklicherweise haben wir eine Person gefunden, die uns hierin professionell begleitet.Außerdem waren es zwei Jahre intensivster Netzwerk- Orga-, Überzeugungssarbeit und Papierschlacht mit Ämtern, Behörden, Banken, Stiftungen, Vermieter*innen.

Was braucht ihr / was würde euch helfen?

Wir freuen uns natürlich, wenn Menschen von unserem Projekt weitererzählen und die Ideen unserer Schule und demokratischer Bildung Einzug in immer mehr Schule erhalten.

Und wenn Menschen Interesse haben unser Projekt durch Mitarbeit zu unterstützen und konkrete Ideen haben, können sie sich immer bei uns melden.

Ein leidiges Thema ist das Schulgeld. Da wir nicht voll durch die Behörde finanziert sind, müssen wir ein durchschnittliches Schulgeld von 160 Euro pro Schüler*in im Monat nehmen. Da wir Schüler*innen unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten ihrer Erziehungsberechtigten aufnehmen wollen, bieten wir zu Beginn 4-5 Freiplätze (auf 22 Schüler*innen) an und wollen dies stets bei einem Anteil von 20 Prozent beibehalten. Das Schulgeld bei den anderen Schulplätzen wird sich abhängig von den jeweiligen Möglichkeiten aufstellen. Damit wir möglichst viele kostenfreie/-günstige Plätze für Kinder und Jugendliche aus Familien mit wenig finanziellen Möglichkeiten anbieten können, sind wir auch auf die Spenden von Privatspender*innen angewiesen. Jede kleine Spende hilft, Informationen zu unserer Spendenkampagne gibt es auf unserer Homepage.

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