Abschiebung tötet

»Keine Abschiebung nach Afghanistan!« – »No border, no nation – Stop deportation!«- »Integrieren statt Deportieren!« »1,2,3,4 – alle Menschen bleiben hier!« – so schallte es am 26. März rund um das Abschiebegefängnis im bayerischen Mühldorf. Über 400 Teilnehmer*innen hatten sich dorthin begeben, um eine Menschenkette um die stacheldrahtbewehrte Betonmauer zu bilden und sich so symbolisch vor die Schutzsuchenden zu stellen.

Emilio Alfred Weinberg, attac

Aufgerufen zu der Aktion hatte die "Bayerische Ärzteinitiative für Flüchtlingsrechte". Unterstützt wurden sie von »Pro Asyl«, dem bayerischen Flüchtlingsrat und vielen Ehrenamtlichen aus regionalen Helferkreisen und Flüchtlingsinitiativen. In München hatte im Vorfeld ein Aktionstraining stattgefunden.

Im Anschluss an die Menschenkette blieben fünfzehn Aktivist*innen über Nacht bis in den Montag hinein vor Ort, um die geplante Abschiebung nach Kabul zu blockieren. Ihre Mahnwache konnte jedoch die Deportation nicht verhindern. Die Unterstützer*innen mussten miterleben, wie zwei Abschiebehäftlinge von Sanitätern ins Krankenhaus gebracht wurden, nachdem sie sich selbst verletzt hatten. Am nächsten Tag wurden sie zunächst in die Psychiatrie in Gabersee gebracht und anschließend zum Flugzeug nach Kabul.

Die Ärzteorganisation »Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.« (IPPNW) bemängelt Verstöße gegen den hippokratischen Eid. »Geflüchtete werden für die Abschiebung nach Afghanistan für flugtauglich erklärt, obwohl sie es nicht sind«, kritisiert der Arzt Tom Nowotny, der sich im IPPNW-Arbeitskreis Flucht und Asyl engagiert. Unfassbar sei auch die kalte Brutalität und kriminelle Energie, mit der die Behörden vorgehen würden. Wie der Bayerische Flüchtlingsrat mitteilt, war einer der erwähnten Abschiebehäftlinge zuvor auf Betreiben seiner Anwältin aus Mühldorf entlassen worden; das Amtsgericht Augsburg sah keine Hinweise auf Fluchtgefahr. Die Zentrale Ausländerbehörde bestellte den Mann ein, ließ ihn dort mit einem neuen Haftbefehl des Amtsgerichts Memmingen wieder festnehmen und erneut in der JVA einsperren. Die Anwältin hat Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung gestellt.

Ein wenig Hoffnung macht es, dass der Staat trotz dieser Maßnahmen sein selbstgestecktes Ziel immer wieder verfehlt: 50 Deportierte pro Flug waren vorgesehen, aber nie erreicht. Und bei den ersten vier Flügen nahm die Zahl der unfreiwilligen Passagiere kontinuierlich ab: 35 im Dezember, 24 im Januar, 18 im Februar und 15 jetzt im März. Doch die Kollateralschäden sind beträchtlich.

Eine Art Suizidprogramm

Der langjährig erfahrene Rechtsanwalt Gunter Christ erklärt zu den Folgen der Abschiebungen nach Afghanistan: "Ich denke, dass die Suizidgefahr dramatisch zugenommen hat. Es gibt immer mehr, die in Kliniken eingewiesen werden. Insofern ist es eine Art Suizidprogramm."

Leider vollenden auch immer mehr Afghanen die Flucht in den Tod. Einen Tag vor der Mahnwache beging ein junger Mann aus Kandahar Selbstmord. Der 20-jährige warf sich in München vor einen ICE, nachdem er auf der Post die Ablehnung seines Asylantrags in Empfang genommen hatte.

Der Flüchtlingshelfer Pfarrer Klaus Peter Metzger ließ vor dem Abschiebegefängnis Mühldorf seine Stellungnahme verlesen, in der es heißt: »Geflüchtete Menschen aus Afghanistan werden im Blick auf die bevorstehenden Wahlen zu einem Menschenopfer der Politik gemacht, um an den rechten Rändern der Gesellschaft Wähler einzufangen.«

Irrweg korrigieren

Die IPPNW verlangt einen sofortigen Abschiebestop nach Afghanistan. Das Auswärtige Amt müsse endlich einen neuen realitätsnahen Bericht zur Sicherheitslage in Afghanistan herausgeben. Denn laut aktueller UNHCR-Stellungnahme gibt es dort keine sicheren Regionen.

»Menschen gewaltsam in den Krieg, in den Tod, ins Elend, in Unsicherheit zu schicken, verletzt das Lebensrecht. Dieses ist nicht nur durch das Grundgesetz geschützt, sondern ist das elementarste Menschenrecht, das für alle Menschen gilt, auch für Straftäter. Wir als Ärzte haben die Pflicht, uns schützend vor das menschliche Leben zu stellen und es zu bewahren. Wer die Ehrfurcht vor dem Leben ernst nimmt, der muss sich den Abschiebungen nach Afghanistan widersetzen«, erklärt Ernst-Ludwig Iskenius vom IPPNW-Arbeitskreis Flucht und Asyl. Der Arbeitskreis appelliert an die Bürgerinnen und Bürger, weiter Druck auf ihre Landesregierungen und die Bundesregierung auszuüben, diesen politischen und menschlichen Irrweg zu korrigieren.

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