Auf und Ab einer Genossenschaftsgründung

Gerhard Richter, Redaktion Genossenschaften

Auf dem Hof von Petra Mannfeld grast eine Rinderherde. Ein idyllisches Bild in der flachen Mecklenburger Landschaft. Die Kühe leben mit den Kälbern zusammen, ein Bulle passt auf. Die Tiere grasen im Sommer unter freiem Himmel auf den Weiden, im Winter stehen sie im Stall, können aber nach Belieben nach draußen. Den Stalldung bringt Petra Mannfeld auf ihre Äcker und Wiesen. So sieht artgerechte Haltung aus und so kann Landwirtschaft im ökologischen Kreislauf funktionieren.

EG-Gründung Anfang 2015

Am liebsten verkauft Petra Mannfeld ihr Fleisch über die Genossenschaft Kramer & Kutscher eG. Wenn ein Tier geschlachtet wird, sagt sie dort Bescheid. Die Verantwortlichen schicken eine Mail an die Kunden der eG und die bestellen, was sie brauchen: gutes Fleisch für gutes Geld. Die Erzeugungs- und Verbrauchsgemeinschaft hilft den Erzeugern in den Dörfern ringsum, ihr Fleisch, Gemüse, Käse, Milch und Honig dort zu verkaufen, wo es wächst und geerntet wird. Sie bringt Erzeuger und Verbraucher zusammen. Eine Idee, die alle toll finden. Alle, die im Februar 2015 gemeinsam die Kramer & Kutscher eG Erzeugungs- und Verbrauchsgemeinschaft gegründet haben. Die eG hat mittlerweile 39 Mitglieder. Die Einlage beträgt mindestens 200 Euro.

Zu Beginn betreiben vier fest angestellte Mitarbeiterinnen einen Höfeladen, ein Café und einen Lieferdienst. Jeden Freitag bekommen ca. 25 Kunden ökologisch angebautes Obst und Gemüse nach Hause geliefert, dazu noch andere Bioprodukte aus dem Sortiment des Ladens. Die Kunden bestellen im Online-Shop. Eine Liefertour ist 300 Kilometer lang. Angefahren werden Dörfer im Umkreis von 50 Kilometern. Suckow ist der Sitz der Genossenschaft am südlichen Rand Mecklenburg-Vorpommerns. Ein Dorf auf dem platten Land zwischen von Abwanderung geplagten Kleinstädten. Die mobilen, gebildeten Leute ziehen weg. Eine handvoll Stadtflüchter aus Berlin und Hamburg bilden eine Kulturenklave.

Zur Vorgeschichte

In Drenkow, einem Nachbarort Suckows betreibt Katinka Hartmann im Jahr 2014 das Café 7, einen Hofladen neben dem SiebenGiebelHof. Auf dem Demeterhof hält die Jungbäuerin Ve Spindler Kühe. Hartmann verkauft deren Produkte, Ruhner-Bergkäse, Rohmilch und Quark, die nebenan liebevoll hergestellt werden. Dazu selbstgebackenes Brot, Kuchen und Kaffee. Ein Treffpunkt für die ökologisch-aktive Szene auf dem Dorf. Hier werden Geschichten getauscht und Träume gesponnen. Die Idee eines Lieferservice ist nicht totzukriegen.

Im Frühjahr 2014 startet Hartmann eine Umfrage unter ihren Kunden. Direkt im Café und online. Es kristallisiert sich heraus, dass tatsächlich ein Bedarf an mehr regionalen Lebensmitteln besteht. Die Idee wird immer konkreter und ist von Anfang an verbunden mit dem Wunsch, solidarisch mit den Landwirten zu wirtschaften. Eine kleine Gruppe diskutiert verschiedene Modelle. Möglich wäre eine Kooperative nach dem Muster der Solidarischen Landwirtschaft: Die Verbraucher bezahlen ihre Waren im Voraus, mit dem Geld können die Landwirte ein Jahr lang sicher und verlässlich wirtschaften. Dieses Konzept – glauben die Aktivisten – funktioniert eher in Ballungsräumen, weniger im ländlichen Raum.

Kostendeckend arbeiten

Irgendwie wollen die Kunden – auch das ein Ergebnis der Befragung – vor allem eine Dienstleistung. Sie wollen und können gar nicht soviel selber machen. So kommt die Genossenschaft ins Gespräch. Hier gibt es eine definierte Gemeinschaft. Mitgestaltung und Mitsprache sind möglich. Und die ganze Unternehmung muss »nur« kostendeckend arbeiten, nicht gewinnbringend.

Zeitgleich zu den Überlegungen der Ökoaktivisten im Café 7 schreibt das Land Mecklenburg-Vorpommern 2014 einen Ideen-Wettbewerb aus. Gesucht werden Konzepte zur Sicherung der Nahversorgung in zentrenfernen ländlichen Räumen: Mobile Nahversorgung. Katinka Hartmann formuliert die Ideen zu einem Konzept und reicht es ein – und sie gewinnt eine Prämie von 73.000 Euro. Fünf Leute können ihre Idee realisieren. Eine Biobäuerin, drei Kunden und Hartmann vom Cafe 7. Zuerst brauchen sie einen Ort, einen Raum, einen Sitz.

Ein Dorf weiter – in Suckow – steht der alte Pfarrhof leer. Ein wunderschönes aber unsaniertes Fachwerkgebäude, mit einem großen Obstgarten davor und dahinter. Der Pfarrer mag die Idee, stellt einen Flügel des Gebäudes kostenfrei zur Verfügung, mit der Auflage, die Räume auf eigene Kosten zu renovieren. Grundlage aller Planung sind fundierte Informationen. Mit dem Geld wird Beratung eingekauft. z.B. von Frank Viohl. Er ist ein befreundeter Akteur aus der solidarischen Landwirtschaft und selbst gerade dabei, die »Ökonauten« zu gründen. Die kaufen Äcker und Wiesen, um sie Bauern zum ökologischen Wirtschaften zu geben.

Mit viel Eigeninitiative bringen die Mitglieder den Pfarrhof in Schuss. Mit dem Fördergeld lassen sie ein Logo entwickeln, kaufen ein Warenwirtschaftssystem mit Software-Erweiterungen für Kasse, Packlogistik und Lieferstrecke. Eine Webseite und der Online-Shop entstehen. Die Förderung erlaubt auch die Anschaffung gebrauchter Möbel. Regale für den Laden, Herd, Spülmaschine, Kaffeemaschine, Kühlschränke und -truhen stammen aus Spenden oder vom Gebrauchtmarkt. Genau wie Computer und Drucker und Telefon fürs Büro oder Tische und Stühle fürs Café. Zuletzt kauft die Kramer & Kutscher eG einen Kühltransporter.

Rechtsform gesucht

Die Fragen sind jetzt konkreter: Soll ein Verein gegründet werden? Oder startet Katinka Hartmann als Einzelunternehmerin, so wie es die IHK vorschlägt. Aber für die studierte Bau- und Kulturmanagerin alleine ist das Vorhaben zu groß. Sie will das Projekt nur gemeinschaftlich umsetzen, zusammen mit Gleichgesinnten. Die IHK warnt aber vor der Gründung einer Genossenschaft, die Schwierigkeiten seien vorhersehbar. Allerdings hatte die IHK nicht unbedingt eine große Kompetenz, was diese Rechtsform angeht.

Aber irgendeine Form brauchte es, um die gemeinsame Vision zu erreichen: Landwirte und Kunden zu verbinden. Ein langes Hin und Her. Die Vorteile einer Genossenschaft liegen u.a. in der Finanzierungsform, weil die Mitglieder mit ihren Anteilen Eigenkapital bilden. Die Anteile sollten aber auch niedrig sein, damit alle mitmachen können. Außerdem ermöglicht die Genossenschaft ein Zwei-Preis-System, bei dem die Mitglieder günstig an Lebensmittel kommen können. Die komplexe Gremienarbeit mit Aufsichtsrat und Vorstand wirkt eher abschreckend.

Erforderliche Entscheidungen

Mittlerweile war es 2015 und das Geld musste ausgegeben werden. Und irgendwann war klar: »Wir machen das jetzt einfach.« Im nächsten Schritt suchte die angehende Genossenschaft einen Prüfverband. Nachdem einige Kandidaten durchgefallen waren, entschieden sich die Akteure für den Prüfungsverband der Sozial- und Wirtschaftsgenossenschaften (PSWG) e.V. Der will »ein grundsätzliches Andersdenken in der Gemeinschaft indizieren.« Das passt zur geplanten Genossenschaft. Mit Hilfe der PSWG hat die junge Genossenschaft ihre Satzung entworfen, und zwar kurz, knapp und überschaubar. Anstatt eines dschungelartigen Regelwerkes steht eine Präambel als Leitbild des künftigen Wirkens. Eine klare Antwort auf die Frage: Was machen wir da eigentlich?

Abgesehen von der Versorgung mit guten und günstigen Lebensmitteln will die Genossenschaft ein soziales Unternehmertum pflegen: »Faires Handeln in wirtschaftlicher, sozialer und menschlicher Hinsicht. Respekt und Achtsamkeit bestimmen den Umgang miteinander und mit unserer Umwelt. Freude im Umgang mit Mensch und Natur sind ein wichtiger Teil ihres Handelns. Ein weiteres Ziel ist die nachhaltige Schaffung von Arbeitsplätzen.«

Plötzlich Verantwortung

Die Besetzung der Gremien war anfangs kein Problem. Drei Gründungsmitglieder lassen sich in den Aufsichtsrat und zwei in den Vorstand wählen. Niemand weiß genau, was auf ihn oder sie zukommt. Und auch später ist einigen nicht ganz klar, worin eigentlich genau ihre Aufgabe besteht. Der Name der Genossenschaft wird beschlossen: Kramer & Kutscher eG.

Aber woher sollte das Geld für Personal kommen, der Umsatz würde das im ersten Jahr nicht hergeben. Katinka Hartmann reicht eine Projektskizze beim Schweriner Sozialministerium ein. Tatsächlich fließen aus der Strukurentwicklungsmaßnahme des Europäischen Sozialfonds 51.000 Euro ESF-Geld in die Genossenschaft. Eine 70-prozentige Förderung von vier Personalstellen, von März 2016 bis März 2017. Das Abenteuer Genossenschaft lernt laufen – auf drei Beinen gleichzeitig: Höfeladen, Café und Lieferdienst. Monatelang geht es bergauf, das Sortiment wird größer, die Zahl der Mitglieder steigt.

Kramer & Kutscher vereint viele verstreut lebende Menschen. Nicht alle kennen sich. Das Café bietet einmal im Monat unter den Obstbäumen im Pfarrgarten einen Sonntagsbrunch. Ein perfektes Landidyll. Aber der Umsatz hinkt der Prognose hinterher. Weil die Kirche keine Umnutzung des Pfarrhofes beantragt hat, darf das Ordnungsamt kein Hinweisschild zum Café genehmigen. Die Sommerurlauber, die von der nahen A24 abbiegen, fahren am Café vorbei. Kleiner Fehler, große Wirkung.

Im Juli 2016 musste eine Kollegin entlassen werden, weil sich das Café, das sie am Wochenende betreute, als unrentabel erwies. Die Öffnungszeiten des Cafés wurden auf Freitagnachmittag reduziert. Sehr schade, denn die Genossenschaft könnte ein Treffpunkt sein für die lokale Szene. Jetzt sind der Einkauf im Höfeladen und der Plausch im Café nur noch freitagnachmittags möglich.

Ernüchterung im Alltag

Eine Kündigung tut weh und die Geschäftsführung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, »ruppig« agiert zu haben, im Widerspruch zum Leitbild. Aber anderthalb Jahre nach der euphorischen Gründung und der abenteuerlichen Aufbauzeit kehrt Ernüchterung ein. Eine Genossenschaft agiert nicht auf einer Wolke aus Idealismus, sondern im real existierenden Wirtschaftsraum.

Die ehrenamtliche Gremienarbeit hinkt immer wieder und reißt Löcher in die Planung. Die Umsätze – obwohl sie kontinuierlich steigen – reichen perspektivisch nicht aus, um die vier Personalstellen zu sichern. Falls die Förderung nicht verlängert wird, gibt es ernsthafte Probleme. Die Genossenschaft hat in ihrer jetzigen Besetzung monatlich 12.000 Euro Kosten, die sie selber decken muss. Alternativen sind: Stellen kürzen und ehrenamtlich weiterarbeiten. Oder neue Fördermittel finden.

Vor zwei Wochen ist ein Vorstand zurückgetreten, gerade mal zwei Wochen, nachdem er sein Amt angetreten hat. Er könne seine Aufgabe nicht ausfüllen, war seine Begründung. Dabei kennt er sich mit Zahlen aus, kann analytisch und wirtschaftlich denken. Er wusste nicht genau, worauf er sich einließ, vor allem angesichts der immensen Verantwortung, die er plötzlich zu tragen hatte. Ein paar Tage später tritt eine Aufsichtsrätin zurück, ihre Begründung war ähnlich. Wieder dreht sich das Gremienkarussell.

Die letzte Generalversammlung dauert acht Stunden. Der Beamer wirft beunruhigende Zahlen auf die Wand des Cafés. Ganz neue Fragen werden diskutiert. Was geschieht im Fall einer Insolvenz? Wer haftet? Die großen Summen, die anfangs Mut machten und Euphorie auslösten, machen plötzlich Angst. Welche Macht haben Zahlen? Welche Kraft haben Stimmungen? Eine Vision steht auf dem Spiel. Die Lager sind geteilt: Gas geben oder Reißleine ziehen? Anpacken oder abhauen?

»Gas geben« oder schließen

Ebenfalls in Frage steht das gewählte Rechtskonstrukt der Genossenschaft, das vielleicht doch nicht ideal war. Es hat sich gezeigt, dass die Bereitschaft zur Mitarbeit begrenzt ist, dass das gemeinschaftliche Umsetzen hapert, dass sehr wohl viele bereit sind, Anteile zu zeichnen und ihre Meinung in der Generalversammlung zu äußern. Was aber teilweise fehlt, ist die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und tatkräftig mitzuhelfen.

Auf dem Hof von Petra Mannfeld grast immer noch die Kuhherde. Wenn sich die Tiere bedroht fühlen, rücken sie näher zusammen.

Weitere Informationen: www.kramerundkutscher.de

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