Mur findet Stadt

Das Vorhaben, in den Grazer Mur-Auen zwei Staustufen zu bauen, wurde 2009 erst kurz vor Baubeginn bekannt. Das war für viele Anrainer, die bis dahin noch nicht einmal von den Plänen gehört hatten, ein Schock. Die Auswirkungen sowohl für die Stadt als auch für die Umwelt wären gravierend: 8.000 Bäume müssten gefällt werden, anstatt des Fließwassers gäbe es künftig einen Stausee, keine guten Aussichten für die ohnehin feinstaubgeplagte Stadt. Dazu käme der Verlust von naturnahem Freizeitraum und Lebensraum für viele Tiere.

BRIGITTE KRATZWALD, REDAKTION GRAZ

Man begann nach geeigneten Möglichkeiten zu suchen, um den Bauder Staustufen zu verhindern. Zu den ersten Aktionen gehörten eine Mahnwache in den Mur-Auen und eine große Sternwanderung in Kooperation mit anderen Naturschutzorganisationen. Surfer und Kajakfahrer unterstützten eine Protestpaddel-Aktion auf der Mur. Infostände in und außerhalb der Stadt, Flyer-Aktionen und Benefizkonzerte prägen bis heute den Alltag der Plattform "Rettet die Mur". Ihr gehört eine Vielzahl an Vereinen und Initiativen an, vom Alpenverein bis zum Fischereiverband, von Attac bis zum Umweltdachverband oder dem WWF.

Auch nachdem südlich von Graz zwei Staustufen realisiert worden waren, ging der Kampf und den Erhalt der Mur als fließendes Gewässer im Stadtgebiet von Graz weiter. Außerdem wurden rechtliche Schritte gegen die Kraftwerke eingeleitet. Ungereimtheiten beim Einreichen der Umweltverträglichkeitsprüfung wurden aufgezeigt, doch leider versickerten diese Beschwerden meist im Sand oder es wurden Verbots tatbestände mit behördlicher Genehmigung angeblich im "übergeordneten öffentlichen Interesse" umgangen. Seither häufen sich die ExpertInnenstimmen, die die negativen Auswirkungen der Staustufe Graz bestätigen; für die Feinstaubbelastung ebenso wie für das Grundwasser im Süden der Stadt. Zudem wurde inzwischen die Unwirtschaftlichkeit der Staustufen festgestellt, weshalb einer der Bauwerber, die Verbund AG, bereits ausgestiegen ist.

Der Plattform liegen rechtliche Stellungnahmen vor, die besagen, wegen der nachgewiesenen Unwirtschaftlichkeit habe der Aufsichtsrat des zweiten Bauwerbers, der EnergieSteiermark (EStAG) aus juristischer Sicht die Pflicht, den Vorstand daran zu hindern, dieses Projekt weiter zuverfolgen- ansonsten drohten Strafverfahren gegen Aufsichtsräte und Vorstand. Der Bürgermeister der Stadt jedoch macht weiterhin massiven Druck für den Bau derStaustufen und der Gemeinderat hat quasi als Anreiz für die Investoren eine Kredithaftung für den Bau beschlossen. Kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe hat der Aufsichtsrat sich für den Bau ausgesprochen, wenn sich ein weiterer Investor findet. Die AktivistInnen von Rettet die Mur sind auch für diesen Fall gerüstet: Sie haben mehr als 10.000 Unterschriften gesammelt, um eine Volksbefragung durchzusetzen. "Am Tag der Investitionsentscheidung werden wir sie einreichen und die Verantwortung damit den GrazerInnen übergeben",sagt Clemens Könczöl, Sprecher der Plattform. Man hoffe nun, dass sich aufgrund der negativen Gutachten kein Unternehmen findet, dass das Risiko übernehmen will und appelliert an die Projektverantwortlichen, das Ergebnis der Volksbefragung abzuwarten und bis dahin keinen Gebrauch von der Bewilligung zur Fällung von Bäumen entlang der Mur zu machen. Während der Kampf also in die Verlängerung geht, wurde eine Alternative zum Kraftwerksbau bereits aus der Taufe gehoben.

Der Verein "Mur findet Stadt" präsentierte vor kurzem ein Projekt,dass Naturraum und Freizeitraum am Fluss vereint und der frei fließenden Mur sogar Platz zurück gibt. Die Plattform Rettet die Mur war an der Ausarbeitung aktiv beteiligt und unterstützt auch die Umsetzung. "Weil die EStAGnie bereit war, über das Projekt mit den BürgerInnen zu diskutieren, blieb uns nichts anderes übrig, als dagegen zu sein. Für uns ist es aber auch wichtig, Alternativen aufzuzeigen," so Könczöl. Alternativen hat die Plattform schon früher aufgezeigt. Zum Beispiel, dass es mit weniger Kostenaufwand möglich wäre, in der Stadt mehr Energie einzusparen, als die Staustufen erzeugen würden -das sogenannte "Einsparkraftwerk"als Alternative zur Naturzerstörung. Nun wollen die AktivistInnen "das Potenzial zeigen, das in diesem Fluss liegt und das Ganze auch partizipativ gestalten und öffentlich zur Diskussion stellen". Damit wolle man auch das Argument von Bürgermeister und EStAG entkräften, dass die Staustufe notwendig sei, um Erholungsräumezu schaffen. Nicht künstliche Natur soll geschaffen werden, sondern Wildnis erhalten.

Im ersten Schritt ging es darum,die Bedürfnisse der Stadt zu erheben. Schließlich wurden drei Ziele formuliert: Für die schnell wachsende Stadt sei es erstens wichtig, mehr Naherholungs-und Freizeiträume zu schaffen. Wegen der großen Feinstaubbelastung brauche es zweitens mehr Natur in der Stadt. Schließlich wolle man dem Fluss Platz zurückgeben, auch als Hochwasserschutz. "Wir haben entdeckt, dass die Mur das Potenzial hat, alle drei Ziele zu erreichen. Wir haben dann geschaut, was andere Städte mit ihren Flüssen machen,und daraus unsere Ideen entwickelt,die jetzt zur Diskussion stehen." Das Vorhaben habe viel Unterstützung von Naturschutzorganisationen und PlanungsexpertInnen gefunden; und so konnte ein professionell aufgezogener Beteiligungsprozess starten.

"Mit diesem Projekt wollen wir den Menschen die Mur wieder zurückzugeben. Hier bietet sich für uns alle eine Jahrhundertchance, etwas Großartiges zu schaffen, so wie es Generationen vor uns mit dem Stadtpark gelungen ist!" An Ideen mangelt es also nicht - wie die Politik darauf reagiert ist noch offen. Links:

rettetdiemur.at

murfindetstadt.at

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