40 JAHRE KOLLEKTIV KÖLNER STADTREVUE

Eine Stadtzeitung, wie sie nicht überall anzutreffen ist: szenenah, aber unabhängig; offen, aber parteilich; gründlich recherchiert, aber kurzweilig; selbstorganisiert und zuverlässig: die Kölner StadtRevue ist eine von kritisch denkenden Einwohner*innen geschätzte Alternative im Kölner Presse(un-)wesen.

FELIX KLOPOTEK, KÖLN

Ein bisschen seien wir ja alle selbstständige Unternehmer, meinte kürzlich eine Kollegin, als wir wieder eine Versammlung der 23 Kollektivist*innen vorbereiteten. Das ist ein Satz, der – wie sagt man im Rheinland? – »an und für sich« allen Kolleg*innen das Blut in den Adern gefrieren ließe: Die StadtRevue ist ein Kollektiv, der Verlag im Besitz der Mitarbeiter*innen, verwurzelt seit vierzig Jahren in der Kölner Alternativszene. Wie können wir nur von uns als »selbstständige Unternehmer« reden?

Das hat aber einen rationalen Kern: Wir machen tatsächlich alles selbst (bis auf den Druck), es gibt keine Herausgeber*in, keine Chefredakteur*in, keine Investoren, niemand, der Rendite sehen will, niemand, der eine Generallinie verfolgt, niemand der Karriere machen will. Oder es auch nur könnte: Denn wir zahlen uns immer noch einen Einheitslohn aus. Was das Angestelltendasein als »verhaltensstabilisierende Regeln und Maßnahmen« kennt, fällt bei uns weg.

Wo keine Hierarchien Halt geben, ist jede/r aufgefordert »unternehmerisch« zu handeln. Mehr Verantwortung bedeutet für uns mehr Freiheit. Mittlerweile schreiben wir auch die meisten Texte selbst. Ja, das klingt lustig, weil man das doch von Journalist*innen erwartet, dass sie schreiben.

Aber wer sagt denn, dass bei uns die Redakteur*innen Journalist*innen sein müssen? Das war nämlich überhaupt nicht ihre Rolle. Man muss sich die frühe StadtRevue wie ein geheimnisvolles Aggregat vorstellen: Vorne kommt Input rein, hinten soll Politik rauskommen (und auch ein bisschen Kultur). Input – das sind Flugblätter der Initiativen, Protokolle aus Vollversammlungen in besetzten Häusern, Bekennerschreiben und Szenetalk.

Außerdem die Großtheorien der Linken, Essays von EP Thompson, Hans-Peter Duerr, Günther Anders oder André Gorz. Die Redakteur*innen müssen daraus einen Stoff verfertigen, der – als Output – den politischen Kampf befeuern soll. Was das genau heißt und wie das geht: Stoff verfertigen – das war heiß umstritten, Gegenstand etlicher, auch existenzieller interner Konflikte und Anlass für narzisstische Kränkungen auf Seiten der Aktivist*innen.

Redaktionssitzungen fanden einst dienstags um 18 Uhr statt – nach Büroschluss, prinzipiell offen für alle Mitarbeiter*innen und auch Vertreter*innen von Bürgerinitiativen. Es wurde Bier getrunken und geraucht. Nur eine Sache war klar: Ein Sammelsurium von Szenebefindlichkeiten wollte die

StadtRevue nie sein, mit dem »Volksblatt« existierte bereits ein Medium, das sich als authentisches Sprachrohr der Initiativen verstand. Aber was waren wir dann? Ein Instrument, um Gegenöffentlichkeit zu schaffen, um von ihr aus Druck auf das so zähe wie korrupte Kölner Establishment auszuüben?

Das wünschten sich viele: die StadtRevue als medialer Arm der sich damals noch als Anti-Partei begreifenden Grünen. Oder ein Teil der linken Szene – Gleiche unter Gleichen: nicht über den Aktivist*innen stehen und erst recht nicht mit coolen Durchblickerposen nerven, aber auch nicht die Erfüllungsgehilfin geben? Letztlich setzte sich in den 80ern diese Position durch. Und dann? Dann fiel die Mauer, galt »links« als unzeitgemäß, fand kein Häuserkampf mehr in Köln statt, erwies sich der Klüngel als so zäh und korrupt wie eh und je, war aus der Anti-Partei eine System-Partei geworden, wollte Köln zur modernen, schicken Medienmetropole aufsteigen ... und die StadtRevue war immer noch ein Kollektiv.

Im Inneren rumorte es: Weil die Szene, die von uns offensiv und selbstbewusst eine (ihre) Zeitung einforderte, immer kleiner wurde, auch älter und zunehmend um den eigenen Lebensunterhalt besorgt, weil die Zeitung sich also nicht von selbst füllte, stiegen die Ansprüche an die Redaktion und die Autor*innen: Die sollten nun leisten, was kein Automatismus mehr war: Themen setzen, recherchieren, definieren, was an Köln anders als Karneval und Klüngel war. So gelangte eine explizit sich als Journalist*innen verstehende Generation ans Ruder.

Ihr Anspruch in den 90ern war: Gegenöffentlichkeit (man legte sich, völlig zu Recht übrigens, mit dem selbstherrlichen Patriarchen und »Zeitungszar« Alfred Neven Dumont an), aber nicht als Ausdruck einer Partei oder Bewegung, sondern als Ausweis unserer Unabhängigkeit. Der Anspruch ist bis heute geblieben. Es hat in unserer Geschichte viel Abwegiges und Umständliches gegeben, unsere Kräche und Dramen haben wir der Leserschaft, nicht selten in seitenlangen Positionspapieren offenherzig mitgeteilt.

Wir sitzen heute über diesen Texten und studieren sie wie altägyptische Hieroglyphen. In Protokollen finden wir ganze Selbstfindungswochenenden dokumentiert, einer von uns kennt noch einen Ex-Kollegen, der da vor zwanzig Jahren mitgemacht hat, fassungslos habe der auf den allabendlichen Partys auf die Tanzfläche gestarrt, wo die alten StadtRevue-Recken in Socken »abhotteten«.

Aber all dieser Narretei, dieser so liebevollen wie unendlichen Anstrengung, diesem heiligen Ernst – Himmel, wir sind eine Monatszeitung, kein Zentralkomitee! – sind wir zutiefst dankbar. Weil sie die Unabhängigkeit der Zeitung und den Eigensinn des Verlags geprägt haben. Nur so konnten wir die Medienkrise der Nuller Jahre, die längst noch nicht ausgestanden ist, überstehen. Wir haben noch Lust auf ein paar Jahre oder Jahrzehnte, und die guten Ideen sind uns nie ausgegangen. Charles Fourier, ein früher Sozialist und der lustigste aller Utopisten, entwickelte vor 200 Jahren das Projekt, die Ozeane mit Limonade aufzufüllen. So verrückt sind wir nicht, aber wir würden darüber berichten.

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