Warum Genossenschaft?

Die Genossenschaft als Rechtsform für Solidarische Ökonomie



Wenn solidarisches Wirtschaften von einer Idee zum realen Vorhaben wird, dann stellt sich die Frage, welche rechtliche Form dafür geeignet ist. Bei dieser Überlegung sollte die Genossenschaft auf keinen Fall außen vor bleiben, denn sie bietet gegenüber anderen Rechtsformen eine Reihe von Vorteilen für selbstverwaltete Betriebe und Projekte.

Von Elisabeth Voß, Berlin lDer Ausgangspunkt solidarwirtschaftlicher Aktivitäten sind die Menschen, ihre gemeinsame Ziele und die Ideen zu deren Umsetzung. Es ist wichtig, dem Raum zu geben, und nicht mit einer vorschnellen Rechtsform-Diskussion soziale Prozesse zu blockieren. Denn spätestens wenn Satzungsfragen auf der Tagesordnung stehen, ändert sich die Atmosphäre einer Versammlung. Plötzlich geht es nicht mehr um das, was die Beteiligten miteinander tun möchten, sondern um formale und rechtliche Fragen, und darum, was zulässig ist und was nicht. Dabei soll doch die Rechtsform dem Vorhaben der Gruppe dienen, und nicht umgekehrt die Gruppe ihre schönen Träume den rechtlichen Erfordernissen unterordnen.

Es braucht Zeit, sich über sich selbst klar zu werden: Wer sind wir? Wer beteiligt sich verbindlich, entscheidet mit und verantwortet auch das, was gemeinsam vereinbart wird? Wie wird überhaupt entschieden? Wer ernsthaft miteinander wirtschaften möchte – sei es als Arbeitskollektiv oder Hausprojekt, als Sozial- oder Kulturunternehmen – steht vor der Herausforderung, Ideen in ein tragfähiges Konzept zu gießen. Dafür sind viele Fragen zu beantworten, zum Beispiel nach Räumen und Ausstattung, nach Kooperationspartnern und einer sinnvollen Abfolge der Gründungsschritte. Zeit und Geld sind die wesentlichen Ressourcen – in gewissem Umfang austauschbar – und es ist wichtig zu besprechen, wer wie viel Zeit, Qualifikationen oder Erfahrungen einbringen kann, und wo das erforderliche Geld herkommen soll. Dabei geht es nicht nur um die Anfangsfinanzierung, sondern auch um die Frage, wie auf Dauer das gemeinsame Vorhaben wirtschaftlich funktionieren soll. Welche Einnahmen und Ausgaben sind zu erwarten? Soll Arbeit bezahlt werden, und wenn ja, nach welchen Regeln? Wie wird der Ausstieg Einzelner geregelt, und was soll passieren, wenn das Vorhaben beendet wird? Dies und vieles mehr ist zu klären und verbindlich zu vereinbaren.

Erst wenn die Gruppe und das Vorhaben »rund« sind, ist der Moment gekommen, in dem die Entscheidung über eine Rechtsform ansteht. Auch dabei ist es wichtig, sich immer wieder an die ursprünglichen Träume und Ideen zu erinnern, damit sie im Wust juristischer Fragen nicht untergehen. Im Zweifelsfall empfiehlt es sich, mehrere Meinungen einzuholen, vor allem wenn es scheint, als wäre das, was die Gruppe möchte, rechtlich nicht umsetzbar.

Rechtsformen und ihre Probleme


Grundsätzlich gibt es keine Rechtsform, die immer falsch oder immer richtig wäre – es kommt darauf an, was eine Gruppe braucht und was sie daraus macht. Manche legen einfach los und wissen vielleicht gar nicht, das sie damit automatisch zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) werden. Das ist kein Problem, so lange alles gut geht. Allerdings haften für die Schulden einer GbR alle GesellschafterInnen mit ihrem privaten Vermögen. Es kann also im schlimmsten Fall passieren, dass – wenn es ganz dumm läuft – auch das eigene Ersparte verloren geht.

Viele selbstverwaltete Projekte werden als Verein gegründet. Immerhin haftet der – nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung – nur mit dem Vereinsvermögen. Vereine sind grundsätzlich ideellen Zwecken vorbehalten, Wirtschaftsvereine sind nicht zugelassen, können nur durch staatliche Verleihung rechtsfähig werden. Dies ist für Dorfläden mittlerweile in manchen Bundesländern möglich. Jedoch wird es normalerweise Probleme bei der Eintragung ins Vereinsregister geben, wenn es um gemeinschaftliches Wirtschaften geht. Vereine haben zwar das sogenannte »Nebenzweckprivileg«, das heißt sie dürfen einen wirtschaftlichen Zweckbetrieb haben, wenn dessen Tätigkeiten zum Erreichen der ideellen Ziele nötig sind, und in begrenztem Umfang auch einen Wirtschaftsbetrieb, wenn dessen Erträge den ideellen Zwecken zugute kommen. Jedoch wird dies von den Ämtern zunehmend restriktiv ausgelegt.

Die gebräuchlichste Unternehmensform ist die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Für deren Gründung sind mindestens 25.000 Euro Eigenkapital erforderlich. Die Hälfte des Geldes muss zu Beginn eingezahlt sein, die andere Hälfte kann gezeichnet, also von den GesellschafterInnen verbindlich zugesagt werden. Seit einigen Jahren ist es auch möglich, eine Art kleine GmbH ohne Mindestkapital zu gründen, die Unternehmergesellschaft (UG) haftungsbeschränkt. Sowohl bei der GmbH als auch bei der UG haftungsbeschränkt muss der Ein- und Ausstieg von GesellschafterInnen notariell beurkundet und beim Amtsgericht eingereicht werden. Das führt leicht dazu, dass die offiziell eingetragenen GesellschafterInnen nicht mehr identisch sind mit denen, die es eigentlich sein sollen, weil der lästige Formalkram einfach liegen geblieben ist. In diesen Kapitalgesellschaften richten sich die Stimmrechte nach der Höhe der Einlage. Wenn GesellschafterInnen aussteigen, dann könnten sie auf die Idee kommen, neben ihrer Einlage auch einen Anteil an eventuelle Wertsteigerungen des Firmenvermögens, den stillen Reserven, zu beanspruchen. Das lässt sich alles anders regeln, und Binnenverträge waren schon immer ein beliebtes Instrument in der Kollektive-Welt. Aber im schlimmsten Fall, wenn die Trennung im Streit erfolgt und vor Gericht verhandelt wird, zählt dort das Recht auf Eigentum oft mehr als die schönsten solidarischen Vereinbarungen.

Die Aktiengesellschaft (AG), dieses Symbol kapitalistischen Wirtschaftens, das den einzigen Zweck hat, aus Geld mehr Geld zu machen, wird kaum eine Gruppe freiwillig wählen. Trotzdem kommt es auch in solidarökonomischen Zusammenhängen vor, dass diese Rechtsform eingesetzt wird (die Gründe dafür zu untersuchen, wäre ein eigenes Thema).

Das Schöne an Genossenschaften

All die genannten Probleme gibt es bei Genossenschaften nicht. Damit ist nicht gemeint, dass die Genossenschaft immer und in jedem Fall die geeignete Rechtsform für gemeinschaftliche wirtschaftliche Vorhaben ist. Sie hat aber viele Vorzüge, und diese besondere Schönheit der Rechtsform Genossenschaft verdient es, deutlicher sichtbar zu werden.

Genossenschaften haben laut Gesetz den Zweck, »den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern«. Sie zielen also nicht auf Geldvermehrung, sondern sollen die Bedürfnisse ihrer Mitglieder erfüllen – wohlgemerkt, auch die sozialen und kulturellen Belange der Mitglieder sind gemeint, nicht die der Allgemeinheit. Wenn jedoch Genossenschaftsmitglieder der Allgemeinheit Gutes tun möchten, ist das mittlerweile zulässig, diese Erweiterung über die wirtschaftlichen Zwecke hinaus wurde mit der Genossenschaftsrechtsänderung 2006 eingeführt.

Ein Mindestkapital ist für Genossenschaften nicht vorgeschrieben. Sie sollten jedoch eine ausreichende Kapitalausstattung haben, um ihre Zwecke erfüllen zu können – was je nach Geschäftsfeld sehr unterschiedlich ist. Die Mitglieder beteiligen sich an ihrer Genossenschaft mit einer Einlage, die nicht am Kapitalmarkt handelbar ist. Jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig von der Höhe der geleisteten Einlage. Seit 2006 können Genossenschaften auch investierende Mitglieder aufnehmen, die sich mit einer Einlage am gemeinsamen Unternehmen beteiligen, ohne selbst die Leistungen der Genossenschaft zu nutzen. Eine Verzinsung der Genossenschaftseinlagen – sowohl der nutzenden, als auch der investierenden Mitglieder – ist in bestimmten Grenzen zulässig, aber eine solche Dividende darf nur dann ausgezahlt werden, wenn die Genossenschaft Gewinne macht. Ein Teil des Gewinns muss in die gesetzliche Rücklage eingestellt werden, um eventuelle Verluste auszugleichen.

Für nutzende Mitglieder empfiehlt sich jedoch – falls Überschüsse erwirtschaftet werden – eine steuerfreie Rückvergütung, statt einer Dividende aus dem zu versteuernden Gewinn. Diese Rückvergütung bemisst sich nicht nach der Höhe der Einlage, sondern nach dem Umfang der Geschäfte, die ein Mitglied mit seiner Genossenschaft in dem Jahr getätigt hat. Es handelt sich also um eine Art nachträglicher Preiskorrektur für die Leistungen der Genossenschaft – vorausgesetzt, die Genossenschaft macht überhaupt Geschäfte mit ihren Mitgliedern, und ist nicht ausschließlich am Markt für Nichtmitglieder tätig. Während die Zahlung einer Dividende der kapitalistischen Geschäftswelt entspricht, ist die Rückvergütung ein Instrument im Sinne des Genossenschaftsgedankens, der den Mitgliedernutzen in den Mittelpunkt des Wirtschaftens stellt und nicht die Gewinnerzielung.

Investierende Mitglieder haben eingeschränkte oder gar keine Stimmrechte (ähnlich wie zum Beispiel Fördermitglieder eines Vereins) und können eine Dividende auf ihre Einlage bekommen, auch wenn die nutzenden Mitglieder eine solche nicht erhalten. Die Einführung investierender Mitglieder in das Genossenschaftsgesetz stellte eine Annäherung an gewinnorientierte Kapitalgesellschaften dar, jedoch kann diese Möglichkeit genutzt werden, um zum Beispiel größere Vorhaben unabhängig von Banken zu finanzieren, oder genügend Eigenkapital einzuwerben, um für die Bank überhaupt kreditwürdig zu werden.

Die Aufnahme neuer Mitglieder ist unbürokratisch und ohne notarielle Eintragung möglich, die Mitgliederliste führt der Vorstand. Die Haftung einer Genossenschaft ist zwar nicht automatisch auf die Einlagen beschränkt, jedoch lässt sich die sogenannte »Nachschusspflicht« in der Satzung ausschließen. Ausscheidende Mitglieder haben nur Anspruch auf Auszahlung ihrer Einlage, die Rücklage und stille Reserven verbleiben in der Genossenschaft. Inwieweit eventuelle Verluste anteilig von ausscheidenden Mitgliedern mitgetragen werden müssen, ist gestaltbar und kann somit viele Fragen aufwerfen. Umgekehrt ist es auch möglich, ausscheidenden Mitgliedern eine Art Abfindung mitzugeben.


Prüfungspflicht für Genossenschaften

Oft gelten Genossenschaften als kompliziert und teuer. Das liegt vor allem an der Prüfungspflicht. Jede Genossenschaft muss sich – damit sie ins Genossenschaftsregister eingetragen werden kann – einer Gründungsprüfung durch einen genossenschaftlichen Prüfungsverband unterziehen. Je nach Größe ist dann jährlich oder mindestens alle zwei Jahre eine weitere Prüfung vorgeschrieben. Begründet wird dies mit dem Schutz der Mitglieder, der Geschäftspartner und Gläubiger.

Diese genossenschaftlichen Pflichtprüfungen kosten Geld, jedoch kann eine gute Vorbereitung und übersichtliche Aufbereitung der Unterlagen helfen, die Prüfungszeit und damit auch die Kosten zu verringern. Am wichtigsten ist jedoch die Wahl des Prüfungsverbandes, wobei das Preis-/Leistungsverhältnis nicht außer Acht gelassen werden sollte. Am besten ist es sicherlich, sich bei vergleichbaren, bereits bestehenden Genossenschaften nach deren Erfahrungen zu erkundigen.

Der »Zentralverband Deutscher Konsumgenossenschaften« (ZdK), der selbst kein Prüfungsverband ist, sondern sich politisch für die Interessen vor allem kleinerer Genossenschaften einsetzt, bietet an: »Wir arbeiten mit einer Reihe von genossenschaftlichen Prüfungsverbänden zusammen. Wenn die Gründungsinitiative über uns begleitet wird und wir die Unterlagen zur Gründungsprüfung mit Ihnen zusammen erstellen, dann können wir in aller Regel eine kostenlose Gründungsprüfung vermitteln.«

Genossenschaftliche Demokratie


Vor allem in großen Genossenschaften entwickelt sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte häufig eine Kluft zwischen denen, die das Sagen haben – den Vorständen und Aufsichtsräten – und den meist passiven Mitgliedern. Vorschläge des Vorstands werden auf Versammlungen oft einfach abgenickt, kritische Nachfragen von Mitgliedern als störend empfunden und abgewehrt. Eine lebendiger Austausch findet viel zu selten statt. Es sind jedoch immer beide Seiten dafür verantwortlich, wenn die Kultur der Kooperation verfällt, und es betrifft jede Gruppe oder Organisationen, unabhängig von der Rechtsform. Wenn nicht aktiv gegengesteuert wird, dann öffnet sich die Schere zwischen wenigen MacherInnen und vielen Mitmachenden im Laufe der Zeit immer weiter.

Die Generalversammlung einer Genossenschaft ist das oberste beschlussfassende Organ, sie legt insbesondere die Satzung fest, entscheidet also über das Betriebssystem, nach dem die Genossenschaft funktioniert. Dies sollte gut durchdacht werden, und keinesfalls einfach irgendeine Mustersatzung unterschrieben werden. Denn ist die Genossenschaft einmal gegründet, kann sie – vor allem, wenn sie groß ist – zum Tanker werden, der sich nur noch schwer umsteuern lässt. Daher empfiehlt es sich, den Mitgliedern möglichst weitreichende Informations- und Entscheidungsmöglichkeiten einzuräumen, indem von vornherein umfassende Rechte für die Generalversammlung in der Satzung festgeschrieben werden. Auch die Ausgestaltung der Rechte des Aufsichtsrats sollten wohl überlegt sein, sofern ein solcher vorgesehen ist. Genossenschaften bis 20 Mitglieder können auf einen Aufsichtsrat verzichten.

Eine Rechtsform mit Zukunft

Wenn immer mehr Menschen sich aufmachen, um gemeinschaftlich neue Wege des Wirtschaftens zu gehen, dann könnte das Genossenschaftswesen eine große Zukunft haben. Die Genossenschaft ist jedoch kein Selbstzweck, und wichtiger als die Rechtsform ist das reale, alltägliche Miteinander der Beteiligten, die Art und Weise, wie sie sich aufeinander beziehen und wie sie ihre Dinge im Guten wie im Schlechten miteinander regeln. Ein geeigneter formaler Rahmen kann jedoch dieses Miteinander deutlich erleichtern. Die Gestaltungsmöglichkeiten von Genossenschaften für solidarisches Wirtschaften sind noch lange nicht ausgeschöpft und bieten viele Möglichkeiten für selbstorganisierte Gruppen.l


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